Interstellar - Liebesbrief an die Weltraumerkundung

15.11.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Ein Filmtitel, den man nur so inbrünstig brüllen kann, darf, ja muss, wie Brando 1951: ""HEYYYY STELLLAAAAAAAAAAAAAAAAA...!"
moviepilot/Warner Bros.
Ein Filmtitel, den man nur so inbrünstig brüllen kann, darf, ja muss, wie Brando 1951: ""HEYYYY STELLLAAAAAAAAAAAAAAAAA...!"
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Ein neuer Film von Christopher Nolan. Die Superlativen überschlagen sich. Fans und Hater formieren sich. Und irgendwie ist Interstellar eben doch nur ein Film. Oder? Unser Kommentar der Woche sieht in ihm einen der besten Filme des Jahres.

Im Kommentar der Woche feiern wir jeden Samstag einen der Kommentare, die ihr irgendwo in den Weiten des moviepilot-Universums hinterlassen habt. Sei es zu einem Film, der die Welt rettet, zu dem von einer Serie geschaffenen Universum, oder der mitreißenden Darbietung eines Schauspielers. Der Kommentar der Woche kann überall auf euch lauern, und wenn euch irgendwo auf moviepilot die Worte eines anderen Users so sehr begeistert haben, dass ihr am liebsten tausend Antworten schreiben würdet und ihm einen großen Monolithen errichten - sagt uns Bescheid, am besten per Nachricht!

Kommentar der Woche

Ichundso feiert sein eigenes Kommentar-Jubiläum auf moviepilot und nur ein Film war würdig genug für diesen Anlass: Interstellar, der neue Film von Christopher Nolan:


Dies ist mein eintausendster Kommentar auf moviepilot. Und ja, ich hatte das geplant. Die letzten zwei Wochen über immer mal wieder einen Blick auf den Zähler geworfen, so dass es auch genau mit dem Termin hinhaut. Denn worum ging es denn in diesen 999 Kommentaren? Kino Kino Kino Kino Kino und jetzt, endlich, Interstellar? The Space Movie to end all Space Movies? 10 Punkte, Lieblingsfilm? Es wäre ein schöner Anlass gewesen. Aber erstens kommt es und so weiter. Und auch wenn Interstellar für mich nicht den Instant-Klassiker-Status von Nolans letzten zwei Filmen erreicht, ist sein Liebesbrief an die Weltraumerkundung immer noch einer der besten Filme des Jahres.

Was mich von Anfang an fasziniert hatte, war die Idee eines Christopher Nolan-Films, der die Barrieren von Raum und Zeit sprengt, und dies, anders als Inception, der sich nach innen verschachtelte, nach außen tut. Weg von der Erde, hinaus ins Universum. Wo keine Kamera und kein Visual Effects-Team je war. Doch interessanterweise ist der vielleicht fehlerfreiste Teil von Interstellar die Dreiviertelstunde, in der wir uns noch auf der Erde befinden. Und in der man von den Ausmaßen und Ambitionen noch nichts merkt. Nolan erzählt von seiner dystopischen Welt, ganz ohne Luftaufnahmen von zerstörten Feldern oder Städten, er bleibt immer eng bei den Charakteren. Sandstürme sind keine monumentalen Naturspektakel, sie sind eng und hart und alles was man über sie wissen muss, ist die Bedrohlichkeit der aufwirbelnden Wolken am Horizont und die Härte, mit der sie um die Fenster und Türen eines Hauses schlagen.
Allgemein ist die Welt ist kleiner geworden. „Aktualisierte“ Schulbücher scheinen auf dem besten Weg zu sein, der Menschheit auch noch die letzte Hoffnung zu nehmen, dass sie irgendwie mehr sein könnte als ein im Staub strampelndes Tier. Das wunderschöne Musikvideo, in dem der Astronaut Chris Hadfield im Weltall David Bowies Space Oddity sang, ist nicht nur wegen der vermutlich schlechten Internetverfügbarkeit nicht mehr Teil des kulturellen Gedächtnisses, sondern weil die Menschheit sich am Anfang von Interstellar an einem Punkt befindet, an dem sie noch nie weiter von den Sternen entfernt schien.
Als Matthew McConaugheys Charakter Cooper dann endlich seine Reise antritt, tut er dies in einem nüchtern ausgestatteten Raumschiff. Hologramm-Bildschirme, wie man sie aus so gut wie jedem Blockbuster der letzten fünf Jahre kennt, sucht man hier vergebens, selbst die amüsanten Bordroboter haben ein karges, monolithartiges Design. Dies ist keine Mission der Coolness. Coopers heroischer Moment, der Weg zur Rakete (ein letztes Winken, welch ein Heldenmut), ist eine Demontage dieses Moments in Armageddon und vielen anderen Filmen der Art. Denn eine unsichere und gefährliche Mission zur Rettung der Erde hat nichts mit Coolness zu tun. Viel wichtiger ist das, was Cooper auf der Erde zurücklässt.

