Einer der diesjährigen Oscar-Favoriten mit neun Nominierungen u.a. in den Kategorien Bester Film, Bester Hauptdarsteller, Beste weibliche und bester männlicher Nebendarsteller/in, Beste Kamera, Beste Regie und bestes Drehbuch ist Birdman. Die Preview von Birdman war bereits gestern. Die Oscar-Nominierungen sind verdient! Aber es ist ein Film, der wohl einen großen Zwiespalt auslöst. Entweder man mag ihn gar nicht oder man findet ihn sehr gut. Dazwischen werden sich viele Kinobesucher wohl nicht wieder finden.
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Die Schauspieler sind großartig allen voran Micheal Keaton, der die männliche Hauptrolle "Riggan" spielt. Riggan war mit der Rolle des Superhelden Birdman ein erfolgreicher Schauspieler, der geliebt, bewundert und angesagt war. Trotz des wahnsinnigen Erfolgs war er nicht wirklich glücklich, die Ehe mit seiner Frau scheiterte, seine Tochter war drogenabhängig. Mittlerweile ist er Regisseur am Broadway und versucht sein fürs Thater selber adaptiertes Stück, mit ihm in einer der Hauptrollen, rechtzeitig vor der alles entscheidenden Premiere, auf die Bühne zu bekommen. Dort lernen wir ihn kennen. Stark unter Druck gesetzt, weil sein Hauptdarsteller ausfällt und die zweite Besetzung schlecht ist. Unzufrieden mit sich selbst, mit der Welt und seinem Stück und pleite, kämpft er darum, mit diesem Theaterstück noch einmal berühmt (erfolgreich ?) zu sein. Und mehr als nur der Birdman zu sein. Soweit der Handlung. Die Handlung des Films ist allerdings zweitranging. Es geht um das, was sich hinter den Kulissen abspielt. Dorthin begleitet uns eine grandiose Kamera. Sie geht mit den Figuren mit und so sind Szenenschnitte förmlich nicht vorhanden. Wie ein stummer Begleiter folgt die Kamera den Figuren und manches Mal nimmt sie scheinbar den Standort einer der Figuren ein. So bleibt mir am Ende des Films nichts anderes übrig, zu grübeln, ob der Film nicht selber wieder ein Theaterstück ist. Ist es ein Film, der ein Theaterstück in einem Theaterstück zeigt? Dieses Gefühl des "Irgendwie merkwürdig" bleibt. Realität und Wahn erlebt der Regisseur Riggan selber, denn er redet mit seinem Alter Ego 'Birdman'. Er stellt sich vor, er hätte Superkräfte und könnte fliegen und Gegenstände ohne Berührung manipulieren. Oder stellt er sich das nicht nur vor, sondern es ist Realität? Immerhin lässt er mit seinen Superkräften einen Scheinwerfer auf seinen meisen Hauptdarsteller fallen. Der herabgefallene Scheinwerfer ist Realität. Wieviel von dem, was Riggan erlebt, ist es noch? Das ist nur einer Dimension an komplexen Themen, mit denen sich der Film beschäftigt. Wann wird Wahrheit zur Wahrheit, das Schauspielern zur Wahrheit, wann zur Kunst. Wie der exzentrische Mike (Edward Norton), der die Zweitrolle nur drei Tage vor der Premiere übernimmt, so treffend sagt: Nur auf der Bühne ist er ehrlich, und deshalb hinter der Bühne ein Arsch, der sich unpassend und daneben benimmt. Nur auf der Bühne kriegt er einen Ständer. Hinter der Bühne läuft es seit Wochen nicht mit seiner Freundin. Jede Szene hat versteckte und offensichtliche Bezüge und Bedeutungsebenen zu den anderen Szenen. Während des Films entdeckt man sie nicht sofort. Sie treten zurück (hinter die Kamera?).
