Als Moviepilot mich frug, natürlich nicht mich direkt, aber mein Ego gestattet es mir nicht anders, als diese Frage direkt auf mich zu beziehen, was mein liebster Kinomoment sei, musste ich erst einmal reflektieren. Und zwar, warum ich überhaupt ins Kino gehe.
Eigentlich gab es für mich auf diese Frage
eine ganz klare Antwort: um den Film auf der größten Leinwand, mit
dem bestmöglichen Sound, auf dem Medium, für das er geschaffen
wurde, zu genießen. Aber ist es das? Ist Kino wirklich nur ein
Medium zum betrachten eines Films? Ich denke nicht.
Es wird doch einen anderen Grund geben, warum ich das Kino dem Heimkino vorziehe. Vielleicht, weil ich die Filme dort früher sehe? Mag sein, aber eigentlich bin ich ein recht geduldiger Mensch. Und außerdem ist Heimkino eigentlich ja auch komfortabler: den Film lasse ich mir per Post liefern, ich sitze in meinem Lieblingssessel, kann den Film im O-Ton sehen, kann Pausen setzen, wann ich will und einen Film, der mir nicht gefällt, einfach nach dem Sehen weiterverkaufen, so dass für mich kein Verlust von Geld entsteht. Im Kino hingegen läuft der Film meistens auf Deutsch, falls es Pausen gibt (ganz ehrlich: mich nerven die zumeist, aber wenn die Blase drückt kommt mir eine Unterbrechung doch sehr gelegen) kann ich diese nicht selbst setzen, dass für einen schlechten Film investierte Geld kriege ich nicht wieder reingeholt, ich sitze nicht garantiert auf meinem Lieblingsplatz und vor allem bedeutet ins Kino gehen für mich auch eine gute Dreiviertelstunde Anreise.
Warum bin ich also trotzdem beinahe jede Woche im Kino und gedulde mich nicht lieber bis zum Heimkinorelease eines Films? Natürlich auch weil Filme im Kino beeindruckender wirken, vor allem aber liegt es an der sozialen Komponente. Kino ist für mich nämlich schon lange kein reines Medium zum Filmgenuss, sondern auch ein Forum für Kontakt und Austausch. Und ich meine damit nicht, dass man den laufenden Film mit lautstarken, infantilen Gesprächen unterbricht.
Wobei auch gerade das einen gewissen Unterhaltungswert haben kann. So wurde mein „Unknown User“ Besuch erst durch das Publikum richtig unheimlich. Dieses Bestand nämlich aus einer Gruppe junger Männer in der ersten, einer Gruppe junger Frauen in der letzten und mir in der mittigsten Reihe. Die jungen Männer quittierten jede halbwegs erotische Szene und jedwede Anwendung von Gewalt mit affenähnlichem Gegröhl, die jungen Damen hingegen erschraken sich sowohl bei billigen Jumpscares als auch dem imbezilen Verhalten der anderen Besucher. Gegen Mitte des Films eskalierte die angespannte Situation dann völlig und mündete in ein Wortgefecht massiven Ausmaßes zwischen den beiden Parteien, ich völlig unbeteiligt in der Mitte. Gewonnen dabei habe ich, der Mensch, der vorzüglich unterhalten wurde, verloren hat dabei „Unknown User“, der Film, dem kaum Aufmerksamkeit zukam.
Eine derartige Begebenheit ist natürlich der Albtraum eines jeden Filmfans, rückblickend betrachtet aber in ihrer reinen Absurdität ein unvergleichliches Erlebnis, dass man eben nur im öffentlichen Kino und nicht im privaten Heimkino haben kann. Positiver Kontakt kann im Kino aber natürlich auch stattfinden, wenn man außerhalb des Films mit anderen Leuten ins Gespräch kommt. Gerade das finde ich nämlich so großartig am Kino. Die Möglichkeit, Kontakt mit anderen Filmbegeisterten zu knüpfen, Menschen und Meinungen kennenzulernen.
Es fällt mir dabei äußerst schwer, mich auf einen Moment, einen Kontakt zu beschränken, weshalb ich hier einfach einige meiner liebsten Anekdoten nennen werde. Mein erstes Date zum Beispiel fand, wie sollte es auch anders sein, im Kino statt. Ich, jung, unerfahren, dämlich, wollte sie natürlich beeindrucken. Also im Kino an die Snacktheke gegangen, Popcorn und ein Getränk gekauft, 20 Euro auf den Tresen gelegt und ganz cool rausgehauen: „Den Rest können sie behalten!“ Mit dem Mädel ist es nichts geworden, dass Geld war ich dann auch los und gewonnen habe ich trotzdem. Denn diese Geschichte ist ein echter Kracher und immer wieder für einen Lacher gut. Das ist die Macht des Kinos. Dort werden nicht nur Geschichten erzählt, es entstehen auch Geschichten.
