Looking - Wie eine Serie das perfekte Date inszeniert

27.07.2017 - 09:20 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Das perfekte Date
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Die HBO-Serie Looking stellt eine willkommene Abwechslung in der Darstellung schwuler Charaktere in Film und Serie dar. Insbesondere die Aufregung des ersten Kennenlernens fasst sie in einer Episode besonders gut ein.

2011 bewies der britische Regisseur Andrew Haigh, dass er ein wahrer Künstler ist, wenn es darum geht, schwule Männer authentisch und frei von Klischees zu inszenieren. Vor sechs Jahren veröffentlichte er den Indie-Film Weekend, der die kurze Romanze zweier schwuler Männer erzählt. Drei Jahre später zeigte Haigh, dass sein Talent für die schnörkellose Darstellung queerer Männer und ihrem Umfeld auch in Serienform funktioniert. 2014 lief bei HBO die 1. Staffel der - viel zu kurzlebigen - Serie Looking an. Diese folgt drei schwulen Männern in San Francisco und ihren Freunden, Freundinnen und potentiellen Partnern. Was einige Kritiker an dieser Serie langweilig fanden, wurde von anderen - inklusive mir - als erfrischend realistisch wahrgenommen. Einen frühen Peak in ihrer Authentizität, die fortwährend bestehen blieb, feierte Looking in der 5. Folge der 1. Staffel. In dieser inszeniert Haigh das perfekte Date, das bei Zuschauern überall einen Moment der Nostalgie hervorrufen dürfte.

Der erste Funke flackert zunächst nur kurz auf

Patrick (Jonathan Groff) weiß nicht genau, was er will. Er ist mit seiner Homosexualität nur bedingt im Reinen, was der Beziehung zu seiner Mutter zu verdanken ist. Unter ihrer dauerhaft kritisierenden Art leidet Patrick schon seit seiner Kindheit, sein Outing verbesserte die Situation nicht. Dies, in Kombination mit einer panischen Angst vor HIV und einer grundlegenden Verklemmtheit, die sich auch sexuell äußert, führt dazu, dass er im Umgang mit anderen schwulen Männern ziemlich unbeholfen ist.

Richie (Raúl Castillo) hingegen ist das komplette Gegenteil von Patrick. Er arbeitet als Friseur und gibt nicht viel auf sozialen Status (das eine schließt das andere nicht aus bzw. diese beiden bedingen einander nicht). Er geht offen mit seiner Sexualität um und hat kein Problem damit andere Männer anzuflirten. So kreuzen sich die Wege der beiden, als Patrick von einem Date nach Hause fährt, das nicht sonderlich erfolgreich war. Richie spricht den in Gedanken verlorenen Patrick an, sichtlich interessiert. Dieser ist zunächst allerdings wenig angetan und nennt ihm einen falschen Namen. Das fehlende Interesse stammt von der Stimme von Patricks Mutter in seinem Ohr, die mit einem freigeistigen mexikanisch-amerikanischen Mann nur wenig anfangen könnte. Auf den Rat seines engen Freundes Dom hin lässt er sich schließlich doch auf ein Date mit Richie ein.

Zu Beginn wird Patrick aber erneut Opfer seiner eigenen sexuellen Unreife. Seine Freunde rieten ihm, sich im Vorfeld darauf einzustellen, dass Richie als mexikanisch-amerikanischer Mann potentiell nicht beschnitten ist. Kichernd wie ein Schulmädchen gesteht er Richie, worauf ihn seine Freunde vorbereiteten. Richie versteht die Obsession mit einem Stück Vorhaut als Zeichen für Promiskuität, woran er nicht interessiert ist. Bei einem abendlichen Club-Besuch treffen die beide dann erneut aufeinander. Es gelingt Patrick durch eine große Prise Selbstironie Richie am Ende der 4. Episode der 1. Staffel dazu zu bringen, ihm eine zweite Chance zu geben.

Der zweite Funke lodert. Heiß.

