„Achtung Spoiler!“, nichts liest man heutzutage häufiger in Film- und Serienkritiken. Selbst seriöse überregionale Zeitungen, deren Autoren sich lange schon im Serienwahn befinden, arbeiten vermehrt mit Spoiler-Warnungen. Die Handlung steht im Vordergrund, die Form scheint nur schmückendes Beiwerk zu sein. Tatsächlich ist es ja bei vielen Mainstream-Filmen so, dass sie ästhetisch vollkommen austauschbar sind und man sie nur noch inhaltlich voneinander überhaupt unterscheiden kann. Myriaden von Zuschauer, die gespannt auf die neue Staffel einer x-beliebigen Serie warten, um zu erfahren, wie es weitergeht, erinnern zudem an pubertierende Teenager, die vor ihrer Lieblingsseifenoper kleben und Protestbriefe an die „Bravo“ schreiben, wenn die Lieblingsfigur einen Serientod sterben soll. Wer heute nicht vor Spoilern warnt, und seien sie auch noch so marginal, wird teils aggressiv beschimpft und angefeindet.
Ganz neu ist das aus Angst und Hass gespeiste Phänomen, auf keinen Fall den Inhalt vorab erfahren zu wollen, auch wenn man den Begriff Spoiler noch nicht verwendete, jedenfalls nicht, sorgte doch der berühmte Kabarettist Wolfgang Neuss schon vor Jahrzehnten für einen riesigen Skandal: 1962 strahlte das Deutsche Fernsehen die sechsteilige Kriminalserie Das Halstuch aus. Wolfgang Neuss schaltete nun einen Tag vor der Ausstrahlung der letzten Folge eine Anzeige in einer Berliner Boulevardzeitung, um seinen Film Genosse Münchhausen zu bewerben: „Ratschlag für morgen (Mittwoch abend): Nicht zu Hause bleiben, denn was soll’s: Der Halstuchmörder ist Dieter Borsche… Also: Mittwoch abend ins Kino!“ Neuss bekam daraufhin Morddrohungen und die BILD-Zeitung titulierte ihn als „Vaterlandsverräter“. Unklar bleibt bis heute, ob Neuss den Mörder nur erraten hatte oder ob er tatsächlich seine Information aus einer geheimen Quelle erhielt. Die heftigen und völlig unangemessenen Reaktionen auf diesen an sich witzigen Streich sind heutigen Empörungswellen im Internet nicht unähnlich. Die Aktion von Wolfgang Neuss zeigt aber, dass der Erfolg des Krimis allein auf dem Whodunnit-Prinzip beruhte. Einem wirklich bedeutenden Film hätte dieser Spoiler viel weniger schaden können.
Sollte man also grundsätzlich spoilern? Nein, denn der
Film, der sich aus dem Vorgängermedium, dem dramatischen Theater, entwickelt
hat, war stets auch handlungsorientiert. Handlung war nie unwichtig und
insofern sollte man mit Spoilern behutsam umgehen. Dennoch gibt es keine Grund
für die gegenwärtige Panik vor Spoilern, denn sie wird den guten Filmen nicht
gerecht.
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