Senta Berger spielt eine Egomanin - Ein Interview

08.04.2009 - 08:45 Uhr
Senta Berger in Schlaflos
WDR / Frank Dicks
Senta Berger in Schlaflos
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Senta Berger beantwortet Fragen zu ihrem Fernsehfilm Schlaflos, den heute Abend die ARD zeigt.

Ihre Filmfigur Carla in “Schlaflos” ist nach der Haft ein gebrochener Mensch. Ihre Stärke im Leben muss sie erst wieder zurückgewinnen. Unterscheidet sich dieses Rollenbild von Ihren jüngeren Fernsehrollen?
Nein, eigentlich nicht. Seit sieben Jahren spiele ich zum Beispiel die Kriminalrätin Eva Prohacek in der Reihe Unter Verdacht, auch eine Figur voller Brüche und Widersprüche. So wie Carla in Schlaflos.

Worin bestand bei der Rolle der Carla die besondere Herausforderung?
Herauszuarbeiten, was sich bei ihr hinter der Fassade verbirgt. Natürlich ist sie eine Egomanin und war es wohl schon immer. Doch sie ist auch großzügig, tolerant und phantasievoll. Nun aber, nach der langen Zeit im Gefängnis, ist sie ganz allein. Das sind die zwei stärksten Gefühle, die sie in dem Moment beherrschen, als sie das Gefängnis verlassen kann: Einsamkeit und Rache. Um diese Carla zu erfinden, fragte ich mich: Wie sieht sie aus? Wie bewegt sie sich? Was ist von den großen Schauspielergesten geblieben? Ich wollte, dass sie zeitlos elegant ist – ohne jeden Aufwand: ein schwarzer Rock, ein schwarzer Pullover, ein schwarzer Regenmantel. Zum Kontrast dazu stellte ich sie mir blond vor. Also färbten wir meine Haare. Auch diese Äußerlichkeiten sind wichtig und gehören zu einer Biografie. Und dann ist da ihre Sehnsucht nach Nähe, nach Wärme, danach, wieder einmal in die Arme genommen zu werden: Auch das musste ich zeigen. Und dass sie auch nach all den Jahren dem Leben zugewandt ist, mehr als alle anderen in dieser Geschichte: Diese Carla glaubt an die Zukunft.

Schlaflos ist keine typischer Fernsehkrimi, sondern die spannende Charakterstudie einer starken Frau…
Schlaflos ist für mich eigentlich ein “film noir”. So ist die Geschichte geschrieben, und so hat Regisseurin Isabel Kleefeld mit ihrem Kameramann Rainer Klausmann den Film gestaltet: spannend, geheimnisvoll, mit allen Elementen eines gut gemachten Thrillers. Es gibt eben nicht nur “die Guten” und “die Bösen”. So einfach ist das Leben nicht; die Seele ist ein weites Land. Filme dieser Art werden in Deutschland nicht sehr oft gemacht, und für mich war das Angebot ein Glücksfall. Und erst recht die Umsetzung, die wir erreicht haben.

Sie spielen die ersten Szenen des Films ungeschminkt und auf imponierende Weise realistisch. Stehen Prominente, besonders natürlich Schauspieler, nicht unter dem Druck, immer ein perfektes Medienbild abgeben zu müssen?
In Bezug auf ‘Stars’ wie Werbe- oder so genannte ‘Stil-Ikonen’, die in sehr kurzer Zeit viel Geld damit verdienen, ihrem Medienbild zu entsprechen, mögen Sie recht haben. Auf wirkliche Schauspieler trifft das nicht zu. Die werden alles tun, um ihrer Arbeit Glaubwürdigkeit zu verleihen. Das ist doch das Wichtigste. Wir Schauspieler haben Vergnügen daran, diese Authentizität herzustellen. Das ist ja das Wunderbare an diesem Beruf: Das Spielen hört nie auf. Wie bei Kindern, die “Vater, Mutter, Kind” spielen, sich verkleiden, Dinge erfinden und sie dadurch wahr werden lassen.

