Tatort - Starke Wiener decken tiefe Abgründe auf

02.03.2014 - 20:15 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Tatort - Abgründe
rbb/ORF/ARD
Tatort - Abgründe
7
4
Wieder einmal widmen sich die beiden Tatort-Kommissare aus Österreich einer Verschwörung, die bis in die Polizei reicht, und lassen dabei die Grenzen von Recht und Ordnung hinter sich. Tatort – Abgründe zeigt Bibi und Moritz auf höchstem Niveau und zugleich am Rande der Verzweiflung.

Es wird persönlich im neuen Tatort aus Wien und das nicht nur, weil Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) den Tod seiner Kollegin und Ex-Geliebten aufklären muss. Wobei “muss” das falsche Wort ist, denn von allen Seiten wird versucht, den Fall unter den Teppich zu kehren. So bleibt dem Kommissar wie so oft nur die Unterstützung von Bibi Fellner (Adele Neuhauser), aber die hat es bekanntlich in sich. Bibi und Moritz wachsen meist über sich hinaus, wenn sie ganz allein gegen eine Übermacht antreten. Nach diesem Prinzip funktioniert Tatort: Abgründe, der die für die Wiener typische Skepsis hinsichtlich der Redlichkeit staatlicher Autoritäten sowie die Liebe zu Verschwörungstheorien in einem spannenden Mix präsentiert.

Plot: Jahrelang war Melanie Pölzl in einem Verlies eingesperrt, bevor ihr die Flucht gelang. Als das Haus des Täters abgerissen werden soll, macht die Polizei einen schrecklichen Fund. Franziska Kohl, eine der Ermittlerinnen im Fall “Melanie”, liegt tot in den Gemäuern. Sie ist verdurstet. Während die Obrigkeiten auf einen Unfall pochen und die Sache zu den Akten legen wollen, lässt Moritz der Todesfall nicht mehr los. Er hatte mal etwas mit Franziska und wittert gemeinsam mit Bibi eine Verschwörung. War seine Ex-Geliebte einem Kinderpornoring auf die Schliche gekommen und musste dafür bezahlen?

Lokalkolorit: Die winterliche Kälte zieht durch diesen Wiener Tatort, in dem sich zu Beginn ein Dorf per Abrissbirne seines dunklen Geheimnisses entledigen will und ein weiteres ans Tageslicht fördert. Warum hat niemand das Verschwinden der Polizistin bemerkt, fragt sich Moritz an einer Stelle, sich im selben Atemzug bewusst werdend, dass “niemand” auch ihn selbst einschließt. Abgründe ist ein Krimi über Kommissare auf verlorenem Posten, den ein tiefes Misstrauen gegenüber den staatlichen Autoritäten und damit den Arbeitgebern seiner Helden durchzieht. Wenn Bibi und Moritz in ihrer schrägen Leih-Karre durch die verschneite Landschaft brausen, dann ist das eine vielsagende Metapher für den entlarvenden Alleingang, den sie zur Lösung des Falles bestreiten müssen. Ein Alleingang, der erst nach dem Ablegen der Dienstmarke möglich wird.

Unterhaltung: Obwohl die Geschichte von Tatort – Abgründe mit deutlichen Bezügen zu realen Fällen angereichert ist, werden diese nicht im Stil eines belehrenden Tatsachen-Krimis verkauft. Im Nachhinein fällt besonders auf, wie unaufdringlich und trotzdem berührend mit dem Thema Kindesmissbrauch umgegangen wird. Da genügen ein kurzer Blick auf ein traumatisiertes Mädchen und die kalten Wände eines als Kinderzimmer ausstaffierten Gefängnisses, um uns klar zu machen, warum Bibi und Moritz nicht kapitulieren dürfen. Zwar wird den Tätern überraschend wenig Platz eingeräumt, aber das Verkaufsargument für diesen Wiener Tatort ist nicht so sehr das Wieso oder Warum der Gegenseite, nicht so sehr der Versuch, die Verbrechen zu erklären. Der echte Schauwert findet sich im Aufbäumen zweier Recken, egal wie groß der Widerstand ausfällt.

Tiefgang: Das betörende an den Wiener Tatorten ist und bleibt der nonchalante Ton, mit dem uns die Krimis regelmäßig ihr pessimistisches Weltbild verabreichen. Anstatt es sich auf bräsigen Allgemeinplätzen gemütlich zu machen, ist Tatort – Abgründe ebenso sehr ein Krimi über die Verkommenheit bis in die höchsten Stellen wie einer über die beiden verwitterten Leuchttürme Bibi und Moritz. Die machen unermüdlich die dunklen Abgründe sichtbar, die Einfamilienhäuser, Fabriken, Villen, in denen sich die Mächtigen an den Wehrlosen vergehen. In vielen Tatorten werden die Ermittler als Beschützer von Witwen und Waisen gezeichnet, aber die wenigsten zeigen so intensiv wie die Wiener, was für einen Preis das hat und damit sind nicht inszenierte Unfälle gemeint. An jeder Ecke lockt das Strecken der Waffen und auch das wird in diesem Tatort nicht zu Gunsten einer idealisierten Charakterzeichnung verschwiegen. Bibi und Moritz haben das weiße Fähnchen noch nicht gezückt und das hat einen einfachen Grund: Andere Duos sollen mit ihren Gegensätzen punkten, die beiden Wiener aber gehören zu einer aussterbenden Art. Und, das belegt auch dieser Fall, deren Vertreter müssen zusammenhalten, um zu überleben.

Mord des Sonntags: Verdurstet und von der Welt vergessen.

Zitat des Sonntags: “Wie kann jemand wie sie noch auf freiem Fuß sein?” – “Weil wir in einem Rechtsstaat leben.”

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News