Radioaktive Russen und renitente Römer

15.02.2011 - 08:50 Uhr
Coriolanus
The Weinstein Company/ Moviepilot
Coriolanus
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Der 5. Tag der Berlinale! Tschernobyl explodiert, Rom steht vor dem Untergang und einem französischen Schnösel ist auch schon ganz schlecht. Ich hätte ahnen sollen, dass mir heute nichts Gutes bevorsteht.

Halbzeit bei der Berlinale! Der Wettberwerb bot heute drei Filme, die mich allesamt sehr interessierten: An einem Samstag, Coriolanus und Nur für Personal!. Leider wird wohl keiner der drei eine große Rolle bei der Preisverleihung spielen, wenngleich zumindest ein Film auch ohne Bären seine Liebhaber finden wird.

An einem Samstag von Alexander Mindadze
Ein Film aus Russland, ein spannendes Thema und vielversprechende Bilder – es gab genügend Gründe, weshalb ich mich heute sehr auf An einem Samstag freute, der den 5. Wettbewerbstag der Berlinale eröffnete. Erzählt wird von der unmittelbaren Zeit nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, der kurzen Spanne, als die Menschen in der angrenzenden Stadt Pripjat noch nicht genau wussten, was vor sich ging und ihr normales Leben weiterlebten, bis erst 36 Stunden nach der Explosion die Evakuierung begann. Leider versaut es An einem Samstag, indem er zwei Dinge gleichzeitig möchte, die nicht vereinbar sind: Er will uns zeigen, wie verrückt das alles war für die, die Bescheid wussten, aber auch, wie normal alles war für den Rest.

Hierfür lässt er eine Gruppe, die vom Reaktorunfall erfährt und eigentlich sofort fliehen will, unter den fadenscheinigsten Gründen in der Stadt bleiben. Das Problem ist nur, dass ich mich über diese spätestens nach dem ersten Drittel rotzbesoffenen Idioten nur noch tierisch geärgert habe. Der Zug ist weg, was nun? Erstmal Schuhe kaufen. Ich brauche meinen Pass! Dann lass uns erstmal feiern gehen. So abgrundtief doof ist kein Mensch, “unsichtbare Gefahr” hin oder her. Daneben gingen sogar die zahlreichen Anspielungen auf den Sowjetalltag unter. Zwei Drittel des Filmes durchlitt ich Gewaltphantasien gegen die Deppen, mit denen ich mich identifizieren sollte, wollte sie schütteln, prügeln, mit einem Besen aus der Stadt hinaus jagen. Gegen Ende dachte ich dann, es könnte ja vielleicht symbolisch gemeint sein – Kunstfilm und so. Aber dann kommt eine Texttafel, welche das Ganze wieder als Realismus ausgeben will. Leute! Wie konntet ihr einen solchen Stoff nur so verbocken?

Coriolanus von Ralph Fiennes
Ach, Schauspieler habens schon schwer. Am liebsten würden sie die ganze Zeit nur Theater spielen, weil dies ja die einzig wahre Kunst für ihre Zunft ist. Doch dann müssen sie leider, leider auch diese doofen Hollywoodfilme drehen, weil da nunmal das Geld stimmt. Wenn sie dann irgendwann genug Geld zusammengekratzt haben, produzieren sie einfach ihren eigenen Film, der Hobby und Beruf vereint. So oder so ähnlich stelle ich mir das jedenfalls bei Ralph Fiennes vor, dessen Film Coriolanus nicht nur an Shakespeare angelehnt ist, sondern das Stück einfach von der Bühne auf die Leinwand wirft. Bloß mit mehr Explosionen und richtigen Panzern.

Panzer? Ja, Panzer, denn Ralph Fiennes hat am Theater eines gelernt: Alte Stücke einfach in die Gegenwart transferieren, am liebsten in aktuelle Konflikte, dann wirkt alles schön politisch und gar nicht altbacken. Bei einer Shakespeare-Adaption konnte er zudem schonmal sicher sein, dass das Drehbuch gut ist. Leider fehlt Coriolanus jeder Funke an Inspiration, der darüber hinausgeht und jedes Verständnis für die Unterschiede zwischen Bühne und Film. Theater hat schon aufgrund seiner Aufführsituation einen Verfremdungscharakter, der den Zuschauer daran erinnert, dass er sich ein Stück ansieht, und nicht die Realität. Film hingegen braucht besondere Stilmittel, wenn er diesen Effekt künstlich herbeiführen will (Stichwort Dogville). Coriolanus ist dies egal und so wirken große Teile der Inszenierung dieses eigentlich sehr spannenden Stoffes überzogen pathetisch, unfreiwillig komisch und im falschen Ton vorgetragen. Die drei-vier Filmstudenten-Kamera-Spielereien machen das Ganze nicht besser, sondern nur noch prätentiöser. Schuster, bleib bei deinen Leisten, oder wie Shakespeare sagen würde: Thou shalt not direct, Voldemort!

Nur für Personal! von Philippe Le Guay
Nach diesen beiden Nieten setzte ich mein ganzes Vertrauen in Fabrice Luchini, der in Nur für Personal! den Chef einer spanischen Haushälterin in Paris spielt. Der Film ist in den 1950ern angesiedelt und – Gott sei dank – frei von all diesem gerade so beliebten Paris-Kitsch mit Barretmütze, Schnurrbart und “oh-là-là”. Ursprünglich eher ein Loriot-Charakter (“Mein Ei muss exakt 3 1/2 Minuten kochen!”), verliebt er sich in seine schmucke Haushälterin und freundet sich über sie mit den Dienenstmädchen des gesamten Blockes an, die gemeinsam in der Dienstbotenétage seines Hauses wohnen. Über kleine Gefälligkeiten und Reparaturen weicht das strikte Verhältnis von Herr und Diener auf, bis er sich seiner Dienerschaft näher fühlt, als seiner eigenen Yuppie-Brut.

Nur für Personal! ist dabei ähnlich herzlich wie Almanya – Willkommen in Deutschland, zumal er ja ein ähnliches Thema behandelt: Wie die reichen Eingeborenen “Arbeitskräfte riefen und Menschen kamen”, wie es Max Frisch formulierte. Darüber hinaus spielt er noch auf ganz viele andere Ebenen der 1950er Jahre in Frankreich an: den Gaullismus, den Abstieg des Bürgertums aus ihren pseudoaristokratischen Höhen, die Auflockerung der Familienzwänge, Franco und viele andere Sachen. Dabei ist Nur für Personal! aber vor allem eine sehr zarte Romanze und überaus witzig – eine Empfehlung nicht nur Fans des französischen Films jenseits von “Amelié”. Für einen Preis wird es aber nicht reichen, Nur für Personal! ist zu leise und zu unaufdringlich, läuft zudem außer Konkurrenz.

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