I wish U Heaven, Prince

22.04.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
May U live 2 see the Dawn
Warner Bros./Paisley Park
May U live 2 see the Dawn
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Ein ganz und gar nicht objektiver Rückblick auf 24 Jahre, die mit einem ungeheuerlichen Musikvideo eines merkwürdig multisexuellen Mannes begannen. I was dreaming when I wrote this, so sue me if it goes astray ...

Es war 1991, als ein wild durch die Gegend pubertierender Junge auf Super Channel (fragt nicht, MTV kam grad erst) ein Musikvideo sah, das sein Leben verändern sollte. Das Lied gefiel ihm gar nicht, aber das Video ... das Video war ungeheuerlich. Sex überall, ein Mann mit Hochsteckfrisur, der zwischen zwei Frauen lag und schrie, und der Text des Liedes ... "Ooh, I think I like it with the dress half on, I'll zip it far enough to see the crack o' Dawn ..."
Der Junge war ich, und ich konnte nicht wegsehen. Kein einziges Mal, wenn das Video zu Gett off lief - und ich konnte nicht genug davon bekommen. Aus schrecklich wurde Faszination, aus Faszination wurde Begeisterung. Ich kaufte mir das Album, und danach alles andere, was ich an Musik von ihm finden konnte. Und als ich entdeckte, dass Lieder, die ich ohnehin schon toll fand, wie Martika's Kitchen oder Nothing compares 2 U, auch von ihm waren, war es um mich geschehen.

Diesem kleinen Mann war scheißegal, was irgendwer von ihm dachte. Es war egal, ob alle Welt ihn für schwul hielt, sein Auftreten und seine Stimme tuntig nannte, sich über seine Kleidung lustig machte. Mit 12, Anfang der 90er, möchte man mit so etwas in der Regel nicht assoziiert werden, besonders, wenn das eigene Coming-out noch ein paar Jahre und tiefes Durchatmen entfernt war. Doch auf einmal tat sich eine Welt auf, in der männlich und weiblich, schwarz oder weiß, hetero oder homo und alles dazwischen verschmolzen, keine Rolle mehr spielten. Dieser Mann, der in High Heels einen so mühelosen Spagat hinlegte, war von allem etwas, ohne eine Kunstfigur und nicht er selbst zu sein. I'm not a woman, I'm not a man, I am something that you'd never understand ... Nicht, dass ich so sein wollte wie er - aber wenn es ihn gab, diese multisexuelle Explosion an Bildern und Musik in Purple, Pink, Peach, Gold, Violet und Scarlet, dann konnte es mich auch geben, was immer da auch noch in mir war und sich langsam raustraute. Er war da und sollte nie mehr ganz weggehen. Bis heute.

Egal, ob er seinen Namen zu einem Symbol änderte und die Medien jedes Mal einen Aufstand machten, wenn ein Journalist eine neue Art fand, wie man das Symbol in Buchstaben pressen könnte; trotz idiotischer Rechtsstreits wegen zu seiner Musik tanzenden Babys auf YouTube; auch überbordende Religiösität nach einer Überdosis Larry Graham, die dafür sorgte, dass er seine anzüglichsten Lieder entschärfte und keine Schimpfwörter mehr sang - irgendwo lag trotzdem immer eine CD in Reichweite, und jedes neue Lied wurde sofort gesucht.

Und es gab immer wieder neue Musik ... Ich bin zwar durch und durch ein Kind der 80er und liebte die alten Alben, die Popgeschichte geschrieben haben und über die die Kritiker heute noch ins Schwärmen geraten - aber es gab so viel neue Musik, jedes Jahr. Und ich stand nicht allein im Purple Rain: Ich hatte zwei wunderbare Freundinnen, die ihm ebenfalls verfallen waren. Wir schockierten unsere US-Austauschschüler mit Raps aus Gett off oder rasten nach der Schule in die Stadt, um als erste das nächste Album zu haben, wir suchten akribisch Unveröffentlichtes und Langfassungen, wie die zu Partyman oder Thieves in the Temple, oder philosophierten über seine Pseudonyme wie Camille oder Gemini. Oder über diese wahnsinnige sexuelle Freiheit, von der man als Teenager höchstens mal einen, im Nachhinein, etwas unangenehmen Traum hatte. Uns war egal, ob alle stöhnten, wenn wir auf Partys den DJ zwangen, The Continental oder Now zu spielen, und die Tanzfläche ganz für uns allein hatten. Andere hörten Whigfield oder Dr. Alban, Offspring oder Ugly Kid Joe. Wir hatten Musik gefunden. Sicher, wir waren Fans - aber es war nicht dieses immer leicht Verschämte, wie bei anderen, die auf BSB oder *NSYNC standen: Wir waren irgendwo stolz, stolz auf echte Musik, die sonst nur von Leuten wie Kate Bush oder David Bowie kam.

Musik von einem der wenigen ECHTEN Künstler da draußen. Nicht nur jemand, der singen konnte oder mal einen Text schrieb, ein Instrument spielen oder tanzen konnte. Dieser Mann aus Minneapolis konnte, wenn er wollte, jedes Instrument selbst spielen (Okay ... am besten war er mit der Bassgitarre, und: When he wanted sax, he called Candy ...), schrieb, spielte und produzierte seine Musik selbst, tanzte Michael Jackson an die Wand, ließ keine Musikrichtung von Klassik bis Rock, Jazz bis Hiphop aus, machte einen guten Film (und zwei nicht so gute ... selbst mit Michael Ballhaus hinter der Kamera für Under the Cherry Moon) - und er war live eine Offenbarung! Als ich ihn das erste Mal 1999 in Köln sah, brachte er meinen ersten Freund zum Tanzen (vertraut mir, das WAR etwas Besonderes), aber noch wichtiger war das spirituelle Erlebnis, das für mich damit einherging: Er frug: "Do you believe in God?" - und für drei Stunden glaubte ich tatsächlich an Gott ...

Heute sitze ich in Berlin und diese Zeiten in einer kleinen katholischen Stadt, in der lilafarbene Schuhe auch heute noch Leute zum Starren bringen, sind schon lange vorbei. Es gibt nicht mehr jedes Jahr ein neues Album, die neuen CDs sind alle nicht ganz so geil wie früher, und auch alle unveröffentlichten Lieder sind längst irgendwo gehört. Aber da hätte noch so viel kommen sollen, so viel kommen müssen. Er war der Mann, der nie von sich behaupten musste, der King of Pop zu sein, verdammt! Jedoch war da auch so viel, ohne das ich nicht die Person wäre, die ich heute bin. Wer weiß, wie viele Jahre später ich gelernt hätte, dass es vollkommen egal ist, was andere denken, wenn ich nicht mit 12 Jahren Gett off gesehen hätte. Und wie viel Spaß Judith und Maike und ich dann vielleicht nie gehabt hätten.

Ich habe erst einmal in meinem Leben geweint, weil ein Star gestorben ist. Nicht bei Freddie, nicht bei Kurt, nicht bei Michael. Ich weinte Anfang dieses Jahres, als plötzlich eine Eilmeldung auf meinem Handy erschien, dass ein anderer großer Musiker verstorben war. Jetzt ist Prince tot und ich heule wie ein Schlosshund.

Sometimes it snows in April ...

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