Nach einer gemeinsam verbrachten Nacht schleicht sich Patrick ins Badezimmer, duscht und putzt sich die Zähne mit ein bisschen Zahnpasta auf seinem Zeigefinger. Wer kennt dieses Verhalten nicht in einer sehr frischen Beziehung, wenn man noch nicht den Mut hat, eine eigene Zahnbürste mitzubringen. Natürlich um den Gegenüber nicht zu verschrecken (Anm.: Der Autor berichtet aus eigener Erfahrung). Vielleicht hat er seine Zahnbürste aber auch einfach vergessen. Obwohl er zur Arbeit muss, lässt Patrick sich zu weiteren Kuschelminuten überreden. Aus diesen Kuschelminuten wird morgendlicher Sex, in dem Patrick erneut seine Verklemmtheit unter Beweis stellt. Die Darstellung der ersten sexuellen Erfahrungen dieser beiden Männer geschieht erfrischend realistisch. Ihre Körper entsprechen mehr denen, die wir von Freunden oder uns selbst kennen, und nicht denen von Klischee-Schwulen, die den Seiten der Men’s Health entsprungen zu sein scheinen. Patrick und Richie haben Schamgefühl und sind zum Teil unbeholfen.

Looking gelingt das, was die HBO-Serie Girls bei der Inszenierung von Sex heterosexueller Paare erreichte - ohne Lena Dunham. In Girls entkleidete sich Hanna Horvath (Dunham) bereits in der 1. Folge der Serie, als sie mit ihrem Schwarm Adam (Adam Driver) Sex hat. Ihre Nacktheit führte weltweit zu Bitten, sich wieder anzuziehen, denn die Tollpatschigkeit der beiden Protagonisten beim Sex führte zu ein bis zwei Fingern vor den Augen. Lena Dunham hat Normalgewicht, ist nicht durchtrainiert und hat keine Modelmaße. Viele Frauen können sich mit ihrer gewollten "Durchschnittlichkeit" besser identifizieren als mit vielen Serien- oder Filmfiguren. Unser Sex gleicht mehr dem von Adam und Hanna als dem aus Teenie-Shows und Hollywood-Filmen, in denen Sex im BH von poppiger Musik begleitet wird. In anderen Serien und Filmen sehen wir meist Model-gleiche Figuren beim Sex und die Frauen stöhnen, sobald ihnen unters T-Shirt gefasst wird. Die Darstellung von schwulem Sex erfolgt ebenfalls oft durch Schauspieler, die in Vorbereitung auf ihre Sexszene gefühlt zwei Monate im Fitnessstudio verbrachten. Auf weitere Komponenten wie die Wichtigkeit von Gleitmittel wird meist nicht eingegangen. Nicht realistisch genug für den Anspruch vieler. Darüberhinaus ist zu betonen, dass die schwulen Männer in Looking tatsächlich Sex haben dürfen. Dieses Recht scheint Figuren wie Cameron und Mitchell aus Modern Family verwehrt, während Hetero-Paare wie Phil und Claire feuchtfröhlichen Spaß miteinander haben.

Zwischen Coming-of-Age-Film und queerem Kino

Richie weiß genau, wo er Patrick an diesem frisch gewonnenen freien Tag hinführen möchte. Auf ihrem Weg unterhalten sie sich über ihre jeweils ersten sexuellen Erlebnisse. So wurde Patrick von einem präpubertären Mitschüler zu einem Handjob überredet. Richie hingegen wurde von einem älteren Mormonen verführt. Ihre Outings verliefen beide nicht allzu glimpflich. Richies Vater und seine Beziehung leidet nach wie vor unter der Homosexualität des Sohnes, die Reaktion von Patricks Mutter war: "Warum passiert so etwas immer mir? Was werden nur die Nachbarn denken?" Looking gelingt es, hier eine Art Lücke zwischen dem schwulen Coming-of-Age-Film und dem Film für schwule Erwachsene zu schließen. Ersterer zeigt meist das Aufblühen der Sexualität. Zärtlichkeiten werden bereits ausgetauscht, aber es bleibt oftmals im Bereich des Pettings. Letzterer inszeniert hingegen oft lüsternen Sex. Looking verrät, dass es durchaus auch unglamourös zu ersten intimen Begegnungen zwischen jungen potentiell schwulen Männern kommt, und dass das eine komplett normale Sache ist.

