Bei der Science Fiction auf der Kinoleinwand gab es dieses Jahr bei all den großen Blockbustern mit Sci-Fi-Elementen und dystopischen Jugendfilmen kaum etwas Anspruchsvolles zu holen. Schade eigentlich, denn 2013 und 2014 sah die Science Fiction nach der Ankündigung eines neuen Star Wars-Films rosiger Euphorie entgegen. Doch die Gegenwart scheint viel spannender geworden zu sein. Die NASA und ihre Astronauten überschütten uns auf Twitter und Facebook mit bestechenden Weltraumbildern. Jeder mit Internetzugang kann sich jegliches Wissen beschaffen und Google ist beängstigend intelligent, allgegenwärtig und hilfreich geworden. Das äußert sich in kampflustigen Putschversuchen und dem Rückzug in längst bekannte Gebiete.
Science Fiction als Relikt vergangener Tage
Der Trend, dass beinahe alle großen Actionfilme ins Genre Science Fiction fallen, ist sicher keinem Fan entgangen. Doch meist sind die Sci-Fi-Elemente dieser Filme bloß übernommene Relikte vergangener Zeiten. Die dreckige Wüste aus Mad Max: Fury Road entspringt den 70er Jahren und der Angst vor einem Atomkrieg. In den Superheldenverfilmungen belaufen sich die Sci-Fi-Elemente meist auf Jahrzehnte alte Comic-Vorlagen - dieses Jahr in Form von Ant-Man und Marvel's The Avengers 2: Age of Ultron auf der Leinwand. Die Dinosaurier in Jurassic World entspringen der Genom-Entschlüsselungs-Euphorie Anfang der 90er, als das Original Jurassic Park in die Kinos kam. Die Sci-Fi ist hier nur notwendiges Übel. Auch Star Wars: Episode VII - Das Erwachen der Macht gibt sich ganz in der Tradition der alten Trilogie eher als simpel gestricktes Weltraum-Märchen. Niemand beschäftigt sich mit der physikalischen Möglichkeit eines Lichtschwerts, wichtig ist, ob es rot (böse) oder blau (gut) leuchtet.
Die Jugend fürchtet sich vor morgen
Während sich die 30-Plus-Generationen nostalgisch an die Kindheit und damalige Sci-Fi erinnert, blickt die Jugend ängstlich nach vorne. Die Unzahl an scheinbaren Möglichkeiten sowie die totale Vernetzung schüren Leistungsdruck und eine ungewisse Zukunft. Jugendverfilmungen wurden von Fantasy-Epen wie Harry Potter und Twilight zu Sci-Fi- und Kriegs-Dystopien wie Die Tribute von Panem, Die Bestimmung und Maze Runner und das äußerst erfolgreich - alle drei Franchise hatten 2015 einen weiteren Teil im Kino und mit Die 5. Welle ist bereits das nächste Franchise in den Startlöchern. Mit dem lukrativen Finale Die Tribute von Panem - Mockingjay Teil 2 wurden sogar deftige politische Themen mehr oder weniger gut ins Mainstreamkino mit jungem Zielpublikum geschmuggelt. Es wirkt manchmal, als hätte Katniss Everdeen im Kommunistischen Manifest nachgelesen: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" Es ist interessant, dass die Jugend sich mit Protagonisten, die sich gegen das System aufbäumen, um eine Verschiebung der Machtverhältnisse zu bewirken, so gut identifizieren kann - auch wenn dieser Ansatz so alt ist wie unsere Gesellschaft an sich.
Die Jugend fürchtet sich vor morgen, nicht vor dem Fremden. Während die Angst im jugendlichen Sci-Fi-Film ganz der Dystopie gehört, ist die Angst vor bösen Aliens und ihren Invasionen längst gewichen. Vielleicht ist das auch mit ein Grund, warum der kürzlich erschienene Trailer zu Independence Day 2: Wiederkehr mit übermächtiger Alien-Invasion so antiquiert anmutet und auf Nostalgie setzt. Das Alien im indischen 2015er Erfolg PK - Andere Sterne, andere Sitten kommt in Frieden auf die Erde und wundert sich eher über die Menschheit als andersrum. In der dänischen Doku The Visit aus 2015 von Michael Madsen, der bisher leider keine deutsche Auswertung bekam, wird mit der Faszination am Fremden gespielt und nebenbei ganz nüchtern mit tatsächlichen Experten durchgesprochen, wie denn eine Landung von Aliens auf der Erde aussehen könnte. Doch das Unbekannte im Weltraum weicht, wir haben das Gefühl, unser Sonnensystem "zu kennen". Übermäßig hohe Alarmbereitschaft vor einem Alien-Angriff wirkt ohnehin wie ein Überbleibsel der Invasions-Angst aus dem Kalten Krieg, als im US-Film die Aliens gerne als Ersatz für die Rote Armee hergenommen wurden. Denn wenn uns (im Sci-Fi-Film) etwas überlegen ist, ist es heute eher die von Menschen geschaffene Künstliche Intelligenz.
