Kreativer Störenfried, bei dem Spiel Ernst wurde

23.08.2010 - 08:50 Uhr
Aus: Christoph Schlingensief und seine Filme
Filmgalerie 451
Aus: Christoph Schlingensief und seine Filme
6
6
Am Samstag ist Christoph Schlingensief, Theater-, Film- und Opernregisseur sowie Aktionskünstler, gestorben. Er wurde nur 49 Jahre alt. Wir haben für Euch einige Stimmen zu seinem Tod.

Christoph Schlingensief ist tot. Anfang 2008 wurde bei dem Künstler Krebs diagnostiziert. Infolge seiner Krankheit entfernten ihm die Ärzte die linke Lunge, aber im Dezember 2008 wurden in der verbliebenen rechten Lunge neu entstandene Metastasen gefunden. Andere würden sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, aber nicht Christoph Schlingensief. Er war im Februar 2009 Jury-Mitglied bei der Berlinale, schrieb ein Buch über seine Krankheit und brachte das Thema auch auf die Theaterbühne.

Heute wird der Theater-, Film- und Opernregisseur sowie Aktionskünstler von den Medien verabschiedet und erstaunlich ist, wie sich das Bild gewandelt hat. In seinen künstlerischen Anfangsjahren wurde Christoph Schlingensief noch kopfschüttelnd belächelt, von fast allen Institutionen abgelehnt (unter anderem zweimal von der Münchener Filmhochschule), zu Filmfestivals erst gar nicht eingeladen oder wegen seinen Kunstaktionen kritisiert und sogar verhaftet. Das hat sich geändert: Christoph Schlingensief wird als Universalkünstler gesehen, der unserer Gesellschaft den Spiegel vorgehalten hat, der immer wieder Tabus aufbrach, der mit neuen Formaten die Kunstsparten durcheinander brachte, der mit der Wirklichkeit spielte wie kein anderer deutscher Künstler.

Erinnern werden wir uns immer an seine Aktionen, etwas mit Arbeitslosen den Wolfgangsee zum Überlaufen zu bringen oder in Big Brother-Manier Ausländer in einem Container hausen zu lassen und sie raus zu wählen, fertig zur Abschiebung. Kein Künstler aus Deutschland hat aus dem künstlerischen Spiel derart viel Ernst gemacht, so das einem das Lachen im Halse stecken blieb.

Einige Stimmen zum Tod von Christoph Schlingensief
“Die größte Wirkung auf Deutschlands Kulturwelt aber hatten möglicherweise nicht Schlingensiefs Weltverzweiflungsarien und nicht seine heute schon verklärte Aufmöbelung der Bayreuther Opernwelt mit dem “Parsifal” von 2004; die nachhaltigsten Folgen hatten auch nicht seine oft blutrünstigen Katastrophenfilme und seine vogelwilden Theaterinszenierungen – die größte Wirkung hatte vielleicht doch eher der geniale Blödsinn, mit dem dieser Künstler den gepflegten deutschen Kulturschrebergarten aufwühlte." (Wolfgang Höbel im Spiegel)

“Obwohl Christoph Schlingensief fast alles über das Kino wusste, versteckte er sein Handwerkszeug hinter der Maske des vermeintlichen Dilettanten. Die Freiheit, die ihm das bescherte, entschädigte ihn für die fehlende institutionelle Anerkennung. … Erst im Blick auf das ganze mediale Spektrum, das er beherrschte, zeigt sich seine Größe. Man muss schon zurückgehen zu Jean Cocteau und Orson Welles, um einen Virtuosen zu finden, der ähnlich über alle Gattungsgrenzen triumphierte.” (Daniel Kothenschulte in der Frankfurter Rundschau":http://www.fr-online.de/kultur/gesamtkunstkino/-/1472786/4580282/-/index.html)

Christoph Schlingensief war ein warmherziger, direkter Mensch, der einfach die ganze banale Schaustellerei der deutschen Öffentlichkeit, die Heuchelei und Verlogenheit, die Schutzmechanismen der Macht nicht ertragen konnte, und deswegen früh einen Angriffsreflex ausbildete, den er auf alles bezog: das politische Tagesgeschehen wie das zwischenmenschliche Zwangsverhalten, die Verdrehung der Wirklichkeit durch Medien, aber auch die Schlaumeierei von neunmalklugen Berufskritikern.” (Till Briegleb in der Süddeutschen Zeitung)

“Man hat Christoph Schlingensief Aktionismus vorgeworfen, ihn als Medienclown missverstanden. Dabei erinnerte er die zutiefst abgeklärte Kulturszene einfach nur daran, dass Handeln möglich ist, ohne jeden Sinn für Widersprüche über Bord zu werfen.” (Andreas Rosenfelder in der Welt)

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News