Urlaub im Protektorat – Die Nazi-Zeit als Reality-Soap

16.05.2015 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
CT legt mit Urlaub im Protektorat noch eine Schippe an Geschmacklosigkeit drauf
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CT legt mit Urlaub im Protektorat noch eine Schippe an Geschmacklosigkeit drauf
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Im tschechischen Fernsehen startet bald eine weitere Reality-Soap. An sich schon schlimm genug, setzt sich Urlaub im Protektorat das Ziel, eine Familie die Schrecken der nationalsozialistischen Besatzung durchleben zu lassen. Kann das gut gehen?

Das Fernsehen und ich stehen generell auf Kriegsfuß. Na gut, ich mag Naturdokumentationen und auch viele aktuelle Serien-Ergüsse der US-amerikanischen Bezahl-Sender. Was ich gar nicht leiden kann, sind Talent- und Reality-Shows, weil sie meist menschenverachtend sind. Egal, ob Deutschland sucht den Superstar , Ich bin ein Star - Holt mich hier raus, Germany's Next Topmodel oder Newtopia – da rollen sich mir die Fußnägel auf. Aber das wohl krasseste Beispiel jüngerer Zeit stammt ausnahmsweise nicht aus Deutschland oder den Niederlanden (wobei das eigentlich auch egal ist), sondern aus Tschechien. Dort soll eine böhmische Familie die Schrecken der Nazi-Zeit durchleben.

Das Projekt nennt sich Urlaub im Protektorat und wird ab dem 23. Mai auf dem tschechischen Sender CT  ausgestrahlt. Darin soll eine echte Familie aus und in Nordböhmen auf einem Bauernhof leben, und zwar genau so wie vor 70 Jahren. Also ohne moderne Errungenschaften wie Fernsehen, dafür aber "in ständiger Angst vor der Gestapo". Dazu gehören anscheinend Schikanen aller Art, die Angst vor Denunziation sowie begrenzte Lebensmittel. Plus ständige Überwachung. Klingt eigentlich wie eine Mischung aus Big Brother und Steinzeit - Das Experiment , bloß in einer anderen Epoche und einer abgelegenen Bergregion. Wenn da nicht das nationalsozialistische, sogenannte "Protektorat Böhmen und Mähren" gewesen wäre.

Da es sich hierbei um eine Reality-TV-Show handelt, können wir wohl davon ausgehen, dass hier niemand vor laufender Kamera misshandelt und vergewaltigt oder ermordet wird. Um aber eine mahnende und an die Schrecken dieser Zeit erinnernde Funktion zu erfüllen, müsste in einer Sendung, die diesen Anspruch hat, genau so etwas passieren. Dies will ich aber auch beim besten Willen nicht hoffen und halte es für sehr unwahrscheinlich. Das wiederum führt zum nächsten Problem. Statt dabei mitzuhelfen, eine wichtige Lektion der Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, schlachtet sie dieses düstere Kapitel der Menschheitsgeschichte aus. Ich halte das Format für wahnsinnig ungeeignet, um diese Zeit aufzuarbeiten.

Wie jede andere Reality-Show bedient wohl auch Urlaub im Protektorat einfach nur den uns innewohnenden Voyeurismus. Sie will unterhalten und spannend sein statt zu informieren. Anstatt Zeitzeugen in Interviews zu befragen oder in einer regionalen Dokumentation auf den Spuren der Vergangenheit zu wandeln, wird hier mit einem Verbrechen Geld verdient. Mit dem Leid eines ganzen Landstriches werden besonders skandalträchtig und verrucht Zuschauer angelockt. Zugegeben, ich habe die Sendung noch nicht gesehen, war auch glücklicherweise vor 70 Jahren noch nicht am Leben und dementsprechend damals nicht in der Tschechoslowakei. Es besteht also noch ein klitzekleiner Funken Hoffnung, dass es die Verantwortlichen hinter dieser Sendung nicht vergeigen.

Ich äußere hier nur meine Zweifel daran, dass sie das schaffen. Denn es liegt doch in der Natur der Sache. Wie soll ein solches Format angemessen mit einem derartigen Thema umgehen? Ich bin natürlich schwer dafür, an die Schrecken der Nazi-Zeit mahnend zu erinnern. Damit können wir viel erreichen und idiotischem Gedankengut vorbeugen. Gerade beim aktuell wieder mal um sich greifenden Fremdenhass und der erstarkenden Islamophobie  erscheint mir so etwas sinnvoll. Aber eine Reality-Soap?

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