Verwandte und Freunde sagen mir nach, ich hätte schon im Kindergarten eine Affinität zu den sogenannten Außenseitern durchblicken lassen. Wenn ich versuche zurückzudenken, muss ich dann tatsächlich feststellen: Es stimmt. Vielleicht nicht ausschließlich, aber es stimmt. Liebenswerte Verlierertypen, schüchterne Freaks und schweigsame Einzelgänger haben es mir angetan. Dazu kommt noch meine Vorliebe für Musik, Filme und auch sonst alles, was lange vor mir auf der Welt war. Es ergibt sich also fast zwangsläufig ein Klassiker, dem ich heute mein Herz für Klassiker schenken will: Der General.
Warum ich Der General mein Herz schenkte
Buster Keaton spielt in seinem eigenen Stummfilmklassiker den Lokomotivführer Johnnie Gray, der seine geliebte Lokomotive mitsamt seiner menschlichen Geliebten den Händen einer Gruppe von Spionen der US-Nordstaaten entreißen will. Spätestens als Johnny eifrig und wohlgemerkt als Einziger beginnt, die Verfolgung aufzunehmen, ist es um mich geschehen. Welcher Mann überquert schon Staatsgrenzen und begibt sich allein in feindliches Gebiet, um eine Lok zu retten? Eben. Für mich verkörpert Johnny Gray eine frühe Form des Freaks, vereint goldigen Humor mit tiefer Melancholie, und dafür muss ich ihn einfach lieben.
Warum auch andere Der General lieben werden
Es mag vielleicht Menschen geben, die eher auf die geballte Ladung Testosteron als auf liebenswerte Trottel stehen. Diesen sei gesagt, dass wir es zwar mit einem emotionalen Johnny, aber auch mit einem hammerharten Buster zu tun haben. Der verzichtete nämlich völlig auf künstliche Effekte oder auch nur Stuntmen, und drehte alles, buchstäblich bis zur Bewusstlosigkeit, selbst. Auch das spricht für ihn als Freak. Natürlich hätte er es sich einfacher machen können, aber nein, er wollte Authentizität und echten Einsatz. Ich finde das in Anbetracht des hehren Ziels nur richtig: des Herzens seiner Geliebten. Und nicht zu vergessen, die Lokomotive. Als wäre das noch nicht genug: Mein Herz hat er zusätzlich gewonnen, das sollte ja mittlerweile deutlich sein.
Warum Der General einzigartig ist
Da steht ein Mann allein auf einer Lok. Im Grunde ist das der Kern der Geschichte, denn geben wir einmal zu: Besonders vielschichtig ist die Story nicht. Sie verläuft parallel zu den Gleisen, auf der Johnnys Lok Meter für Meter vorwärts rollt. Oder auch rückwärts. Erst einmal mag das fast langweilig klingen, doch Buster Keaton schafft es, uns über die meiste Zeit der insgesamt 78 Minuten köstlich im Alleingang zu unterhalten, liefert uns ein Kammerspiel in einem sich ständig bewegenden Setting.
Warum Der General die Jahrzehnte überdauert
Auch in der Antwort auf diese Frage stecke ich wieder absolut in meiner Außenseiter-Thematik. Schließlich war der Film des Mannes, der niemals lachte, nicht immer so beliebt wie heute. Dass er Mitte des Jahrhunderts, fast 30 Jahre nach seiner Veröffentlichung, wieder entdeckt wurde, zeigt aber meines Erachtens, dass der darin enthaltene Humor weder an eine Generation, noch an eine Gesellschaftsschicht gebunden ist. Wenn Buster Keaton versehentlich eine Kanone auf sich selbst richtet, wenn er in wahnwitziger Akrobatik über seine Lok klettert, wenn er nonchalant Baumstämme von den Gleisen räumt, ihm seine eigene Lok davon fährt, wenn er seine Freundin in einen Sack verpackt und selbst darüber stolpert, dann verstehen das Kinder oder Verfechter der Schadenfreude ebenso wie Sarkasten oder Intellektuelle.