Ava DuVernay - Der Wille zur Veränderung

24.08.2017 - 09:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Ava DuVernay
Arthaus
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Ava DuVernay feiert heute ihren 45. Geburtstag. Wir schauen uns die Karriere einer Frau an, die wie kaum jemand anderes für die große Veränderung in Hollywood kämpft.

1995: Während die gesamte USA im Zuge des O.J. Simpson-Prozesses kopfsteht, sich kaum vom Fernseher wegrührt und nach neuen Medienberichten zum Jahrhundertfall dürstet, wühlt die 22-jährige Ava DuVernay, frischgebackene College-Absolventin in Englisch und African American Studies, im Müll. Es ist nicht irgendein Müll; es ist der Müll eines Jurors des Simpson-Falls. DuVernay macht gerade ihr Praktikum bei CBS News. Sie will Journalistin werden. Zumindest wollte sie das bis zu diesem Augenblick: Desillusioniert von den Aufgaben, die die Industrie ihr und ihren Mitpraktikanten - neun weitere sind damit beauftragt, zum selben Juror zu "recherchieren" - erteilt, wirft sie das Handtuch und kehrt dem Journalismus den Rücken zu , um sich der Publizistik in der Filmbranche zu widmen.

Auf den ersten Blick ist das ein radikaler Bruch: Ava DuVernay, geboren und großgeworden in Long Beach, Kalifornien, in der Nähe des berüchtigten Comptons, lässt ihre Ambitionen ruhen, landesweit über systemischen Rassismus und die Auswirkungen eines ungerechten Gefängnissystems auf die afroamerikanische Kultur zu berichten. Stattdessen leistet sie Publicity-Arbeit für Filme wie Scary Movie, Ghosts of Mars und Spy Kids. Neben ihrer überaus erfolgreichen PR-Firma The DuVernay Agency gründet sie aber auch eine zweite Agentur, das African-American Film Festival Movement (AFFRM), weil sie weiß, dass die bis heute mangelhafte Diversität im Mainstream-Kino nicht auf mangelnde afroamerikanische Talente zurückzuführen ist. Ihnen wird kaum eine Plattform gegeben, um ihre Filme zu zeigen, und im Umkehrschluss werden schwarze Filmemacher demotiviert, ihre Geschichten zu erzählen - ein Teufelskreis. DuVernay macht es sich zur Aufgabe, dieses Problem an den Wurzeln zu packen und an strukturellen Veränderungen zu arbeiten, indem sie afroamerikanische Filme mit der AFFRM auf Landesebene vertreibt. Denn : "Es geht nicht darum, an geschlossenen Türen zu klopfen. Es geht darum, unser eigenes Haus zu bauen und unsere eigene Tür zu haben." Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, selbst einmal Filme zu machen.

Die Entscheidung, selbst Filmemacherin zu werden, kommt verhältnismäßig spät, mit 31. Ausschlaggebend waren ihre Erfahrungen am Set von Michael Manns Collateral: "Ich dachte einfach, dass ich das auch machen kann." Sie schreibt ihre ersten Skripte, dreht ihre ersten Kurzfilme und Dokumentationen und 2010 dann schließlich ihren Debüt-Langfilm I Will Follow. Darin erzählt sie die Geschichte einer Frau, die nach dem Tod ihrer Tante mit dem Verlust einer geliebten Person umgehen muss, in deren Schatten sie gezwungen ist, ihr ganzes Leben zu überdenken. Im Grunde sind es sehr ähnliche Motive, die sie zwei Jahre später in ihrem Durchbruch Middle of Nowhere aufgreift: Hier erfolgt der Verlust durch die Inhaftierung des Ehemanns Derek (Omari Hardwick), dessen Ehefrau Ruby (Emayatzy Corinealdi) während seiner achtjährigen Haftstrafe auf sich allein gestellt ist und sich in der Zeit in Brian (David Oyelowo) verliebt.

