Was wäre, wenn die größte Action-Szene in einem James Bond-Film kein aufwendiger Stunt oder eine halsbrecherische Verfolgungsjagd wäre, sondern ein Gespräch von sechs Personen, die um einen Tisch herumsitzen? Mit dem Poker-Turnier in Casino Royale ist Daniel Craigs 007 diesem Gedankenspiel überraschend nahegekommen. Regisseur Steven Soderbergh geht noch einen Schritt weiter.
Der kreative Kopf hinter der Ocean's-Trilogie hat mit Black Bag einen spannenden Gegenentwurf zu groß angelegten Agentenfilmen gedreht, der anstelle von waghalsigen Missionen den Alltag der MI6-Mitarbeiter:innen in den Vordergrund rückt. Soderbergh stellt einmal mehr die Konventionen des vertrauten Hollywood-Kinos auf den Prüfstand und fragt: Wie sähe eigentlich eine Ehe in diesem Arbeitsumfeld aus?
In Black Bag werden Michael Fassbender und Cate Blanchett als MI6-Ehepaar auf die Probe gestellt
Die überraschende Antwort folgt gleich zu Beginn des Films: George Woodhouse (Michael Fassbender) und Kathryn St. Jean (Cate Blanchett) sind ein absolutes Traumpaar. Jede:r beim britischen Secret Intelligence Service sehnt sich nach einer Beziehung, wie sie die beiden pflegen. Sie sind ein lässiges, intelligentes Power-Couple, das mühelos Karriere macht und in einem wunderschönen Haus in London lebt.
Und das Unverschämteste ist: In ihren Augen lodert eine Leidenschaft, die selbst die strikten Hierarchien und Sicherheitsprotokolle des MI6 nicht ersticken können. Soderbergh wäre allerdings nicht Soderbergh, wenn er sich damit zufriedengeben würde. Mit Drehbuchautor und Blockbuster-Veteran David Koepp (Mission: Impossible) stellt er das vermeintlich unbesiegbare Ehepaar auf die Probe.
Als ein streng geheimes und gefährliches Programm namens Severus in die falschen Hände gerät, muss George einen prüfenden Blick auf sein Umfeld werfen. Zu den Verdächtigen gehören nicht nur der MI6-Nachwuchs Clarissa (Marisa Abela), Freddie (Tom Burke), James (Regé-Jean Page) und Zoe (Naomie Harris). Auch Kathryn gerät ins Feld der Verdächtigen, sodass Berufs- und Privatleben kollidieren.
Die Wahrheit ist allerdings: Sie sind längst miteinander verschmolzen.
Eine Trennung des Beruflichen und des Privaten findet in Black Bag nicht statt. Der Film lässt die Dialoge fließend von Büroräumen ins Wohnzimmer der MI6-Elite übergehen, ehe sich alle Hauptfiguren an jenem Esstisch einfinden, den Soderbergh wie ein großes Action-Set-Piece in Szene setzt. Aufmerksam klebt die Kamera an den Lippen der Figuren, folgt jeder noch so unscheinbaren Geste und legt die Nerven frei.
Ein Dinner als großes Action-Set-Piece: Steven Soderbergh zeigt sich von seiner nerdigsten Seite
Wer verrät sich zuerst? Die meiste Zeit über spielen George und Kathryn beim Dinner mit den geladenen Gästen, was dank messerscharfer Dialoge eine Freude für sich ist. Am interessantesten wird der Film jedoch, wenn er die beiden Eheleute gegeneinander aufbaut und sich dem Kern der Geschichte annähert: Können George und Kathryn überhaupt ehrlich zueinander sein oder befinden sie sich stets im Spionagemodus?
So perfekt die Beziehung nach außen wirkt – hinter geschlossenen Türen fallen immer wieder die kryptischen Worte, die dem Film seinen Titel geben und signalisieren, dass eine Information unter Geheimhaltung steht. Wo warst du gestern Abend? Black Bag. Wohin gehst du heute? Black Bag. Und warum hast du Severus gestohlen? Nun ja, diese Frage formuliert George nicht so direkt. Das wäre viel zu einfach.
Soderbergh ist Film-Nerd genug, um jeden einzelnen Schritt der komplizierten Intrigen, die sich Koepp ausgedacht hat, mit voller Hingabe mitzugehen. Die Figuren nehmen die aufwendigsten Umwege in Kauf, um sich gegenseitig auf die Schliche zu kommen. Trotzdem fühlt sich der Film in seiner Inszenierung unheimlich reduziert an – mitunter zu reduziert. Ist das etwa nur eine intellektuelle Fingerübung in Filmform?
Black Bag wirkt äußerst kühl und abgeklärt, wenn Soderbergh vertraute Elemente des Agentenfilms auf den Kopf stellt, um zu zeigen, dass er diese Art von Kino mühelos einmal komplett auseinandernehmen und wieder zusammensetzen kann. Gleichzeitig ist es genau diese Mischung aus Entlarvung und Umarmung, die mitunter für die besten Szenen in Black Bag verantwortlich ist – und davon gibt es einige.
Kalte Eleganz und erotische Spannungen: Black Bag ist nicht nur ein Agenten-, sondern auch ein Liebesfilm
Abseits der famosen Dinner-Sequenz, die im Finale des Films sogar in einer radikaleren Version wiederholt wird, wartet Black Bag mit mehreren Momenten auf, die mit dem Thrill-Level eines James Bond-Films locker mithalten können. Dazu gehört etwa ein extrem gut geschriebener, gespielter und geschnittener Lügendetektortest sowie eine illegale Satelliten-Übernahme im Herzen der gut überwachten MI6-Zentrale.
Für Soderbergh ist der Agentenfilm aber nicht nur ein Genre aus Prozessen. Am meisten lebt Black Bag von seinen erotischen Spannungen. Es ist der größte Pol, den er seiner kalten Eleganz gegenüberstellt. In jeder der Figuren glühen Lust und Ehrgeiz zu gleichen Teilen. Der brillanteste Schachzug erfolgt fast unerkannt, wenn Soderbergh diesen Hunger nimmt und Black Bag fast unbemerkt in einen Liebesfilm verwandelt.
Fazit: Nehmt das Star-Kino aus Mr. & Mrs. Smith, die Genre-Spielereien aus Duplicity und den Agentenalltag aus Dame König As Spion und ihr kommt irgendwann bei Black Bag an. Steven Soderbergh hat einen packenden, pointierten Anti-Bond gedreht, der am Ende auch noch mit einem ganz besonderen Coup aufwartet. Niemand Geringeres als Ex-Bond Pierce Brosnan läuft als Bösewicht zu genüsslich hassenswerter Höchstform auf.
Black Bag startet am 15. Mai 2025 in den deutschen Kinos.