In jungen Jahren habe ich mir mit meinem Vater lange Zeit einen erbitterten Wettkampf um die Pole Position der High Scores in Pokémon Pinball geliefert. Mittlerweile schwingt bei dem aus zwei Flippern bestehenden Titel, der damit verbundenen Wut, der Frustration und dem Kampfgeist immer das Gefühl von Heimat mit — ganz egal, wo ich auch bin.
Neulich saß ich irgendwo kurz vorm Potsdamer Platz im Bus und konnte mich nicht am Lichtermeer der städtischen Weihnachtsdekorationen sattsehen. Während ich mit glitzernden Augen nach draußen blickte, nahm hinter mir ein Mutter-Tochter-Gespann Platz. Sie lachten, freuten sich auf den weiteren Abend und strahlten so viel Harmonie aus, dass mir plötzlich ganz anders wurde.
Auf einmal war da ein Gefühl, das ich beinahe schon vergessen hätte: Heimweh. Seitdem ich Anfang des letzten Jahres von einem Örtchen in der Nähe von Hannover nach Berlin gezogen bin, habe ich mich noch nicht damit auseinandersetzen müssen. Eigentlich habe ich mich mein gesamtes Leben über nie so sehr an meine Heimat geklammert, dass ich ohne meine Eltern und alles, dazugehört, nicht zurechtgekommen wäre. Und genau deshalb traf mich diese Gefühlsregung vollkommen unvorbereitet.
Wie es sich für die Pubertät nun einmal so gehört, sind auch meine Eltern und ich in unzähligen Wortgefechten immer wieder aufeinander geprallt. Daraus resultierten tiefe Furchen in unserem Miteinander, die ich für unüberwindbar hielt. Als ich gegen Ende des Jahres 2014 meine Hände nach Berlin ausstreckte, um hier mein Volontariat zu beginnen, verbesserte sich unsere Beziehung zueinander innerhalb weniger Monate so schlagartig, wie ich es nicht mehr für möglich gehalten hätte.
Als ich an jenem Abend vor einigen Wochen zurück in meine Wohnung kam, fühlte ich mich nicht abgrundtief einsam, aber ich dachte darüber nach, wie schön es jetzt wäre, ein wenig Zeit mit meinen Eltern zu verbringen. Da es schon zu spät war, um bei ihnen anzurufen, dachte ich fieberhaft über eine Möglichkeit nach, mit der ich die rund 300 Kilometer überbrücken konnte. Zumindest gefühlt.
Nachdem ich kurz in den Untiefen meiner Schubladen herumkramte, stieß ich auf Pokémon Pinball, einen Titel, der für mich einen unglaublich hohen Nostalgiewert hat. Im Grunde ist dieser kleine Zeitvertreib sehr simpel aufgebaut und besteht lediglich aus zwei Flipper-Tischen, zwischen denen zu Beginn jeder Partie gewählt werden kann. Einer von ihnen ist rot, der andere hingegen blau. Und Franchise-Fans dürfte nun schon längst klar sein, dass sich die Entwickler hier an den ersten beiden Pokémon-Editionen orientiert haben.
Während ihr einen Pokéball über eure Spielfläche bewegt — den ihr durch Interaktionen mit bestimmten Spielelementen übrigens bis zum Meisterball aufwerten und so massig Punkte kassieren könnt — reist ihr zu beschwingter Musik durch die Region Kanto. Die beiden Flipper-Tische befördern euch zu jeweils unterschiedlichen, bekannten Orten, von Alabastia bis zur Zinnoberinsel. Deshalb könnt ihr euch am roten Tisch andere Taschenmonster schnappen als am blauen, und auch die Bonus-Level unterscheiden sich voneinander.
Neben den Highscores, um deren Führung mein Vater und ich uns so verbissen bekriegt haben, fordert euch Pokémon Pinball außerdem dazu heraus, einen Pokédex mit allen possierlichen Wesen der ersten Generation zu füllen. Deshalb gibt euch das Spiel die Möglichkeit, eure Pokémon weiterzuentwickeln. Auch dieser Prozess läuft, ebenso wie beim Fangen, durch Interaktionen zwischen eurem Spielball und dem Flipper-Tisch ab. Bei Entwicklungen müsst ihr außerdem kleine Items einsammeln, etwa Erfahrungspunkte oder für die Evolution benötigte Objekte wie Steine.
Während ich also an jenem Abend lächelnd auf dem Sofa saß und in eine Decke eingewickelt der stimmungsvollen Game Boy-Musik lauschte, war die Welt wieder in Ordnung, weil sich in mir das warme Gefühl von Heimat ausbreitete. Mit Unravel erscheint im nächsten Monat ein charmanter Puzzle-Plattformer. Darin repräsentiert ein Faden die Heimatverbundenheit von Hauptfigur Yarny, den das Garn-Figürchen hinter sich herzieht. Mein Äquivalent dazu sind Videospiele wie Need for Speed III: Hot Pursuit, Barbie: Zauberhafte Pferdewelt oder eben Pokémon Pinball.
Im echten Leben kann ich mit Flippern trotzdem nicht allzu gut umgehen.