I Will Follow und Middle of Nowhere entspringen bereits eindeutig einem klaren Ideal, das Ava DuVernay für die Zukunft des afroamerikanischen Kinofilms hat. Während bis heute Geschichten von schwarzen Charakteren überwiegend dazu genutzt werden, um eine Geschichte über Rassismus zu erzählen, nimmt DuVernay die gesellschaftlichen Probleme innerhalb der afroamerikanischen Kultur höchstens als Rahmen, um grundlegende Emotionen um Liebe und Verlust zu porträtieren. Das mag banal klingen, ist aber ein entscheidender Grundstein, um zukünftigen FilmemacherInnen of color einen Weg zu ebnen. DuVernay selbst beschreibt  ihre Herangehensweise in einem Interview nach der Sundance-Premiere von Middle of Nowhere so: "Es gibt eine Million Filme über weiße Liebe, also können [weiße FilmemacherInnen] sich abzweigen und sagen: 'Lass mich auf diese oder jene Art über Liebe schreiben.' Wir aber müssen immer noch zeigen, dass schwarze Menschen sich tatsächlich lieben. Wir stecken, was die Themen und die Charaktere angeht, dermaßen in den Kinderschuhen, weil es nicht genug von unseren FilmemacherInnen erlaubt wurde, ihre Kunstfertigkeit zu entwickeln und die Themen, die sie interessieren, weiter zu erforschen."

An der Gelegenheit, sich weiter zu entwickeln, dürfte es DuVernay nicht mangeln: Für Middle of Nowhere wurde sie als erste schwarze Frau überhaupt in Sundance mit dem Regie-Preis ausgezeichnet und hat damit das Sprungbrett auf die große Bühne bekommen, um dort prompt Selma, unglaublicherweise das erste Biopic über Martin Luther King, zu drehen. Selma hat Diskussionen ausgelöst, für deren Zentrum wohl kaum jemand so geeignet wäre wie Ava DuVernay. Leider hat sich nur ein vergleichsweise geringer Teil um die Themen gedreht, die dem Film am Herzen lagen, namentlich der Kampf als Gruppe (!) gegen eine soziale Ungerechtigkeit. Denn auch wenn Martin Luther King als Anführer der Bürgerrechtsbewegung fraglos Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist, so stilisiert Selma ihn nicht zum heroischen Heilsbringer, sondern begreift ihn auch als Teil einer Gemeinschaft, die für den gesellschaftlichen Fortschritt zusammenarbeiten muss. Der Film erschien im Nachleben der Proteste um den Todesfall von Michael Brown in Ferguson, und ihm wurde mit Hinblick auf den Oscar-Buzz stellenweise fast schon zynisch das "perfekte Veröffentlichungsdatum" attestiert; eine Schwachsinnsfeststellung, natürlich, ganz einfach aus dem Grund, weil es niemals einen ungeeigneten Zeitpunkt gibt, um über systemischen Rassismus in den USA zu sprechen. Als DuVernay über das Problem des Zeitgemäßen mit Bezug auf ihre Serie Queen Sugar spricht, bringt sie es auf den Punkt : "Ein junger schwarzer Mann [...], der sich vor der Polizei fürchtet oder Probleme mit ihr hat, ist nichts, was zeitgemäß ist; es ist unglücklicherweise ein andauerndes Problem, mit dem wir umgehen müssen."

Die prominenteste Gespräch um Selma wurden jedoch im Zusammenhang mit den Oscars geführt. Selma bekam zwar eine Nominierung als Bester Film, jedoch wurde weder DuVernay noch irgendeiner der Darsteller nominiert. Selma war damit ein essentieller Teil der Oscars So White-Debatte. Die Regisseurin selbst bedauert das, ihr liegt der gesellschaftliche Diskurs näher am Herzen als einer über die Oscars, was sie kurz darauf mit ihrer großartigen Netflix-Doku Der 13. unter Beweis gestellt hat. Der Einfluss, den sie mit ihrer Arbeit auf das rückständige Hollywood-System nehmen kann, sollte aber nicht unterbewertet werden. Als erste schwarze Frau in der Geschichte hat sie für A Wrinkle in Time ein Budget von 100 Millionen Dollar zur Verfügung gehabt. Das macht Hoffnung auf ein vielseitigeres Hollywood-Kino in der Zukunft, weil Ava DuVernay sich nicht damit zufriedengibt, in der Elite "angekommen" zu sein. Erfolg bedeutet ihr nichts, wenn er keine Veränderung nach sich zieht : "Es reicht nicht, mir Rosen vor die Füße zu werfen [...] - das ist nicht genug. Es geht darum, Dolche auf die Leute zu werfen, die es nicht machen [mehr Regie-Jobs an Frauen und Minderheiten zu geben, Anm. d. Verf.]. Es geht darum, den Leuten, die es nicht machen, zu sagen 'Das geht nicht'. Applaudiert mir nicht für etwas, das getan werden muss. Guckt euch ganz genau die Leute an, die es nicht tun, die es ignorieren, die ruhig bleiben und damit weitermachen, den Status Quo aufrechtzuerhalten, der die ganze Industrie verdreht bleiben lässt. Das würde ich gerne sehen."

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