Was hat Sie an JERICHOW, an der Figur des Ali gereizt?
Das Beindruckende am Drehbuch zu Jerichow war für mich Christian Petzold s atemlose Beschreibung seiner Figuren, die versuchen, in einer scheinbaren Normalität auszuharren, in ständiger Bedrohung durch ihre seelischen Untiefen. Er schreibt so, als würde er selbst einer Geschichte folgen, einer Geschichte, die nicht er erfindet, sondern… als würden alle, der Autor ebenso wie die Figuren, einer Notwendigkeit gehorchen, weil sie Wahrheit ist, weil sie dem Leben nachgespürt ist.
Was mir an der Figur des Ali Özkan gefallen hat, war vor allem ihre Wahrhaftigkeit. Da gibt es keine folkloristische Einbettung in einen deutschtürkischen Migrationshintergrund, sondern da ist einer, der keine Schablone wird, der mit seinen Plänen, seinen Gefühlen, seiner Sehnsucht auf der Strecke bleibt.
Ali verkörpert permanent beides, die selbstverständliche Dominanz des Chefs und eine große Verletzlichkeit. Wie sehr sind die Nuancen des Spiels im Drehbuch vorgegeben, gerade in einer Szene wie dem Picknik am Strand?
Das ist ein langer Prozess vom ersten Lesen über das erste Regie-Gespräch bis hin zu den kurzen Absprachen vor und zwischen den Takes bei den Dreharbeiten. In diesem Prozess entsteht eine Vorstellung, im besten Falle eine Gewissheit, eine Stimmigkeit mit dem Text und der Rolle.
Die Szene am Strand, das Picknick … Das war ein wunderbarer Tag am Meer! Die Szene war kurz und klar beschrieben im Buch, und bei einer Probe vorher im Hotelzimmer konnten wir das Wesentliche der Szene noch mehr herausarbeiten. Am Strand, beim Drehen, lief dann alles fast wie von selbst, es hat sehr viel Spaß gemacht. Und schließlich singt die Königin der Türkei, Sezen Aksu, in der Szene, was auf ganz eigene Art beflügelt.
Wie sehr ist dem Ali vorher bewusst, was er am Ende ausspricht: Eine Frau, die er gekauft hat, ein Land, das ihn nicht will?
Wie sollte es ihm nicht bewusst sein … Das ist ja nicht nur bei Ali so, sondern die ersten Generationen der Türken in Deutschland mussten tagtäglich mit dieser Erfahrung umgehen. Bei Ali kommt natürlich noch diese perverse Situation dazu, dass er die Frau, die er liebt, durch “Schulden” an sich bindet, in der Hoffnung, dass sie ihn eines Tage erkennen und lieben werde. Ich glaube, er ist sich dessen im Klaren. Er geht seinen eigenen Weg, er arbeitet viel, gerät aber durch die Unauflösbarkeit dieser Situation in eine Art Getriebensein. Bis sein Herz schließlich dieser verkorksten Form von Verdrängung nicht mehr standhalten kann.
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