Mit Mike spielt Riggans Tochter Sam (Emma Stone) auf dem Dach des Theaters, ihr eigenes kleines Theater. Das Spiel Wahrheit oder Pflicht tritt zwischen die beiden. Sie wagemutig auf dem Dachsims sitzend wählt Pflicht, er Wahrheit. Sie bleiben in ihren jeweiligen Rollen. Doch als Sam bemerkt, dass er trotz der gewählten Wahrheit nicht mit der Wahrheit antwortet, bricht sie das Spiel ab. Der Flirt zwischen den beiden endet nicht, er geht wortlos weiter, als er ihr vom Dach hinunter zum Balkon für die Lichttechnik folgt. Ist das echte Zuneigung oder nur ein (weiteres) Spiel? Mit der gleichen Frage ist Riggan ebenfalls beschäftigt. Was ist Bewunderung, was ist Liebe. Ist der Erfolg als Superheld Birdman auch ein schauspielerischer Erfolg? Kann er es wirklich schaffen, mit dem Theaterstück die Kritiker zu überzeugen? Dafür muss er nicht nur gut schaupielern, sondern sein Theaterstück muss Kunst sein. Will er lieber den Erfolg als Birdman (Promi) oder als Broadwaykünstler? Besonders will er sein. Als Twitterklick und Youtube-Hit oder als Theaterschauspieler? Und obwohl sein Theaterstück ein Erfolg ist, überschreitet er die Grenzen. Die Grenze zwischen Zuschauer und Darsteller, wie es die im Publikumsitzende Kritikerin beschreibt, er habe nicht nur die Bühne und sich selbst mit Blut bespritzt sondern auch das Publikum und damit eine neue Form des Theaters geschaffen, die des Super-Realismus. Treffender könnten ihre Worte wohl kaum den Film selber beschreiben. Der auf der Bühne inszenierte Selbstmord, den Riggan bei der Premiere mit echter Waffe und ohne Kunstblut real verübt, und sich über die Inszenierung erhebt, bleibt super-real. Hat er sich wirklich versucht selbst umzubringen, obwohl sein Stück bereits zur Pause super erfolgreich war? Warum liegt er dann mit abgeschossener Nase im Krankenhaus? Er kann nichts mehr riechen, aber als er seinen Verband abnimmt, hat er eine Nase. Ist die Nase echt? War der Selbstmordversuch real?
Und der Film endet genauso wie sein Theaterstück: Im Krankenzimmer öffnet er die Fenster und stürzt sich hinab? Wir sehen ihn nicht fallen. Seine Tochter kommt zurück ins Zimmer, sieht das offene Fenster, befürchtet, dass ihr Vater hinabgesprungen ist. Unten auf der Straße scheint sie ihn nicht zu sehen, sie sieht nach oben und lächelt. Sieht sie ihn dort? Das Ende des Theaterstücks spiegelt sich im Ende des Films wieder. Nicht ohne nochmals auf Symbolik des fliegenden Superhelden Birdmann zu verweisen... und auf die am Himmel vorbeiziehenden Vögel.
Nicht zuletzt heißt Riggans Theaterstück "what we talk about when we talk about love". Darum geht es in seinem Stück, damit kämpfen alle beteiligten Darsteller (es entstehen mehrere neue Liebes-Beziehungen). Wann ist Liebe Liebe? Wann bloße Bewunderung? Wann Anerkennung? Mit einer der Schlüsselszenen zu diesen Fragen beginnt Riggans Theaterstück. Mit den Proben dieser Schlüsseszene beginnt der Film. Diese Szene wird mehrmals ganz verschieden geprobt und bei den Vorpremieren aufgeführt. Es ist, als müssten die Schauspieler ihr eigenes Verständnis dafür erst entwickeln, bevor sie die Rolle wirklich spielen können. Die komplette Handlung des Theaterstücks erfahren wir nicht nur die drei ausgewählten Schlüsselszenen. Die Handlung bleibt in der Schwebe. Symbolisch für die Frage, wovon sprechen wir, wenn wir über die Liebe reden? Ebenso wenig wie wir auf diese Frage eine Antwort geben können, können wir kaum beschreiben und erklären, warum es in dem Theaterstück geht, oder worum es eigentlich in Birdman geht. Es ist kaum auf den Punkt zu bringen. Was ist Liebe, was Bewunderung - jedem wird eine etwas andere Antwort auf der Zunge liegen. Das gleiche kann man über "Birdman" sagen. Viele verschiedene Anregungen, Ideen und Empfindungen kann man dem Film entnehmen. Er ist beladen mit Doppeldeutigkeiten, Symbolen und inhlatlichen Bezügen. Sie kommen allerdings derart unaufdringlich mit dem Film daher, dass man sie leicht übersieht.
Der Film ist schlecht und hervorragend zu gleichen Teilen. Es ist wie ein wunderschönes Kleid, von dem man weiß, dass es einem selber nicht passen würde. So ergeht es mir mit dem Film. Entweder er passt oder nicht. Mir hat er während des Guckens nicht so gut gefallen, trotz der fantastischen Schauspieler und der genialen Kamera. Dafür gefällt mir, die Nachwirkung des Film und das sowohl künstlerische wie philosophische Arrangement auf den zweiten Blick umso mehr. Ein amüsanter Film, der ein wenig den Surrealismus David Lynchs aufgreift. Ein Film des Super(natural)-Realismus.