In den Filmen David Finchers zeigt sich oft, dass Fincher meist nur dann zu einem Close-Up greift, wenn es unbedingt notwendig ist. Nolan folgt in Interstellar einem beinahe umgekehrten Modell. Ähnlich wie in den Szenen auf der Erde bleibt er auch im Weltraum mit der Kamera immer möglichst „auf dem Boden“ und verzichtet auf schwebende Establishing Shots von Raumschiffen und schwerelosen Kamerafahrten, wie sie seit Jahrzehnten im Sci-Fi-Kino üblich sind und letztes Jahr in Gravity perfektioniert wurden. Seine Kameras scheinen meist fest an der Schiffseite oder dem Frontfenster montiert, werden einfach mitgezogen ins All, statt des Raumschiffs dreht sich die Galaxie darum. Das führt dazu, dass, wenn er diesen Stil bewusst bricht und wir statt Close-Ups von Gesichtern einem einsamen Schiff auf dem Weg in den gigantischen und abgrundtiefen schönen goldenen Schlund eines schwarzen Lochs zusehen, die Wirkung des Bildes gleich doppelt trifft. Ein lächerlich kleines Rettungsboot in der Tiefe eines unkontrollierbaren und wilden Universums.

Doch wir blieben nicht lange bei dieser Einstellung. Und genau das ist der Schlüssel zu Interstellar. Die viele Presse über die außergewöhnlichen, physikalischen Errungenschaften von Produzent Kip Thorne und ihre Integration in den Film führen ein wenig in die Irre, denn sie suggerieren, dass es sich hier um Nolans technischsten Film handelt, um eine Odyssee durch Physik und Mathematik. Doch auch wenn all diese Aspekte zweifellos da sind und dem Film eine willkommene Härte und bisweilen auch wissenschaftliche Trockenheit geben, ist dies der erste batmanlose Film, in dem sich Christopher Nolan mehr Gedanken über die Charaktere als über die Handlung gemacht zu haben scheint.

Sicher, die Reise durch das Wurmloch und andere kosmische Merkwürdigkeiten sehen so surreal aus, wie es wohl kein anderer Regisseur bei einem Film dieser Größe durchboxen könnte, und die schiere Skala des Gezeigten ist nur sehr selten, vielleicht nie, in dieser Form im Kino versucht worden. Aber im Grunde genommen ist die Handlung von Interstellar doch relativ simpel. Auch das Ende, das nicht gerade unerwartet kommt, ist keine bahnbrechende Schnapsidee, wie die 2001-Analogien vermuten lassen würden, sondern bildet einen einfachen und logischen Bogen.

Womöglich ist Nolans neuer Film eigentlich eine einzige Täuschung. Anstatt Grenzen zu sprengen und in Welten vorzudringen, von denen wir nie zu träumen gewagt hatten, führt uns Interstellar am Ende vielleicht, genau wie Inception, nur in den Kopf seines Protagonisten und in die Liebe eines Vaters zu seinen Kindern, wie weit die auch entfernt sein mögen. Die Bedeutung des Gezeigten und das Gezeigte an sich ziehen sich genauso auseinander, wie die Dimensionen am fliegenden Rand eines Wurmlochs. Und all die großen Begriffe, das Universum und die Menschheit schießen am Ziel vorbei, das doch so viel kleiner ist und sich in der einen perfekten Szene zusammenfügt, in der Cooper seine Tochter im Arm hält und vergeblich versucht, ihr zu versprechen, das er wiederkommen wird. Irgendwie. Irgendwann. Die Liebe und die Verzweiflung in den Seelen dieser beiden Menschen sind größer als alles, was man auf die Leinwand packen könnte. Als Cooper das Zimmer verlässt, fällt auf mysteriöse Weise ein Buch aus dem Regal. „Warum?“ ist da die falsche Frage. In der richtigen Frage kommt das Buch vielleicht nicht einmal vor.

Kleine Beobachtungen:
- Schauspielerischer Höhepunkt: Anne Hathaway. Zum zweiten Mal stiehlt sie völlig unerwartet die Show in einem Nolan-Film, und dasm ohne auch nur für eine Sekunde ins Überdramatische zu geraten. Ihre Performance ist wahnsinnig schwierig, ein Kampf zwischen einem brillanten Geist und einem gebrochenen Herzen, von dem sie nicht zu viel preisgeben will. Völlig anders als Catwoman und ohne enges Leder-Outfit (leider, hust), aber großartig.
- Hans Zimmers Soundtrack ist faszinierend, tosend, aber bedächtig. Manchmal leise im Hintergrund, manchmal haut er einem die Orgeln um die Ohren, so dass man kaum noch die Dialoge versteht. Aber auf eine gute Art.
- Matthew McMumblecore ist auch ohne Soundtrack-Getöse teilweise wahnsinnig schwer zu verstehen. Synchro könnte ausnahmsweise mal eine gute Idee sein.
- Das Wichtige ist wahrscheinlich, dass ich während Interstellar geweint habe. Mehrere Male sogar. Kino Kino Kino Kino Kino und heulen. So mag ich mein Leben.

Den Originalkommentar findet ihr übrigens hier.

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