Der Index war eine Einkaufsliste mit staatlichem Gütesiegel

11.07.2018 - 08:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Österreich & Jugendschutz
Zorro Film / Majestic / Koch Media
Österreich & Jugendschutz
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In Österreich erzogen, in Deutschland wie ein Kind behandelt: Der Index wirft nicht nur für Zugezogene wie mich sehr viel Fragen auf. Ich habe mich mit dem in Österreich ansässigen Portal Schnittberichte.com über (Selbst)Zensur unterhalten.

Zumindest was Videospiele betrifft, habe ich schon als Kind in Österreich einen Unterschied zu Deutschland ausmachen können. Mein Vater betonte oft, dass er bloß nicht die beschnittene deutsche Version von diesem oder jenem Spiel kaufen dürfe. Die unzensierte Österreichische wäre besser. Wer also anderswo aufwächst und von seinen Eltern mit medienpädagogischem Selbstbewusstsein auf Unzensiertheit geschult wird, der fragt sich als Erwachsener in Deutschland schnell, warum er hier mit dem Index und beschnittenen Videospielen bevormundet wird. Ich habe im Rahmen unserer Themenwochen zu FSK - Index - Zensur mit einem österreichischen Experten über das Thema Selbstzensur und Index sowie die Unterschiede zwischen den Ländern gesprochen: Gerald Wurm von Schnittberichte.com .

Bei moviepilot stützen wir uns oft auf die ausführliche Recherche seiner Webseite, die er seit der Jahrtausendwende leitet. Ich habe nachgefragt, warum Schnittberichte von Deutschland nach Österreich auswandern musste und was er persönlich von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und dem ganzen System der Indizierung hält.

Moviepilot: Wann und wie kam die Idee für Schnittberichte.com?

Gerald Wurm: Um die Jahrtausendwende entstand die Idee, der ganzen Zensur rund um Filme und den unterschiedlichen Fassungen, in denen viele von ihnen existieren, näher auf den Grund zu gehen. Angefangen mit einer kleinen Gruppe leidenschaftlicher Filmfans, hat unser Projekt mit der Zeit viel Anklang gefunden. Dabei waren dann auch einige Leser, die uns mit ihrer eigenen Arbeit helfen wollten und so sind wir beständig gewachsen. Und auch heute noch lange nicht fertig.

Nicht mehr auf dem Index: Starship Troopers

Siehst du Schnittberichte.com in einer gewissen Aufklärungspflicht oder soll die Seite reinen Service bieten?

Das Schöne ist, dass wir beides miteinander verbinden können. Wir sind selbst so stark interessiert daran, auch komplexe Fälle von Zensur und Fassungsunterschieden zu verstehen und aufzudröseln. Wir lernen und entdecken immer wieder Neues, das wir dann auch gerne mit anderen Filminteressierten teilen. Dass die Resonanz darauf schon seit Jahren derart groß ist, ist für uns einerseits eine schöne Bestätigung und andererseits auch ein Antrieb, uns auch weiterhin möglichst vielen Titeln zu widmen.

Wann und warum ist Schnittberichte von Deutschland nach Österreich gezogen? Hatte der Umzug rechtliche Gründe? Welche?

Auch, wenn wir einen rein dokumentarischen Ansatz verfolgen: Die Bilder in unseren Artikeln zeigen oftmals Gewaltinhalte. Das war anno 2002 nicht mit dem deutschen Jugendschutz vereinbar, weshalb Schnittberichte.de in der Form nicht weitergeführt werden konnte. Dass man bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) oder Staatsanwaltschaften mitunter aber auf unsere seriösen Recherchen zu beispielsweise Dokumentationen von Schnittfassungen als Wissensquelle für Beurteilungen zurückgegriffen haben soll, ist uns über drei Ecken auch schon zu Ohren gekommen. Das zeigt uns, dass unsere Arbeit im Kern auch von den Institutionen als wertvoll erachtet wird. Nur die verbildlichte Form stellte für die Rechtsprechung damals ein Problem dar. Seit 2003 sind wir in Österreich verortet, wo rechtlich andere Voraussetzungen herrschen.

Nicht mehr auf dem Index: Das Böse

Welche Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich fallen für Schnittberichte ins Gewicht, beruflich und privat?

Der Unterschied fällt aufgrund gleichartiger Regeln nur mehr gering ins Gewicht. Während Österreich in der Vergangenheit freier mit dem Jugendschutz für Medien agieren konnte, lehnen sich die auf Antrag eingebrachten Prüfungsergebnisse der Jugendmedienkommission an die deutschen an. Das Jugendschutzgesetz hingegen ist Landessache und wird nur bei pornografischen, gewaltverherrlichenden oder diskriminierenden Medien eingesetzt. Daraus ergeben sich einerseits dem deutschen Staat angeglichene Altersfreigaben für Mainstream-Titel und andererseits dürfen österreichische Händler ungeprüfte Filme in ihren Shops anbieten. Da die TV-Anstalten auf die europäischen Pools zur Rechteverwertung zugreifen, gelten dieselben Ausstrahlungsregeln wie für Deutschland.

Was hältst du von der FSK und FSF?

Die Existenz von Prüfinstanzen an sich sehen wir nach wie vor als wichtig für die Jugendentwicklung an. Wir erleben bei der FSK und auch der für Videospiele zuständigen USK in den letzten Jahren einen deutlichen Wandel bei der Bewertung von Gewaltinhalten, die wesentlich zeitgemäßer wirkt als früher. Die für das TV zuständige FSF folgt in den meisten Fällen der Alterskennzeichnung der FSK, kann aber auch mal eigene Sondergenehmigungen für frühere Ausstrahlungen höher freigegebener Inhalte erteilen, wie z.B. Full Metal Jacket schon ungekürzt um 20:15 Uhr auf Kabel 1 erlauben. Das freut uns Filmfans dann natürlich und zeigt, dass man auch dort je nach Fall liberaler wird.

Ungeschnitten um 20.15 Uhr im Fernsehen: Full Metal Jacket

Was hältst du vom Index?

Er ist eben leider die Lösung, für die sich der deutsche Jugendschutz vor einigen Jahrzehnten entschieden hat. Natürlich würden wir uns alle eine Situation wie in den Niederlanden wünschen, die komplett ohne sowas auskommen und in Sachen Lockerheit sicherlich das Vorbild schlechthin sind. Der Index war für Filmfans ja früher der Inbegriff des Verbotenen und für viele ironischerweise auch eine Art "Einkaufsliste" mit staatlichem "Gütesiegel". Prinzipiell ist Jugendschutz nach wie vor wichtig, gerade in der heutigen Zeit sind die Inhalte teils immer extremer geworden. Da sie aber auch via Youtube und Streaming-Services wesentlich leichter zu konsumieren sind und auch die Bestellung aus dem Ausland heute keine so hohe Hürde mehr darstellt wie in den 1980ern und 1990ern, hat der Index viel von seiner abschirmenden Wirkung eingebüßt. Außerdem beweisen die zahlreichen aufgehobenen Indizierungen und Beschlagnahmen der letzten Jahre, dass viele Filme und Games da heutzutage auch einfach nicht mehr hingehören. Die Sehgewohnheiten haben sich stark verändert und zum Glück gehen BPjM und FSK da oft auch schon diese Entwicklung mit.

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Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg bei der weiteren Arbeit.

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