Richard Linklater hat mit Boyhood ein zunächst einmal faszinierendes Experiment gewagt, doch die Umsetzung ist völlig konventionell geraten. Aus jeder Szene soll eine tiefe Weisheit sprechen, über den Fluss der Zeit, das Älterwerden, die holde Jugend. Doch Weisheit wird hier mit Klischees, Phrasen und Normierungszwängen verwechselt. Dabei erliegt Boyhood obendrein dem grassierenden Authentizitätskult. Der hochgelobte Theater- und Filmschauspieler Lars Eidinger schwärmte kürzlich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung von der Authentizität des Schauspielens. Wie kaum ein anderer, steht Eidinger für die Blut-und-Schweiß-Kunst, die dem Kreatürlichen eine verborgene Wahrheit abringen will. Doch welche Wahrheit liegt tatsächlich im ‚Echten‘? Wenn Eidinger stolz erzählt, er habe in Peter Greenaways Film „Goltzius and the Pelican Company“ eine echte Erektion gehabt, dann muss man sich fragen: Ist also Pornographie nicht generell die buchstäblich nackte Wahrheit und die höchste Kunst?
Es gibt seit einiger Zeit einen unseligen Trend auch in Hollywood zu beobachten. Stars, die für ihre Rollen hungern oder fressen und sich die Füße blutig getanzt haben, werden dafür gerne mit einem Oscar ausgezeichnet. Dieser Kniefall vor dem vermeintlich Authentischen zeigt, wie sehr der Beruf des Schauspielers und die Möglichkeiten des Films missverstanden werden. Wer die gewöhnliche Realität sehen will, hat im Kino nichts verloren. Auf diese Echtheitskarte setzt auch Linklater in Boyhood. Ein kleiner Junge wird groß, der Bartwuchs beginnt, die Frisur verändert sich. Erwachsenwerden ist eine an sich völlig banale Angelegenheit. Wer nicht stirbt, wird älter. Die Idee in Boyhood ist keineswegs neu, wenn man an die Filme von Truffaut und Godard denkt, in denen wir Jean-Pierre Léaud beim Erwachsenwerden zusehen konnten. Doch es bedarf gar nicht diese Kinoheroen. Selbst Trashfernsehserien wie Lindenstraße oder Roseanne ermöglichen dem Zuschauer dieses biologische Wunder. Boyhood ist letztlich ein banaler Film, der trotz des durchaus kühnen Experiments nur stereotype Muster von altbekannten Coming-of-Age-Filmen wiederholt.