Die Hauptrolle in Ridley Scotts Gladiator II hätte für Paul Mescal vor sieben Jahren nicht weiter entfernt sein können. Damals gab der irische Schauspieler seine Traumkarriere als Fußballspieler nach einer Verletzung mitsamt gebrochenem Kiefer auf. 2024 ist Mescal jetzt in körperlicher Hochform auf der Kinoleinwand zurückgekehrt, nachdem er in den letzten Jahren vor allem in sensibel-zerbrechlichen Männerrollen brillierte.
Um besser zu verstehen, woher die tragische Tiefe in Paul Mescals Lucius-Performance kommt, lohnt sich ein Blick auf drei prägende Filme und Serien aus dessen Vergangenheit.
Normal People machte Paul Mescal schlagartig zum neuen Shootingstar
Im verwirrend-überfordernden Pandemie-Jahr 2020 konnte sich das Internet im April immerhin auf eine Sache einigen: Paul Mescal verleiht einer zeitgemäßen Form von Männlichkeit ein aufregendes neues Gesicht. Als Connell spielte er den großen Gegenpart zu Daisy Edgar-Jones' Marianne in der Serienadaption Normal People von Sally Rooneys gleichnamigem Beststeller.
Hier könnt ihr noch einen Trailer zu Normal People schauen:
Die Beziehung zwischen der introvertierten Schülerin aus einer wohlhabenden Familie und dem charismatischen Sportler entwickelte sich zur unfassbar herzzerreißenden Liebesgeschichte durch fast alle bekannten zwischenmenschlichen Höhen und Tiefen.
Nach dem Vorbild von Rooneys Roman spielte Mescal seinen Connell mit einer bemerkenswerten Einfühlsamkeit. Trotz der athletischen Erscheinung und der Außenwirkung als umschwärmter Highschool-Darling legte der Schauspieler Schicht um Schicht mehr unterdrückte Unsicherheit frei.
Dazu kamen ebenso intime wie realistische Sexszenen, die im ersten Coronavirus-Jahr inmitten von Lockdowns und Zwangsisolation noch stärker einen Nerv getroffen haben dürften. Schlagartig war Paul Mescal das junge Aushängeschild für eine bestimmte Form von Männlichkeit, die das offene Ansprechen von Gefühlen und Unsicherheiten orientierungsloser Twentysomethings ausdrückte. Diese Form des sensiblen jungen Manns sollte er danach noch spannend variieren.
Aftersun und All of Us Strangers untermauerten Paul Mescals besondere Ausstrahlung
Vorletztes Jahr zählte das Spielfilmdebüt Aftersun der schottischen Regisseurin Charlotte Wells direkt zu den besten Werken 2022. Mescal ist darin als junger Vater Calum zu sehen, der einen Urlaub mit seiner Tochter Sophie an der türkischen Riviera verbringt.
Schaut hier einen Aftersun-Trailer:
Der Clou an Aftersun ist, dass wir Mescals Calum nur aus der subjektiven Perspektive von Sophie kennenlernen. Wells blickt durch die Augen seiner Tochter auf ihn wie auf ein Puzzle, das Teil für Teil zusammengesetzt wird, ohne jemals vollständig zu sein.
Wieder war es Mescal, der seiner Figur eine stumme Verletzlichkeit verlieh, die in dem Film nur selten in emotionalen Ausbrüchen sichtbar wurde. Auf brillante Weise fängt Wells das Gefühl ein, alte Familienfotoalben zu durchwühlen oder Videokassetten vergangener Urlaube immer wieder zu bestimmten Momenten zurückzuspulen, um die Menschen darin, die uns am nächsten stehen, irgendwie besser verstehen zu können.
Sein in Normal People aufgebautes Bild zerbrechlicher Männlichkeit formte Mescal zu einer noch rätselhafteren, tragischeren Version davon. Aus jeder nostalgisch eingefärbten Szene von Aftersun strahlt gleichzeitig melancholischer Schmerz, den der Hauptdarsteller in sich gefangen hält.
Ähnlich mysteriös knüpfte Mescal an diesen Rollentyp nochmal in Andrew Haighs bestürzendem Mystery-Melodram All of Us Strangers an. Hier ist es Sherlock-Star Andrew Scott, der als einsamer Drehbuchautor in London nicht nur seine vor Jahrzehnten bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Eltern wiedertrifft. Scotts Adam findet auch Trost und Nähe durch die frische Beziehung zu seinem jüngeren Nachbarn Harry, der von Paul Mescal gespielt wird.
All Of Us Strangers ist nicht nur durch die surrealen Auftritte von Adams Eltern, denen er im selben Alter wie er selbst begegnet, ein geisterhafter Film. Neben Gesprächen, in denen er mit ihnen sein Leben als homosexueller Mann in der Gegenwart reflektiert, dient Harry Adam als Spiegel einer aktuellen, jüngeren Generation queerer Menschen.
Der Star verleiht seiner Rolle eine unverklemmte Lockerheit, in der trotzdem wieder die Mescal-typische, verschwiegene Traurigkeit mitschwingt. Wenn Harry Adam in der ersten gemeinsamen Szene sichtlich angetrunken darum bittet, von ihm in die Wohnung gelassen zu werden, bringt der Schauspieler fast alle Eigenschaften seiner Figur mit nur einem einzigen Auftritt zum Vorschein.
Andrew Haigh hebt sich den großen Paukenschlag zwischen ihnen bis zum Ende von All of Us Strangers auf, das nicht als plumper Twist missverstanden werden sollte. Paul Mescals Schauspiel hat die ganze Zeit schon gezeigt, was nur niemand wahrhaben wollte.
Paul Mescals sensible Männlichkeit blitzt auch in Gladiator 2 durch
Diese Form der verletzlich-gefühlvollen Maskulinität bringt der Russell Crowe-Nachfolger auch im Gladiator-Sequel mit. Körperlich tritt Mescal hier als anfänglicher General und späterer Gladiator so aufgepumpt und kraftvoll wie nie auf.
In den Schlachtszenen, die für Fans des ersten Teils wieder das Herzstück der Fortsetzung sein dürften, mutiert Mescals Lucius zur physisch erschütternden Kampfmaschine. Wenn der Protagonist zu Beginn den Verlust seiner Frau betrauern muss und später die Gewissheit über das schwere Erbe seiner Familie wutentbrannt aus sich herausschreit, lassen sich alle seine vorangegangenen Rollen auch in dem Gladiator II-Protagonisten erkennen.
In vielen Kritiken zum zweiten Teil wird der neue Hauptdarsteller als schwächere Version von Russell Crowe bezeichnet. Doch Paul Mescal verkörpert in Gladiator II einen überraschenden, ganz eigenen Action-Helden.
Statt purer Muskelkraft erlaubt sich Lucius oft stille Verletzlichkeit und besonnene Nachdenklichkeit – und damit erinnert auch der Schauspieler dahinter daran, welchen Weg er bis zu dieser Rolle gegangen ist.