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Der schlechteste Tourist der Welt

01.10.2015 - 11:39 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Brügge sehen... und sterben?
Universum Film
Brügge sehen... und sterben?
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Auf, auf, in ferne Länder, Städte und Orte, denn das "Fernweh" packt die große Community-Blogaktion. Auch diesen Monat sind fleißige Moviepiloten zur Stelle, euch im Rahmen von blog me if you can mit neuen, interessanten Artikeln zu Film und Serie zu versorgen.

Auch ihr, liebe Leser, könnt bei dem Projekt mitmachen und euch jederzeit dem aktuellen Monatsthema widmen. Wie das funktioniert, erfahrt ihr in den FAQ. Alle weiteren Texte zum Thema "Fernweh" findet ihr am Ende dieses Blogartikels.

* * *

Ken: Coming up?
Ray: What's up there?
Ken: The view.
Ray: The view of what? The view of down here? I can see that down here.
Ken: Ray, you are about the worst tourist in the whole world.

Sind wir Ray oder eher Ken?
Oder von vorne: Ray ist ein Auftragskiller. Ken ist ebenfalls ein Auftragskiller. Doch im Gegensatz zu ihm hat Ray ordentlich Mist gebaut; er hat einen kleinen Jungen erschossen und damit ihren Job in London vermasselt. Ihr Boss Harry schickt sie zur Erholung nach Belgien in das beschauliche Brügge. Bloß ein paar Tage untertauchen und auf Harrys Anruf warten, so schwer kann das nicht sein, oder?

Was sich für Ken als wahrgewordener Touristentraum voller mittelalterlicher, magischer Orte entpuppt, die es motiviert zu besichtigen gilt, steckt der depressive Ray in einem Alptraum fest, in einem langweiligen Städtchen voller langweiliger Dinge und langweiliger Menschen.

Martin McDonaghs Brügge sehen... und sterben? kann gar nicht anders, als der perfekte Film zu sein, um sich selbst auf dem touristischen Spektrum einzuordnen. Na gut, vielleicht stimmt das nicht ganz, denn immerhin ist Brügge hier der Schauplatz für Auftragskiller und Depression, für Filmcrews und Drogendealer, für Zwerge und Pferdebetäubungsmittel, für enge Wendeltreppen und adipöse Amerikaner. Das mutet fast schon surreal an. Wie soll man sich da als unbedarfter Zuschauer an die Hauptstadt Westflanderns mit ihrem wunderbar unverbaut erhalten gebliebenen, mittelalterlichen Stadtkern bloß annähern? Also wenn ihr Harry fragt...

Harry: [about Ray] So he's having a really nice time?
Ken: Well, I'm having a really nice time. I'm not sure it's really his cup of tea.
Harry: [after a long pause] What?
Ken: You know, I'm not sure it's really his thing.
Harry: What do you mean it's not really his thing? What's that supposed to mean? It's not really his thing. What the fuck is that supposed to mean?
Ken: Nothing, Harry.
Harry: It's a fairytale town, isn't it? How's a fairytale town not somebody's fucking thing? How can all those canals and bridges and cobbled streets and those churches, all that beautiful fucking fairytale stuff, how can that not be somebody's fucking thing, eh?

Na und wenn ihr auch noch mich fragt, ist meine Meinung gar nicht einmal so weit von der des leicht reizbaren Bosses entfernt. So herrlich witzig der trockene Dialoghumor im Schlagabtausch zwischen Ray und Ken auch sein mag: Wenn Eigil Bryld die Kamera an Kunstwerken entlang, durch Kirchen und Kanäle und schließlich über die in goldenes Licht getauchten nächtlichen Plätze zwischen den Fachwerkhäusern fahren lässt, wie könnte man dem Zauber Brügges widerstehen? Welcher Mensch könnte so herzlos sein? Nun, Ray kann.

Und was ist eigentlich mit den Alkoven im Königin-Astrid-Park? Drauf geschissen, wenn es nach Ray geht. Der hat ganz andere Probleme und schafft es nicht einmal ein paar Tage in Brügge zu entspannen. Aber wie soll man auch, wenn man ein unschuldiges Kind getötet hat, den Kopf frei bekommen? Nicht einmal Harry könnte das, im Gegenteil, er würde den Kopf nach eigener Aussage sogar noch füllen und zwar mit einer Kugel, um einem derart widerlich schuldigen Dasein ein Ende zu bereiten.

Gibt es denn einen schöneren Ort als Brügge, um die letzten Augenblicke seines Lebens zu genießen (oder desinteressiert verstreichen zu lassen)? Natürlich nicht und dann ist der Griff zur Waffe auch nicht fern. Doch halt! Ray mag ein schlechter Tourist sein, da ist sich Ken sicher, aber ist er deswegen auch ein schlechter Mensch? Ihr entscheidet! Immerhin lässt Ray sogar der Besuch des Groeningemuseums kalt, dessen Sammlung Kunstgegenstände aus sechs Jahrhunderten umfasst. Ist dem Mann eigentlich noch zu helfen?

Maybe that's what hell is, the entire rest of eternity spent in fucking Bruges

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