Knut Elstermann über seine Tante Gerda

05.11.2008 - 09:47 Uhr
Knut Elstermann und Tante Gerda
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Knut Elstermann und Tante Gerda
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NEWS» Filmkritiker Knut Elstermann beantwortet Fragen zu Gerdas Schweigen.

Am Donnerstag startet der Dokumentarfilm Gerdas Schweigen, der nach dem Buch von Knut Elstermann entstand. Der Filmkritiker ist auch rege auf moviepilot vertreten. Wir veröffentlichen mit seiner freundlichen Genehmigung ein Interview zum Film. Das Gespräch führte Cornelia Klauß im September 2008

Was war für Sie der Auslöser für die Aufarbeitung dieser Geschichte, nach fast 40 Jahren Ihrer ersten Begegnung mit Gerda?
Das hing eng mit dem Tod meiner Großmutter zusammen. Sie war eine wunderbare Erzählerin und konnte über die Vergangenheit in geradezu druckreifer Form berichten. Dabei war sie eine einfache Arbeiterfrau. Als sie starb, war plötzlich eine Tür zu. Da habe ich gemerkt, dass ein Stückchen unserer eigenen Geschichte vorbei und so vieles immer noch unbeantwortet ist. Als ich dann Gerda in New York angerufen habe, dachte ich, es würde alles viel einfacher sein: Ich stelle ein Aufnahmegerät hin, lasse sie erzählen und schreibe das dann nieder. Sehr schnell wurde mir bewußt, dass jemand, der 60 Jahre lang über etwas nicht gesprochen hat, keinen Monolog abliefert. Da gibt es Bruchstücke und Fragmente, dazwischen ganz viel Ungelöstes und Nicht-Verbundenes, was ich für das Buch versucht habe, auszufüllen.

Es gibt zahllose Bücher, Material, Untersuchungen, Zeugnisse über den Holocaust.
Welche Herangehensweise haben Sie für Gerdas Schweigen gewählt?

Ich bin kein Historiker und würde diesen Anspruch auch nicht erheben, obwohl ich alles, so gut ich konnte, nachrecherchiert habe. Es gibt große wichtige Bücher zu dem Thema und die wichtigsten sind von jenen geschrieben, die selber in Lagern waren. Ich habe mich für die Form der literarischen Reportage entschieden. Es sollte Journalismus bleiben, sachlich und nüchtern, die Geschichte selbst ist schlimm genug. Zum anderen ist mir aufgefallen, dass man in der Fülle des Materials leicht den emotionalen Zugang zu den Opfern verliert. Wir haben in den letzten Jahren im Kino eine ziemlich starke Täterfixierung erlebt. Bei den Opfern dahingegen denkt man: ist schon klar, dass die gelitten haben. Das finde ich falsch. Man muss als Einzelner wenigstens einmal versuchen, einen Leidensweg zu durchdenken, auch wenn man es niemals ganz begreifen wird. Gerdas Geschichte ist furchtbar, und manches ist sicher nur wenig bekannt, wie das Schicksal von Neugeborenen in Auschwitz. Aber es gibt auch andere, ermutigende Facetten wie die vielen Menschen, die Gerda geholfen haben: Über die weiß man auch nur sehr wenig. Dass es diesen ganz einfachen Mut gab, dass Menschen das gemacht haben, was sie für richtig hielten – das war möglich!

Wie kam es zu der Wahl von Britta Wauer als Regisseurin für den Dokumentarfilm?
Was prädestinierte sie?

Ich kannte ihre vorhergehenden Arbeiten, ich wusste, dass sie Grimme-Preisträgerin ist, und dachte, dass sie die Richtige sein könnte. Ausschlaggebend war ihre erste Reaktion, nachdem sie das Buch gelesen hatte. Sie schrieb mir, dass sie von der Geschichte beeindruckt sei und den Film gerne machen würde. Aber sie müsse mir gestehen, dass sie noch nicht wisse, wie der Film aussehen solle, es würde schwierig werden. So ein Eingeständnis finde ich Vertrauen erweckend: Erst einmal Skepsis zu zeigen und zu überlegen, was da auf einen zukommt. Sie hat sich als sehr gute Wahl erwiesen, vor allem, weil sie es sich an keiner Stelle leicht gemacht hat.

Welche Spuren der verdrängten Vergangenheit haben Sie in Gerdas New Yorker Alltag erlebt?
Wie zeigte sich das im Familienleben?

