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Substance through Style. Kino zwischen Erzählung und Erlebnis

07.08.2018 - 10:45 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Filmbild erleben: "Arrebato"
1979/2010 Nicolás Astiarraga P.C. / Framax Film s.l. / Alokatu s.l.
Filmbild erleben: "Arrebato"
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In meinem Profiltext beschreibe ich einen Style, der "neue, fremdartige Substance schafft". Intellektuellengewichse? Natürlich. Aber es steckt auch etwas dahinter und zwar eine alte wie auch wichtige Debatte, die ich einmal grundsätzlich aufbrechen will. Schauen wir also auf die Grundlagen der bewährten, aber selten durchdachten Konfrontation Erzählkino vs. Erlebniskino.

Die abfällige Dreschphrase "Style over Substance" bringt viele schale Diskussionen auf den Punkt. Filme werden gerne dafür kritisiert, dass sie keine guten Drehbücher haben, dass sie keine guten Geschichten erzählen - ja, vielleicht geile Bilder, aber das nur als inhaltsfreie Poserei. Vor allem Genrefilme scheinen als bloßes Effektkino, ganz voran der Horrorfilm, dem als suggestives Popcornkino ja leicht ein Urteil zu machen ist. Gerade hier wird aber ein falscher Maßstab deutlich. Ein unambitionierter Horrorfilm etwa, der ewig dieselben Genremechanismen und Handlungsmuster abklopft, ist dafür sicher zu kritisieren. Ein Beispiel dafür geben die diversen Spin-Offs des Insidious- oder Conjuring - Die Heimsuchung-Universums. Da hat natürlich keiner Lust drauf, ich auch nicht, selbst wenn man sich in altgedienten Horrorsettings auch gerne mal einfach zu Hause fühlt. Aber dazu ein anderes Mal.

Spannender ein Horrorfilm, der vielleicht eine simple Story erzählt, über das visuelle Narrativ aber seine ganz eigene Erzählung vermittelt. Oder können wir noch von einer Erzählung sprechen, wenn der Style hier vor allem die Substance schafft? Jedenfalls sollte nicht mit inhaltsorientierten Maßstäben gemessen werden. In David Robert Mitchells Film It Follows etwa wird eine junge Frau von einer Art Dämon verfolgt, der wie eine Geschlechtskrankheit von einem Menschen zum anderen übertragen wird – sie hat Sex, der Dämon hat sie. Klingt nach Trash: Die alte, unausgesprochene Horrorregel „Wer Sex hat, stirbt“ wird radikal freigelegt und zur eigentlichen Story. Ganz offensichtlich: Unlogisch & unkreativ. Warum wird wie in anderen Horrorfilmen wenigstens nicht erklärt, woher das Monster kommt?

It? Was soll das bitte sein?

Die Aussparung des erzählerischen Kontexts ist aber kein Defizit, sondern Chance und Freiraum. Das Bild löst sich vom Deutungszwang und wird eigenständig. Alles wird möglich. Plötzlich treten ganz eigene, sonderbare Bilder auf, die nur funktionieren, weil sie nicht in einen dicken Erklärungskontext eingebunden werden müssen. Keine forcierten psychologischen oder okkulten Erklärungen für den Horror mehr. Pure Bildlichkeit, pure Präsenz, pures Erleben. Das Grauen ist einfach da, unerklärlich und deshalb unendlich machtvoll. Die Angst des Zuschauers vor der medialen Suggestion ist ja gerade da greifbar, wo nach Erklärungen und Motivationen geschrien wird. Man braucht den Erzähler, den Erzähltext, um die unmittelbare Erfahrung einzuordnen und verarbeitbar zu machen. Was aber, wenn die Kunst dem Betrachter diesen Komfort verweigert und ihn allein mit dem bloßen Bild lässt? Er muss einen Inhalt im Bild entdecken, Substance through Style.

Generell gilt doch: Kino ist ein audiovisuelles Medium und damit weit mehr Prozessen offen als der bloßen Bebilderung bereits geschriebener Texte. Manche Regisseure wissen das sehr genau und kommen über das Format Kino zu Experimenten, die das gute alte Drehbuch bloß noch als Grundlage für unabhängiges, visuell intelligentes Filmdesign nutzen. Beispielsweise Nicolas Winding Refn mit seinem umstrittenen Only God Forgives. Erzählerisch gesehen eine furchtbar banale bis lächerlich überzogene Rachegeschichte, visuell ein hochsuggestiver, bedeutungsschwerer Film. Indem Only God Forgives einzelne Szenen enorm dehnt, merkwürdig irreale Interludes etabliert, statt klärenden Dialogen Schweigen und Gewalt setzt, entzieht er sich dem einfachen Filmkonsum. Er lässt das Phänomen Rache über seinen Fokus auf psychedelische Bildwelten zu einem mäandernden, schweren Erlebnis werden, das unvermittelt auf den Zuschauer einbricht. Das ruft Abwehrreflexe, Ekel, Langeweile hervor, attackiert den Zuschauer gewissermaßen affektiv-subversiv statt zur intellektuellen Reflexion über klare Inhalte einzuladen.

Was will der Gosling eigentlich von uns?

Und wieder die Angst des Zuschauers vor Suggestion. Sicher nicht ganz ohne Grund, so lernen wir alle dem Bild in seiner bloßen Kraft zu misstrauen. Vom Faschismus über die Werbung bis zum Kapitalismus sind die Feindbilder schnell benannt. Aber ist das Kino nicht eben genau das: Suggestion? Und ist ein irrationaler Reflex wie der nach Rache noch intellektualisierbar? Man muss über das Medium, die Bilder nachdenken, nicht über bebilderte Drehbücher. Man muss über das Wesen der Dinge nachdenken und wie das Kino sie darstellen, auf seine Weise erfahrbar machen kann. Das ist die Zukunft des Films und daher feiere ich Filme wie Only God Forgives, It Follows oder den neuen Hereditary - Das Vermächtnis. Show, show, never tell.

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