Ich, Woodstock & das konservierte Zeitgefühl

22.04.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Richie Havens in Woodstock
Warner Home Video
Richie Havens in Woodstock
4
13
Mit mehr warmen Sonnenstrahlen rückt die diesjährige Festival-Saison näher. Woostock, Archetyp aller Musikfestivals, war ein Wegbereiter auch für die hierzulande florierende Open-Air-Kultur. Wie gut, dass es dazu einen Film gibt.

Woodstock ist als das Festival schlechthin in die Geschichte eingegangen. Es stellt nicht nur ein Symbol und den Höhepunkt der damaligen subversiven Jugendbewegung dar, sondern sollte auch deren letztes Aufbäumen sein. Der gleichnamige Film von Michael Wadleigh versucht, Zeugnis darüber abzulegen, was an jenem Wochenende im Jahr 1969 auf den Feldern Bethels los war. Die in in den letzten Jahren aufkommende Kritik erscheint unangemessen, weil sie meistens darauf abzielt, den teilweise naiven Idealismus der Blumenkinder zu verspotten und behauptet, der Film sei eine in Bilder gegossene Mystifizierung der Veranstaltung. Der Woodstock-Film bildet aber einige der Geschehnisse hautnah ab und sollte deshalb als historisches Dokument von hoher audiovisueller Qualität gesehen werden, welches die Protagonisten als Menschen zeigt und sogar einige der Auftritte als misslungen entlarvt. Wer weiß, welche Geschichten ohne den Film noch herumschwirren würden, denn: „Wer sich an die Sechziger erinnern kann, war wahrscheinlich nicht dabei.“

Warum ich Woodstock mein Herz schenke
Woodstock vereint meine zwei größten Leidenschaften miteinander: Musik und Film. Die Musiker übernehmen die Hauptrollen und die meisten von ihnen spielen preisverdächtig, expressiv und exzessiv. In meiner Jugend war ich fasziniert von den Künstlern der 1960er Jahre und der Kultur besagten Jahrzehnts: Jimi Hendrix, Canned Heat, Jefferson Airplane, die Rolling Stones, die Doors und Santana beschallten in Dauerschleife das heimatliche Zimmer und die frühen Perlen des New Hollywood schlugen ihre Zelte in meinem DVD-Regal auf. Zwar glaube ich Hunter S. Thompson, wenn er schreibt: “Aber keine Erklärung, keine Wortkombination oder Musik oder Erinnerung könnte an das Gefühl heranreichen, zu wissen, dass man dabei war und in jener Ecke der Zeit und in der Welt gelebt hat, was immer das bedeutet. Es herrschte Wahnsinn in jeder Richtung, zu jeder Stunde, man konnte überall Funken erzeugen. Es herrschte ein fantastisches, universelles Gefühl, dass was immer wir taten richtig war, dass wir gewinnen würden. (…)” Doch ich empfinde Woodstock als einen Schlüssel, der die Türe öffnet, hinter welcher jene vergangene Zeit liegt. Der Film lässt zumindest erahnen, was sich damals abspielte, wie die Menschen dachten und fühlten. Vor allem in dieser Hinsicht handelt es sich um eine Dokumentation, weil sie das Lebensgefühl dieser bewegten Ära konserviert und wenigstens annähernd erfahrbar macht.

Warum auch andere Woodstock lieben werden
Betrachten wir Woodstock nicht durch die nostalgische Brille, so handelt es sich trotzdem um einen der besten Musik- und Festivalfilme überhaupt. Der Zuschauer kann nicht nur die unzähligen Musikern, die mittlerweile Legendenstatus genießen, hautnah bei der “Arbeit” zuschauen, sondern auch einen Blick hinter die Kulissen des Ereignisses werfen, welches die damalige/-n (und vielleicht auch die nachfolgende/-n) Generation/-en prägte. Die Interviews mit dem auf einem Pferd herbeireitenden Veranstalter Michael Lang und den überforderten “Nachbarn” sind genauso unterhaltsam wie die Konzerte. Außerdem offenbaren die Sequenzen zwischen den Auftritten spannende und mitunter sehr lustige Einblicke in die Probleme und Hindernisse, die mit der riesigen und aus dem Ruder laufenden Veranstaltung einhergingen. Dank der vielen Kameras war es möglich, die Anarchie und das allgegenwärtige Chaos des Festivals einzufangen. Hinsichtlich der formalen Mittel sind vor allem die verwendeten Splitscreens auffällig, welche wir dem jungen Martin Scorsese zu verdanken haben. Am Schneidetisch sorgte er dafür, dass die Performances der Bands und Solokünstler visuell gekonnt unterstützt werden. Exemplarisch hierfür steht Santanas Soul Sacrifice, einer der vielen Höhepunkte. Michael Shrieve, der Schlagzeuger der damals noch unbekannten Band und mit seinen 20 Jahren der jüngste teilnehmende Musiker des Festivals war, spielte mit einem mehrminütigen Solo sich und die Zuschauer in Ekstase.

Warum Woodstock die Jahrzehnte überdauert
Die Musik der 1960er Jahre wird junge und alte Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen auch in Zukunft begeistern, weshalb Woodstock nicht nur als Zeitdokument stets eine wichtige Rolle spielen wird. Dass der Film nach wie vor großen Einfluss, auch auf Filmemacher ausübt, beweisen zum Beispiel Taking Woodstock von Ang Lee oder Django Unchained. Quentin Tarantino platziert – wie wir es von ihm gewohnt sind – genau an der richtigen Stelle das richtige Lied: Die Live-Aufnahme von Richie Havens improvisiertem Freedom jagte mir im Kino die Gänsehaut über den Rücken. Andere Festivals nehmen sich auch heute noch ein Beispiel an Woodstock. An dieser Stelle sei auf das kleine Wudzdog hingewiesen, das sich bemüht, sein Line-up alljährlich mit einer Band des tatsächlichen Woodstocks zu vergolden. Dadurch konnte ich vor einigen Jahren Canned Heat (beziehungsweise die noch lebenden Bandmitglieder) live erleben.

Was verbindet ihr mit dem Woodstock-Film? Welcher Auftritt ist eurer Meinung nach der Gelungenste?

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News