Kein Posthumanismus im Mainstream-Kino
Her hat 2013 einen guten Dienst geleistet in der Erkenntnis, dass wir im Zweifelsfall einer Künstlichen Intelligenz einfach nicht gewachsen wären, dies aber keineswegs bedeutet, dass diese uns böse gesonnen ist, sondern von neutraler Neugierde durchwoben sein kann. Der 15-Millionen-kleine Ex Machina führt 2015 den Gedanken als Genreeintrag fort und der bei uns als Direct-to-DVD-Film vernachlässigte Automata geht noch einen Schritt weiter, in dem er die Künstliche Intelligenz ganz den posthumanistischen Vorstellungen entsprechend als dem Menschen gleichwertig, aber physisch weiterentwickelt ansieht. Wer sich für das Thema interessiert, sollte unbedingt in ein anderes Medium eintauchen, da es auf der Leinwand dazu kaum etwas zu holen gibt. Ich kann die beiden Videospiele SOMA und The Talos Principle aus diesem Jahr wärmstens empfehlen, die sich damit auseinandersetzen, wie menschlich eine KI sein kann, darf und muss.
Rückkehr in bereits eroberte Gebiete
In den letzten beiden Jahren haben vor allem Interstellar, Guardians of the Galaxy, Star Trek Into Darkness und Jupiter Ascending (nicht, dass ich diese Filme qualitativ vergleichen möchte) den Weltraum als vielseitigen und Abenteuer-lastigen Sci-Fi-Schauplatz und nicht ausschließlich als tödliche Falle auf die Leinwand gebannt. Ridley Scotts Buchverfilmung Der Marsianer - Rettet Mark Watney geht 2015 einen Schritt weiter bzw. zurück und präsentiert uns einen beinahe überheblichen Science-Fiction-Film, als sei es ein Astronauten-Biopic, eher sachlich und trocken, aber schon auch ein bisschen lustig. Tatsächlich entpuppt sich Der Marsianer als sehr konservativer Film. Sowohl Astronauten, der Wissenschaftsdrang als auch die Destination Mars sind keine innovativen Themen, im Gegenteil, auch die Anfänge der Sci-Fi- auf der Leinwand sahen so aus. Betreffend die Hard Science Fiction im Mainstream hievt Der Marsianer das Genre zwar auf eine neue Ebene, doch man könnte beinahe glauben, Der Marsianer ist die lange Version des ersten US-Sci-Fi-Films der je gedreht wurde. In A Trip to Mars von Thomas A. Edison aus dem Jahr 1910 strandet ein genialer Wissenschaftler auf dem Mars. Wir haben Teil an seinen Entdeckungen und seiner Reise. Damals, vor 100 Jahren, war es kühne Überlegung, überhaupt durchs Weltall fliegen zu können, heute ist es ein Rückgriff auf Altbekanntes. Wir glauben einfach, zu viel zu wissen.
Wir haben kaum noch Verständnis für Faszination - wir wärmen uns mit Nostalgie. Deshalb mochte ich den diesjährigen A World Beyond so sehr und deshalb ist er vermutlich auch gefloppt - weil es darum geht, sich wieder faszinieren zu lassen und auf die Zukunft zu vertrauen, nicht auf unser Wissen der Gegenwart und nicht auf gewaltsame Machtverschiebung. So bunt die Fantasie der Science-Fiction-Autoren Anfang des 20. Jahrhunderts war, so wirkungsvoll sind Anfang des 21. Jahrhunderts die Bilder der NASA auf Instagram .