Der Film hat bei aller Härte auch eine aufbauende Botschaft: Carla findet nicht nur zu sich selbst, sondern begräbt auch ihren Wunsch nach Rache. Ist Ihnen diese Aussage wichtig?
Ja, weil Rache etwas so Sinnloses ist. Sie befriedigt nicht einmal den, der sie übt. Natürlich ist Rache ein archaisches Gefühl. Wir sehen es in den Religionskriegen unserer Gegenwart. Das Böse provoziert fortlaufend das Böse. Es ist zerstörerisch und deshalb ohne Sinn. Ich finde es gut, dass Carla keine Rache übt. Sie ist zu klug. Sie versteht. Vielleicht wird sie später sogar verzeihen können.

Der ehemals beliebten Schauspielerin Carla hilft auch in der Branche niemand auf die Beine. Frage an die Präsidentin der Deutschen Filmakademie: Wäre eine Schauspielerin in Not tatsächlich so auf sich allein gestellt?
Das kommt sicher immer auf den einzelnen Fall an. Wenn Schauspieler in eine Notlage geraten, haben sie es aber oft sehr schwer. Freischaffende Schauspieler leben immer ohne Netz – freischwebend. Seit Jahren versuchen wir, die finanziellen Rahmenbedingungen zu ändern: das Steuerrecht, das Renten- und Versicherungsrecht. Die rechtliche Situation von Schauspielern ist alles andere als zufriedenstellend, und das führt leider oft zu Notlagen.

Nicht nur im Fernsehen, auch im Kino laufen wieder mehr Filme, die nicht nur die ganz junge Generation ansprechen. Wie erleben Sie diese Entwicklung?
Das Fernsehen ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Und unsere Gesellschaft wird älter. Auch das Kino widmet den Älteren mehr und mehr Aufmerksamkeit. Am schönsten ist es, mit einem Film mehrere Generationen zu erreichen. Aber viel zu oft sehen wir Filme im Fernsehen oder Kino, die durchkalkuliert sind: Welche Zielgruppe? Welches Alter? Dieses Kalkül merkt man den Filmen dann auch an.

In Schlaflos gibt es einen starken Mutter-Tochter- Konflikt. Das Misstrauen von Carlas Tochter gründet offenbar in einem Gefühl früherer Vernachlässigung, dem Empfinden, dass für ihre Mutter die Karriere an erster Stelle stand.
Das ist ein sehr persönlicher Konflikt zwischen diesen beiden. Sicher hat Carla ihre Tochter vernachlässigt, sicher hat sie sie, wann immer sie wollte oder dachte, es geht jetzt nicht anders, ich muss arbeiten, abgegeben. Und dann die Rivalität um Männer – plötzlich kommt die erwachsene Tochter aus dem Internat zurück und ist eine schöne Frau.

Ein wichtiges Spannungsmoment in der Geschichte ist der wissenschaftliche Fortschritt: Carla wurde aufgrund eines Gutachtens verurteilt. Erst Jahre später lässt sich ihre Unschuld beweisen. Umgekehrt werden viele Täter inzwischen durch Gentests überführt. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Verlassen wir uns inzwischen zu sehr auf die Technik und zu wenig auf das menschliche Urteilsvermögen?
Also ein Gentest ist einfach unschlagbar. Es sei denn, er wird manipuliert oder vertauscht. Es wird immer so sein, dass man – trotz aller technischen Fortschritte – sein Gehirn und sein Gefühl nicht wird ausschalten können oder dürfen.

Sie haben schon häufig mit Isabel Kleefeld gedreht. Was hat sie, was andere Regisseure nicht haben?
Isabel Kleefeld ist ein Glücksfall für alle, die mit ihr arbeiten. Sie ist eine Frau, die weiß, was sie will, und gleichzeitig so souverän, dass sie alles Vorbereitete über den Haufen werfen und etwas ganz anderes, Improvisiertes, machen kann. Sie ist eine Regisseurin mit Witz und Humor, mit der man viel lachen, mit der man aber auch sehr konzentriert auf den Punkt arbeiten kann. Isabel und ich haben jetzt vier Filme zusammen gemacht, und ich hoffe, ein paar kommen noch dazu.

Quelle: Mit Material vom WDR

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