Ohne Identität kann man nicht leben

05.05.2014 - 00:00 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Die Filmanalyse zu Vergiss mein Ich
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Die Filmanalyse zu Vergiss mein Ich
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Die Filmanalyse zu Vergiss mein Ich ist hier etwas besonderes, da der Film an sich schon eine Analyse ist. Wovon? Erzählt der Filmanalytiker in dieser Ausgabe.

Die berechtigten Klagen über die Humorlosigkeit deutscher Komödien sind mittlerweile so laut, dass man das Lachen in intelligenten deutschen Komödien kaum noch vernehmen kann. Doch so etwas gibt es! Jan Schomburg ist mit Vergiss mein Ich eine ungeheuer geistreiche Komödie geglückt, die nie ins Banale abgleitet und vor allem erkannt hat: Das wahrhaft Komische kann nur aus dem Tragischen entstehen.

Maria Schrader spielt Lena. Sie ist Professorin für Gendertheorie und verliert ganz plötzlich ihr Gedächtnis. Durch die retrograde Amnesie erkennt sie nicht mehr ihre Freunde, ihren Ehemann und sich selbst nicht mehr. Sie hat ihre Identität verloren. Auch bürgerliche Paradigmen wie Ehe oder Treue sind ihr von nun an ein Rätsel. Als sie einen fremden Mann kennenlernt, schläft sie mit ihm, weil sie unbedingt mal einen Penis sehen möchte. Kaum zuhause erzählt sie davon ihrem fassungslosen Mann. Doch Schomburg bürstet die Story nicht auf Pointe, sondern erzählt von der Praktischen Seite her sehr subtil das, was Lena theoretisch schon immer beschäftigt hat. Das Ich ist keine feste Entität. Das Ich wird performativ hervorgebracht, Disziplinarmächte und Diskurse formen es, Gestik und Mimik sind antrainierte Wiederholungen und nicht per se Authentisch. Diese – zugegeben – hochkomplexen akademischen Theorien greift Schomburg souverän auf, spielt mit ihnen, zeigt auch ihre Grenzen, ohne sie aber der Lächerlichkeit preiszugeben. Wenn wir in diesem Film lachen, dann lachen wir auch immer über uns – über die Absurdität unseres Liebens, Begehrens und Lebens. Die große Maria Schrader ist in diesem Film ein Ereignis, denn immer erwartet man von Schauspielern, dass sie besonders authentisch die Identität einer Figur spielen, Schrader aber gelingt es, eine Nicht-Identität zu spielen. Vergiss mein Ich ist eine virtuose Komödie, großartig besetzt und ein Hoffnungsschimmer am sonst so von Schweig(er)höfer bewölkten Kinohorizont.

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