Das Fernsehen ist tot - und was wird jetzt aus uns?

20.11.2009 - 15:38 Uhr
Das Fernsehen ist tot - und was wird jetzt aus uns?
Sidney Kimmel Entertainment; photobucket.com
Das Fernsehen ist tot - und was wird jetzt aus uns?
Das Fernsehen ist so gut wie tot, in seiner klassischen Form wird es mehr und mehr durch YouTube und Co. bedroht. Doch wie kann bei der Zersplitterung in tausende Webchannels ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen?

Die Fotografie tötete die Malerei, das Fernsehen tötete (fast) das Kino, video killed the radio star und das Internet tötet gerade die Zeitungen. Diese etwas holprige und extrem verkürzte Kulturgeschichte der letzten 150 Jahren legt den Finger in die Wunde: Auch dem Fernsehen, wie wir es kennen, geht es in Bälde an den Kragen! Wie ist das möglich? Seit einem halben Jahrhundert ist die Flimmerkiste doch das Leitmedium der (westlichen?) Welt; der rasante Zuwachs an Flachbildschirmen lässt gar die Vermutung zu, dass der moderne Mensch weiterhin auf sein täglich Medium besteht – und sogar immer mehr davon will. Vielleicht lässt sich die Veränderung mit viel Gefühl erklären…

Die letzte ihrer Art: Wetten, dass..? und das Wir-Gefühl
“Eine Wette bei Thomas Gottschalk bringt weder die Gesellschaft noch den Einzelnen weiter – doch sie stärkt das ‘Wir-Gefühl’” – Georg Seeßlen resümierte im Tagesspiegel anlässlich des 25-jährigen Jubiläums den Erfolg der “letzten großen Samstagabend-Show” Wetten, dass..?. Dieses Wir-Gefühl, von dem Seeßlen schreibt, wurde nicht zuletzt dadurch erzeugt, dass sich in den guten alten Zeiten die gesamte Großfamilie vor der Flimmerkiste versammelt hat: Mama bewunderte die eleganten Kostüme der internationalen Stars, Papa begutachtete die gut gebaute Sängerin mit den schönen Beinen, die Kinder freuten sich über die kuriosen Spiele und Oma mokierte sich halblaut über den allzu vorwitzigen Moderator. Am darauffolgenden Montag wurde auf den Schulhöfen, in den Kantinen und Supermärkten der Republik über die Highlights des Samstagabend diskutiert – hin und wieder gab es einen Skandal, der kollektiv verarbeitet werden musste, meist jedoch wurde allgemeine Zustimmung ausgedrückt.

Im Rückblick waren dies die goldenen Jahre der Fernsehunterhaltung: sauber, korrekt, gelegentlich über die Stränge schlagend. Zu schön, um wahr zu sein? Als Antwort nochmals Georg Seeßlen:

‘Wetten, dass..?’ ist Meta-Fernsehen, ein Bildschirmmythos: Fernsehen wie wir es von früher kennen und wie es vielleicht nie gewesen ist: Heimat stiftend, Harmonie bildend, lustig bunt und spannend, hat es die Welt für einen Abend wieder heil gemacht. Nur hinterher. Hinterher blieb immer ein komisches Gefühl zurück.

Und dieses “komische Gefühl” ist nun weg? Es hat sich zunächst einmal nur geändert…

Der Sündenfall: Die Privaten verführten mit Obstsalat
In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde plötzlich alles anders. Die privaten Fernsehsender gingen auf Sendung und gaben uns, was wir uns insgeheim immer gewünscht hatten: Trash, Boulevard und schlüpfrige Erotik. Tutti Frutti bildete den Höhepunkt der neuen TV-Weltordnung: Stinknormale Bürger strippten sich den Frust von der Seele, Hugo Egon Balder stand feixend daneben. Von einem Tag auf den anderen war Samstagabend-Unterhaltungsfernsehen nicht mehr für die ganze Familie da, denn Tutti Frutti schauten nur noch Mama und Papa. Das Wir-Gefühl blieb, wurde jedoch in kleinere Stücke zerteilt – montags redeten fortan nur noch die Mutigen über die burlesken Entgleisungen des Samstagabend.

Erste Vorzeichen: Die totale TV-Fragmentierung
Stefan Raab ist ein Visionär. Am 8. März 1999 ging er zum ersten Mal mit TV Total auf Sendung und zeigte den Medienkonsumenten, wo die Reise hingeht. Er war natürlich nicht der Erste, der sich gezielt an die junge Zielgruppe richtete. Doch TV Total führte vor, dass Bewegtbilder zwangsläufig in immer kleinere Häppchen zerteilt werden müssen, um im Strom der Medien konkurrenzfähig zu bleiben. Raab lies sich hierfür das perfekte Werkzeug bauen: Mit dem Nippelbrett wurde er der Master of Ceremony des Ich-will’s-nochmal-sehen. Die junge Generation war begeistert, doch sie wollte noch mehr, nämlich selbst die Kontrolle über die Inhalte übernehmen. Einige Jahre später fand sie in YouTube und Co. ihr eigenes perfektes Werkzeug. Das Wir-Gefühl wurde in noch kleinere Häppchen zerstückelt und im Netz verteilt.

Die Rückkehr des Wir-Gefühls mit anderen Mitteln?
Die jungen Zuschauer verabschieden sich ins Internet; RTL, ARD, ProSieben und Co. rennen hinterher; neue Content-Anbieter wie iTunes und YouTube sind schon da. Wenn sich nun jeder Nutzer autonom von Videoplattform-Chanel zu Videoplattform-Chanel, von Torrent zu Torrent hangelt, was wird dann aus uns? Brauchen wir (sic!) noch ein Wir-Gefühl?

Mancher wird an dieser Stelle mit Recht einwenden, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl nie wirklich weg war, sondern sich nur verlagert hat. Die neuen digitalen Technologien sorgen dafür, dass Identitäten nicht mehr allein durch Faktoren aus dem direkten räumlichen Umfeld geprägt werden, sondern von jedem beliebigen vernetzten Ort der Welt beeinflusst werden können. Ergo: Unser wir liegt irgendwo da draußen. Was hat das jetzt noch mit Fernsehen zu tun? Ich möchte an dieser Stelle als Antwort einen Wunsch äußern: Irgendjemand soll bitte mal eine wirklich unterhaltsame Show irgendwo in Europa oder sonst wo produzieren und sie live ins Netz casten. Meinen Anteil für ein neues Wir-Gefühl hätte dieser jemand.

Wie steht es mit Euch: Bleibt ihr dem Fernsehen in seiner alten Form so lange wie möglich treu? Oder schwenkt ihr mehr und mehr auf Internet bzw. IPTV um?

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Aktuelle News