Richie und Patrick sitzen gemeinsam in einem Planetarium, in dem sie sich weiter unterhalten, während sie sich den Sternenhimmel anschauen. Als schwules Paar erreichen sie unweigerlich das Thema sexuelle Präferenz. Diese wird spielerisch mit einer Friends-Referenz angestellt. Ihnen fällt die Ähnlichkeit zu Ross' und Rachels Date im Planetarium auf und sie begeben sich an die Verteilung der beiden Figuren. Sie sehen sich jeweils als Rachel, weil sie dominanter ist als Ross. Richie bringt Patrick dazu, zu seiner "Bottom Shame" zu stehen, als dieser zugeben muss, dass er sich darum sorgt, was seine Mutter denken würde, wenn sie rausfände, dass ihr Sohn beim Geschlechtsverkehr passiv ist. Er glaubt, dass sich Eltern nach einem Outing zwangsläufig vorstellen, wie der eigene Sohn von einem anderen Mann penetriert wird. Ich erinnere mich an die Aussage eines Freundes, der erzählte, dass sein Vater auf sein Outing antwortete: “Aber du bist doch wohl wenigstens der Aktive!?” Richie ist wesentlich pragmatischer und fragt Patrick wie er wissen kann, was er sexuell will, da es doch vom Gegenüber abhänge, was sich entwickelt. Als sie wenig später die Küste San Franciscos entlang schlendern, nimmt Richie erstmals Patricks Hand. Patrick lässt diese öffentliche Zuneigung zu, es scheint ihm aber etwas unangenehm zu sein.

Die Akzeptanz des wahren Ichs

Das Zeigen von Zuneigung in der Öffentlichkeit müssen viele schwule Männer zunächst lernen. Die meisten bemerken bereits in jungen Jahren, dass es genug intolerante Menschen gibt, die die Zuneigung unter Männern seltsam finden. Der Mann müsse stark sein. Erst neulich bemerkte ich im Strandbad einen Jungen, den eine Spinne in Angst versetzte. Daraufhin antwortete seine Oma: “Du wirst ja wohl keine Angst vor dieser Spinne haben. Bist du etwa kein Mann?” Jonathan Groff gelingt die Darstellung der inneren Zerrissenheit Patricks im Umgang mit öffentlicher Zärtlichkeit sehr erfolgreich. Er will, aber er weiß nicht, ob er soll. Er schöpft die Inspiration für seinen Charakter womöglich aus eigenen Erfahrungen. In einem Interview mit The Daily Beas t verriet er, dass er lange Zeit mit seiner Sexualität kämpfte und Looking ihm letztlich bei der Akzeptanz seines wahren Ichs half.

Als ich an der Gay Pride teilnahm, realisierte ich, dass ich stolz bin, schwul zu sein. Es ist eine Sache, geoutet zu sein und eine andere, darauf stolz zu sein. Als ich mich outete, war es eher, 'Okay, ich bin schwul, aber wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre ich nicht schwul.' Aber ich bin schwul. Looking war eine Erfahrung, die alles änderte. Es war das öffentliche Eingeständnis meiner Sexualität. Ich meine, ich ficke Männer im TV.

Als die beiden Männer abends erneut gemeinsam in Richies Bett liegen, sagt Patrick, dass er sich vorstellen kann für Richie passiv zu sein. In einer schwulen Beziehung und für Patrick ist dies ein Zeichen des Vertrauens und der Intimität. Er fügt jedoch hinzu, dass er sich für diesen Tag bereits ausführlich geöffnet hat (im Dialog klingt es nicht so zweideutig). Für Richie stellt das kein Problem dar. Die Folge endet damit, dass Richie Patrick ein Kondom auf die Brust wirft und anbietet für diesen Abend in die passive Rolle zu schlüpfen. Patrick: "Fuck, Yeah!"

Habt ihr Looking geschaut? Und wie sieht euer perfektes Date aus?

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