Das große Gähnen – Tarantinos Lieblingsfilme 2013

10.10.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Quentin Tarantino
Universal
Quentin Tarantino
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In seinen Regiearbeiten huldigt Quentin Tarantino einem unterschlagenen Kino aus vergessenen und kanonresistenten Filmperlen. Eine Liste mit seinen Lieblingsfilmen 2013 könnte also sehr interessant sein, wenn sie nicht so schrecklich langweilig wäre.

Ein ganzes Quartal noch läuft das Filmjahr 2013, da hat Quentin Tarantino bereits seine diesjährigen Lieblinge gekürt. In einer Dreivierteljahresliste, quasi. Das Sortieren und Ausstellen des eigenen Filmgeschmacks ist natürlich eine unverzichtbare Disziplin der Cinephilie, eine Ordnung und Übersicht schaffende, zuweilen sehr intime Art, sich und sein Verständnis von Kino zu kommunizieren. Jedes Jahr veröffentlichen Filmemacher und –Verwerter, Filmfreunde und –Kritiker ihre Bestenlisten, ein transparentes, fast soziales Ritual, das in gewisser Hinsicht das Herzstück filmaffiner Vernetzung bildet. Ob der in Fachzeitschriften wie steadycam oder Sight & Sound fast inflationär betriebene Listenwahnsinn oder die alljährlich auf artforum veröffentlichte Top-10-Auswahl prominenter Namen wie John Waters: Zu sehen, welchen Film X etwa Lieblingsregisseur Y als seinen Favoriten nennt, ist schlicht ein schöner Ulk. Und es ist, klar, auch eine Möglichkeit, den vertrauten am fremden Geschmack abgleichen zu können: Sich zu freuen oder zu ärgern über bestimmte Nennungen, sich bestätigt zu fühlen oder auf die Suche zu begeben nach unbekannten Titeln. Denn Listen können auch Wegweiser sein, Inspirationen, Horizonterweiterungen, eine Anleitung zum Abseitigen.

Quentin Tarantinos Lieblingsfilmlisten sind traditionell weit davon entfernt, auf irgendeine Art interessant zu sein, und doch überrascht sie schon ein wenig, die totale Langweiligkeit seiner diesjährigen Auswahl. Sie ist weder anregend noch eigenwillig, weder enthusiastisch noch sonderlich persönlich, selbst noch ein Blick in aktuelle Kinocharts verspricht mehr Abwechslung. Es überrascht schon, dass Quentin Tarantino, bekannt für seine Mitwirkung an der maßgeblichen internationalen Erschließung eines unterschlagenen Kinos, ausnahmslos US-amerikanische Produktionen für die besten des Filmjahres 2013 hält. Schließlich ist er doch der geschmackskonsensfernste aller Hollywood-Hipster, jemand, der in seinen Filmen regelmäßig einem Kino huldigt, das als vergessen, verdrängt, verschmäht gilt, der in großem Stil alle Aufmerksamkeit auf die Bastarde der Filmgeschichte lenkt, der sich ja sogar als cinephiler Entdecker stilisiert und dafür kommerziell wirksam mit seinem Namen bürgt. Deshalb überrascht sie nicht nur, sie verwundert und –ärgert gar ein wenig, die affirmative Auswahl von Tarantino: Sie bekräftigt ein Kino aus Hits und dicken Zahlen, aus kunstgewerblichem Arthaus-Mainstream und ohnehin privilegierten Verwertungssystemen. Zu entdecken gibt es da nun wirklich absolut nichts.

Was also ist anzufangen mit einer Liste, die Cash-In-Sequels wie Kick-Ass 2, Disney-Geldverschwender wie Lone Ranger oder Konservendosenhorror wie Conjuring – Die Heimsuchung für satisfaktionsfähig erklärt? Die ein US-amerikanisches Independentkino feiert, das sich aus generischer Sundance-Bekömmlichkeit (Love. Sex. Life. und Before Midnight), cinephil pflichtschuldigem Altmännerkino (Blue Jasmine) oder einem gründlich missglückten Versuch, Mumblecore mit Mainstream-Ästhetik zu kombinieren (Drinking Buddies), speist? Und wie kann ein Filmemacher länger ernst genommen werden, der Das ist das Ende, diese bierselige Zotenparade unansehnlicher Nerds mit ihrem dusseligen Traumfabrik-Metatext, zu seinen zehn Lieblingsfilmen des Jahres zählt? Wo sind da die wagemutigen, künstlerisch herausfordernden Filme, wie sie Tarantino doch angeblich so sehr schätzt? Sollten ihm Leviathan, Drug War, Blau ist eine warme Farbe, Die wilde Zeit, Ihr werdet euch noch wundern, Ame & Yuki – Die Wolfskinder oder der neue Film von Hélène Cattet und Bruno Forzani tatsächlich nicht gefallen haben? Oder fand er zwischen Blockbuster- und Arthaus-Ranz einfach noch keine Zeit für sie? Und wo sind denn da die Ausreißer? Ist es etwa unangemessen zu erwarten, dass jemand, der im stolzen Besitz einer 35mm-Kopie von Keinohrhasen ist, dann gefälligst auch Kokowääh 2 als listenwürdig preist?

Selbstverständlich darf zwanghafte Originalität nicht das Ziel einer Bestenliste sein. Kann es keinen Sinn ergeben, die Favoriten so zusammenzustellen, dass sie möglichst wenige Übereinstimungen zu Konsens und Kanon, zu anderen Lieblingsfilmlisten verspricht. Das ist schließlich genauso langweilig, das Spiel um den längsten Cinepenis: Meine Lieblingsfilme kennt kein Mensch, denn meine Lieblingsfilme liefen nur auf Festivals. Meine Lieblingsfilme sind so exklusiv, dass selbst Fachkundige sie erst nachschlagen müssen. Und meine Lieblingsfilme wecken eine Scheinlust auf Titel, die selbst über Umwege nicht erhältlich sind. Aber ein bisschen experimentierfreudiger, ein bisschen abseitiger, ein bisschen weniger die herrschenden Distributionsverhältnisse dickfischiger Filmverleiher bestätigend darf es dann schon gern sein. So ist es eben auch nicht mutig oder radikal, mit Lone Ranger und Kick-Ass 2 Titel zu listen, die es bei Publikum und Kritik nicht leicht hatten, um vermeintlich zu Unrecht durchs System gefallene Blockbuster zu würdigen – denn spezielle Filme sind das deshalb noch lange nicht. Die Mischung macht’s, mindestens aber eine Auswahl, die auch etwas über den Auswählenden erzählt. Und Quentin Tarantinos Auswahl erzählt alles über einen durchschnittlichen Multiplex- und Programmkinogänger, aber nichts über den Mythos des kinobegeisterten Ausnahmeregisseurs, als der er gilt. Im Fazit meines Tarantino-Geburtstagstextes schrieb ich einst, sein Kino reiche „selten über das Niveau einer souverän inszenierten Lieblingsfilmliste“ hinaus. Nun darf es gern heißen: Einer souverän inszenierten, aber sterbenslangweiligen Lieblingsfilmliste.


Als Mr. Vincent Vega polemisiert sich Rajko Burchardt seit Jahren durch die virtuelle Filmlandschaft. Wenn er nicht gerade auf moviepilot seine Filmecke pflegt, bloggt Rajko unter anderem für die 5 Filmfreunde und sammelt Filmkritiken auf From Beyond. Die Spielwiese des Bayerischen Rundfunks nannte ihn “einen der bekanntesten Entertainment-Blogger Deutschlands”.

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