Da ist zuallererst das Schweigen, das im Raum steht. Eine Familie lebt für mich durch ihre tradierten Geschichten, so kenne ich das von zu Hause. Diese Weißt-du-noch-damals-Stimmung. Kinder saugen das auf, wenn die Erwachsenen sich gemeinsam erinnern. Das hat Steven nie erlebt. Gerda und ihr Mann kommen aus einer fast ausgelöschten Familie und wollten alles, was mit der Vergangenheit zusammenhing, abschließen. Das hat der Sohn natürlich gespürt. Ihm fehlt ein Stückchen Identität. Im Gegenzug gab es ihm gegenüber hohe Ansprüche: Jetzt muss er es besser haben … Aber allein die Vorstellung, den Eltern sei etwas Furchtbares passiert, ist für die Kinder ein entsetzlicher Gedanke. Die Eltern, die eigentlich Schutz geben sollen, waren einmal selber ganz schutzlos. Das ist ein düsteres und noch nicht abgeschlossenes Kapitel.

Wie würden Sie Ihre Rolle im Film definieren, in dem sie ja zusammen mit Gerda und Steven eine Art Dreieck bilden?
Das war gar nicht so einfach: Rekapituliert man noch einmal alles, was man bei den Recherchen fürs Buch gemacht hat? Tut man so, als ob man die Recherche noch einmal nachvollziehen würde? – Das wäre verlogen. Ich begreife mich eher als ein Erzähler. Der Film hat ja glücklicherweise keinen belehrenden Kommentartext, so dass ich versuche, die verbindenden Glieder und nötigen Erklärungen zu geben. Der Film greift Situationen auf, die erst nach der Veröffentlichung des Buchs passiert sind. Er verhandelt gewissermaßen die Folgen des Sprechens nach dem Schweigen. Ich fand die Entscheidung, das Buch nicht eins zu eins zu verfilmen, immer absolut richtig. Britta Wauer musste natürlich viele Geschichten weglassen, wie unsere Familienbiografie, die im Buch sehr ausführlich erzählt wird, auch mit schuldhafter Verstrickung durch meinen Großvater, der bei der Militärpolizei in Tschechien war. Was ich in dem Film ganz neu entdecken konnte, ist Gerdas neues Selbstbewusstsein. Sie geht anders, sie sitzt anders vor der Kamera, sie hat es – bei allen Schmerzen – gern gemacht. Es gibt eine Befreiung, die man ihr anmerkt.

Gerdas Sohn Steven hat nach der Veröffentlichung des Buchs aus dem Internet von seiner im KZ geborenen Schwester erfahren. Welche Verabredung hatten Sie mit ihm?
Die Grundvereinbarung war, dass es keine englische Übersetzung des Buchs geben würde. Das Ganze bleibt widersprüchlich, was der Film ja auch nachvollzieht: Den einen Tag sagt Gerda, es war ein Fehler zu schweigen, den anderen Tag, es war richtig. Ich kann nur vermuten, dass sie das Geheimnis keinesfalls mit ins Grab nehmen wollte. Sie hat – und das finde ich ganz normal, das gibt es in jeder Familie – den richtigen Zeitpunkt verpasst, es Steven zu sagen. Die Arbeit am Buch war für sie dieses “Sprechen im Walde”. Sie musste es einfach loswerden. Aber da sie es Steven nicht direkt sagen konnte, aus Gründen, die sehr privat sind, hat sie den Umweg über das Buch gewählt. Es kann sein, dass sich das gesamte Projekt nur darum rankt. Vielleicht tröste ich mich auch damit, dass ich nach einer Rechtfertigung suche. Sie musste damit rechnen, dass er es erfährt, und war dann letztlich erleichtert.

Vielleicht äußert sich in dem Schweigen auch ein starkes Bündnis zwischen Mutter und Sohn, das er nicht aufbrechen wollte, schon gar nicht durch jemanden von außen?
Es gibt keine letztgültige Klarheit und kein Happy End, nach dem man sich zufrieden zurücklehnen könnte. Das Buch sollte nie Selbstzweck sein, daher habe ich auch die vielenLesungen in den Schulen gemacht. Für Gerda hat das alles Sinn, sie wollte immer, bei allen Schwierigkeiten, dass ich ihre Geschichte erzähle. Sie ist stolz auf das Buch und den Film, den sie mit großer Bewegung gesehen hat. Sie bekommt Briefe von Schulklassen aus Deutschland, manche auf Englisch, und ist unglaublich gerührt. Letztens erzählte sie, dass Steven die englischen Briefe gelesen hat und sehr nachdenklich wurde. Er sagt zwar nicht, dass das Buch doch sein Gutes hätte, wenn Schüler zu solchen Gedanken angeregt würden. Aber ich hoffe, er wird es irgendwann einmal akzeptieren können.

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