Die Überlänge wird im Kino zur Norm

30.07.2012 - 09:17 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Batman muss 164 Minuten lang auf den Feierabend warten
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Batman muss 164 Minuten lang auf den Feierabend warten
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Während Peter Jackson eine Kinderbuchadaption auf drei Filme ausbreiten will, müssen die Kinozuschauer in The Dark Knight Rises 164 Minuten lang Sitzfleisch beweisen. Die Überlänge scheint längst zur Norm geworden zu sein.

Der immer wieder lesenswerte Blog The Mary Sue sammelte kürzlich fünf Trends, welche die Filmbranche Peter Jackson zu verdanken hat. Der Regisseur der Herr der Ringe-Trilogie machte beispielsweise die Motion Capture-Technologie salonfähig und Maßstäbe in Sachen DVD-Features setzten seine Fantasy-Epen ebenso. Ganz oben auf der Liste steht allerdings die Popularität der Überlänge. Die betrifft nicht nur großformatige Literaturverfilmungen und Arthouse-Werke auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Superhelden- und Actionfilme, ja sogar Komödien, ziehen sich, zumindest dem Gefühl nach, immer öfter in die Länge und das ist keine verkappte Metapher für eine unzureichende Dramaturgie. Dabei gab es früher einmal einleuchtende Gründe für Spielzeiten zwischen 90 und 120 Minuten.

Ran mit der Schere
Früher, als alles noch besser und die Erde eine Scheibe war, konnte die Überlänge finanzielle Einbußen bedeuten. Je länger der Film war, desto weniger Vorstellungen waren an einem Tag möglich, weshalb weniger Zuschauer ein Ticket lösen konnten. Zum anderen war bereits im Produktionsprozess das Filmmaterial eine nicht zu unterschätzende Investition, weswegen die alte Praxis, die Story an Länge und Zahl der Filmrollen auszurichten, nicht Nostalgie, sondern ein verständnisvolles Nicken ob der pragmatischen Erzählweise hervorlocken sollte. Natürlich gab es zu Zeiten des Klassischen Hollywoodkinos Filme mit Überlänge wie Vom Winde verweht. Mittlerweile scheint sich dieses Phänomen allerdings in mehr und mehr Genres auszubreiten, die ihrem Wesen nach nicht zu epischen Erzählungen tendieren.

Die Herr der Ringe-Trilogie (Beispiel: Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs, 2003, 201 Minuten in der Kinofassung) steht zwischen den Genrestühlen, was vielleicht die Voraussetzung für ihre wegweisende Rolle war. Einerseits haben wir es hier mit einem modernen Monumentalfilm zu tun (Beispiel: Der Untergang des Römischen Reiches, 1964, 188 Minuten), eine Großproduktion samt epischer Reise, epischen Schlachten und epischer Fußbehaarung. Andererseits zählen Zwerge, Elben und Hobbits zu den Helden, viel Action wird auch noch geboten und von den Spezialeffekten fange ich gar nicht erst an. Im Gegensatz zum vergleichsweise klassischen Epos Titanic (194 Minuten), stechen die Genrewurzeln der Herr der Ringe-Reihe stark hervor. Natürlich gab es im besagten Früher Genrefilme mit Überlänge (Der Dieb von Bagdad, 1924, 155 Minuten). Wenn wir auf die aktuell erfolgreichsten Filme des Jahres 2012 in den USA blicken, überrascht die bloße Menge überlanger Filme trotzdem. Marvel’s The Avengers auf Platz 1 zählt 142 Minuten, Die Tribute von Panem – The Hunger Games 142 Minuten, The Dark Knight Rises 164 Minuten. Da wirkt The Amazing Spider-Man mit seinen schlanken 136 Minuten (!) geradezu wie ein Kurzfilm. Was nicht alles über einen Teenie im Spinnenkostüm erzählt werden kann…

Marathon im Kino
Die Untersuchung der durchschnittlichen Laufzeit von Filmen über mehrere Dekaden hinweg führt unterschiedliche Ergebnisse zu Tage, je nachdem, wie die Filmauswahl erfolgt (Oscar vs. Box Office, große vs. kleine Auswahl etc.). Eine Analyse kam zum Ergebnis, dass die durchschnittliche Laufzeit von Spielfilmen seit den 1960er Jahren zwischen 125 und 129 Minuten schwankt, Zeiten also, die von den vier erfolgreichsten Filmen des Jahres 2012 deutlich überschritten werden. Warum rede ich von der Top 4? Weil Merida – Legende der Highlands, Der Lorax und Madagascar 3 – Flucht durch Europa, die auf den folgenden Plätzen liegen, alle kürzer ausfallen. Animationsfilme werden schon wegen ihrer Zielgruppe weniger ausladend erzählt. Ihr Produktionsprozess fordert jedoch auch eine strengere Beschränkung auf das Wesentliche.

Warum liegen nun so viele Minuten zwischen der Geschichte einer schottischen Prinzessin und der von Roboter-Autos bzw. Auto-Robotern (Kein Transformers kommt unter 140 Minuten ins Ziel)? Ist es wirklich notwendig, die Story von Männern und Frauen in Latex-Anzügen auf diese Länge auszudehnen? Immerhin hat Tim Burton seine beiden Batman-Filme in 126 Minuten erzählt. Christopher Nolan benötigte für jeden seiner drei Franchise-Einträge mindestens 140 Minuten. Die Überlänge kann auf Regisseure zurückgeführt werden, die kein Maß mehr kennen. Es gibt allerdings auch log(ist)ische Erklärungen. Digitales Filmen fällt günstiger aus als die Nutzung von analogen Streifen. Multiplexe und digitale Filmprojektion ermöglichen heutzutage das Abspielen von einem Film in mehreren Sälen gleichzeitig. Weniger Vorstellungen auf Grund der Überlänge schneiden damit nicht mehr so stark ins finanzielle Fleisch.

Die Tendenz, Genrefilme auf eine wie auch immer geartete Epicness zu bürsten, gleicht der Fortführung der Themenpark-Strategie mit anderen Mitteln. Nicht nur 3D soll uns wieder ins Kino locken. Auch das Spektakel muss immmer größer, teurer, ja, epischer werden. Stellten die Studios der kleinen Mattscheibe früher Cinemascope entgegen, lebt der Gedanke des Kinos als Ort bigger than life in aufgeplusterten Actionfilmen weiter, in Abenteuerfilmen, die die Exzesse eines dauerbetrunkenen Piraten wichtig genug nehmen, um sie auf 136 Minuten auszubreiten (Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten). Die finanzielle Konsequenz dieser Entwicklung erleben wir übrigens jetzt schon. Wenn die Zuschauer diese Laufzeiten in Kauf nehmen, warum nicht gleich die ganze dünne Geschichte auf zwei, drei Filme aufblasen?

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