Wie ist es möglich, dass eine abstruse Comedyserie über Hunger auf Menschenfleisch ihre Zuschauer emotional werden lässt? Wie kommt es, dass wir bei der ersten Folge von Santa Clarita Diets zweiter Staffel mit einem lauten „Aaaww“ ein klitzekleines Tränchen aus dem Augenwinkel wischen? Wie zur Hölle schafft eine von vielen Seiten als seichte Unterhaltung abgestempelte Serie es, das Publikum hemmungslos mitfiebern zu lassen? Die Antwort ist erstaunlich simpel: Durch ihre schrecklich nette Familie. Wenn man nämlich das viele Blut beiseite wischt, ist Santa Clarita Diet nichts anderes als die Geschichte einer liebevollen Familie, die lernt, mit einem Schicksalsschlag zurechtzukommen.
Eine schrecklich nette Familie oder warum Santa Clarita Diet hungrig nach mehr macht
In der zweiten Staffel Santa Clarita Diet beginnt Familie
Hammond zusehends, die Kontrolle über ihre Situation zu verlieren. Sheilas
Zustand ist ein prekärer, auf der Arbeit läuft noch mehr schief und überhaupt
sind wir am Rande des Wahnsinns angekommen. Und neben dem erstaunlich
spannenden Rätselplot ist das zentrale Thema der Serie nach wie vor der
Zusammenhalt der Hammonds in einer desaströsen Situation. Dafür haben die
Autoren Charaktere geschaffen, die in ihren Emotionen absolut nachvollziehbar
sind, obwohl sie der Prämisse entsprechend überzeichnet sind.
Die Hammonds sind eine ganz gewöhnliche Familie, simple Menschentypen, mit denen sich jeder irgendwie identifizieren kann. Wir haben es hier weder mit schulischen Überfliegerkindern noch Geheimagenten noch Superhelden zu tun. Sheila (Drew Barrymore) und Joel (Timothy Olyphant in Topform) haben keine perfekte Ehe. Für sie sind chinesisches Essen und eine gemeinsame Date Night schon etwas Besonderes. Die zwei streiten, haben „hitzige Übereinkünfte“ und auch nach 16 Jahren noch nicht ganz herausgefunden, wie man eine kampflustige Tochter im Zaum hält. Ihre Alltagsprobleme sind ebenso bedeutend wie der neue, übernatürliche Teil ihres Lebens. Denn, meine Güte, das Leben ist von alleine schon gruselig und schwierig genug!
Sheila und Joel Hammond leben uns die Tatsache vor, dass niemand jemals wirklich erwachsen und perfekt verantwortungsvoll wird. Dass Erwachsene immer einen Plan haben, ist ein Mythos, und es tut gut, dass uns Joel das mit so viel schwarzem Humor endlich zugesteht. Überhaupt ist Joel einer der großartigsten Aspekte von Santa Clarita Diet. Er dreht regelmäßig fast durch, denn die unumstößliche Merkwürdigkeit seiner Situation bringt ihn an seine Grenzen. So spricht er, im Gegensatz zu anderen Protagonisten in übernatürlichen Serien, sehr offen aus, was zur Hölle hier falsch läuft. Seine Direktheit ist ebenso komisch wie verständlich. Doch aus Liebe zu seiner Familie schafft er es trotzdem, weiterzumachen. Selbst nach der sehr sinnvollen Maßnahme, Sheila zur Sicherheit im Keller anzuketten, hält Joel es keine Nacht allein im Ehebett aus, und geht nach unten, um ihr Gesellschaft zu leisen.
Dicht gefolgt von Tochter Abby (Liv Hewson), einem der coolsten
Serien-Teenager seit Langem. Sie ist schlagfertig und sarkastisch und manchmal
einfach viel zu „alt“ für diesen… Kram. Ihre kaltschnäuzigen Kommentare sind
aber nie wirklich altklug. Sie ist smart, aber kein Besserwisser, tough, aber
schießt auch mal übers Ziel hinaus. Sie ist hitzköpfig und kann wirklich nicht
flirten. Und tapst, wenn sie nicht schlafen kann, immer noch zu ihren Eltern
zum Kuscheln und sich geborgen fühlen. Denn das braucht jeder ab und an, auch
wenn Mama inzwischen ein fleischfressender Zombie ist.
Daraus resultiert der oben erwähnte „Aaaww“-Moment. Denn die Hammonds halten eben trotz allen herumfliegenden Organen zusammen. Weil sie sich lieb haben und einfach nur irgendwie durchkommen wollen - wie wir alle. In Supernatural regen wir uns regelmäßig auf, wenn das großartige Bruderteam durch künstliche Konflikte aufgebrochen wird. Genau dieses Problem umschifft Santa Clarita Diet. Hier kann und will niemand lange auf den anderen böse sein, also wird dieser verflixte Konflikt jetzt gelöst, statt einander ganze Episoden lang passiv-aggressiv anzuschweigen.
Die Autoren haben erkannt, dass Teamwork auch für den
Zuschauer am meisten Spaß beim Zuschauen macht. So cool es ist, die Avengers
in Civil War gegeneinander anrennen zu sehen, die wirkliche Euphorie packt uns erst, wenn
sie alle gemeinsam für Recht und Ordnung sorgen. Gut, die Hammonds sind keine
Avengers. Aber sie sind ein heldenhaftes Team, das manchmal auch für Recht und
Ordnung sorgt, immer mit dabei übrigens das erweiterte Quasi-Familienmitglied Eric (Skyler Gisondo). Sie sind ein ebenso merkwürdiges wie liebenswertes Vorbild.
Jeder packt mit an, alle unterstützen einander. Wie sonst soll man dem Rätsel
um verfluchte Spezialmenüs, Blutflecken und abgetrennte, sprechende Köpfe auch
sonst Herr werden?
Was ist euer Binge-Fazit zur 2. Staffel Santa Clarita Diet?