Eine weitere Begebenheit trug sich im Rahmen meiner „Dracula Untold“ Sichtung zu. Nicht zwingend ein guter Film, dass weiß ich wohl, aber meine dazugehörige Geschichte ist eine meiner besten. Ich wollte den Film am Starttag mit meinem kleinen Bruder und zwei guten Freunden sehen. Wir standen also um 20 Uhr am Kino, wollten uns Karten für die 20 Uhr Vorstellung kaufen. Einer nach dem anderen holten wir uns ein Ticket. Als mein kleiner Bruder dann schließlich an der Reihe war, frug der Kartenverkäufer, wie alt er sei. Mein Bruder antwortete dann wahrheitsgemäß mit „12!“ worauf der Verkäufer erwiederte, dass er ihm keine Karte verkaufen könne. Der Film ginge nämlich länger als bis 22 Uhr und ab da dürfe man unter 14 ohne Begleitung eines Erziehungsberechtigten nicht mehr in der Öffentlichkeit unterwegs sein, so sehe es zumindest im Jugendschutzgesetz.
Wir standen also da, ziemlich verzweifelt und ungläubig. „Stimmt das?“ und „Was sollen wir jetzt tun?“, waren unsere Gedanken in diesem Moment. Plötzlich hatte ich einen Geistesblitz: wir könnten ja einen volljährigen Kinobesucher fragen, ob er auch „Dracula Untold“ sehen wolle und sich eventuell als Erziehungsberechtigter meines kleinen Bruders ausgeben könne. Bei unserem Glück wollte diesen Film natürlich an jenem Abend niemand sehen, der halbwegs authentisch wie der Erziehungsberechtigte eines zwölfjährigen gewirkt hätte. Schließlich frug ich also zwei äußerst junge Frauen, gerade 19 geworden, welchen Film sie sehen wollten. „Keine Ahnung“, war die Antwort, „wollen wir spontan entscheiden!“ Ich nutzte also die Gunst der Stunde, ließ all meinen Charme raushängen, überzeugte sie von „Dracula Untold“ und vor allem auch von dem riskanten Unterfangen, sich als Erziehungsberechtigte meines Bruders auszugeben. Tatsächlich stimmten sie zu und gingen zur Kasse, meinen kleinen Bruder im Schlepptau. „Dreimal Dracula Untold, bitte“ „Sie sind sich darüber bewusst, dass der Junge von einem Erziehungsberechtigten mitgenommen werden muss?“ „Wir sind die Erziehungsberechtigten.“ „Ach ja?“, frug der Kartenverkäufer skeptisch. „Wollen sie damit vielleicht etwas andeuten?“, erwiederten unsere Retterinnen schnippisch. „Nein nein, schon gut“, erwiederte der Verkäufer genervt und verkaufte den dreien die Karten.
Die drei geschilderten Erlebnisse sind nun auch in meiner Erfahrung einzigartig, aber ich trete häufig in Kontakt zu anderen. Ich habe Regisseure kennengelernt, auf Toiletten mit Fremden über Filme philosophiert. Im Kino wird der Film transzendiert, er ist der Treibstoff für den Motor des Forums, dass Kino darstellt. Er ist eine Geschichte, die dem Publikum erzählt wird. Er ist aber auch der Grund dafür, dass das Publikum wiederum eine Geschichte zu erzählen hat. Sei es nun ein besonders aberwitziges, abstruses Erlebnis oder auch nur die Schilderung der eigenen Meinung, den Film betreffend. Wer ins Kino geht, hat später was zu erzählen. Es ist also nicht nur ein Ort zum Konsumieren, sondern auch ein Ort zum Erleben.
All das, das sehen, das austauschen, das erleben und das weitererzählen, es beginnt mit einem Moment. Und wenn ich meinen allerliebsten Kinomoment aller Zeiten nennen müsste, so wäre es dieser. Es ist der Kauf des Kinotickets. Mit dieser simplen Aktion tritt man in das großartige Forum ein, dass das Kino ist. Um es auf einen Moment zu reduzieren: mein erstes selbstgekauftes Kinoticket war das zu „Fluch der Karibik 4“. In diesem Moment, als ich voller Aufregung und Nervosität zum Verkäufer trat, wohl wissend, dass ich eigentlich zu jung war, nach dem Ticket frug, es ohne Probleme erwarb, in diesem Moment bekam ich zum ersten Mal einen Schimmer von der großartigen Institution Kino. Und deshalb, wenn ich mich auf einen ultimativen, liebsten Kinomoment festlegen müsste, wäre es dieser.
Aber Kino ist nicht nur ein Moment. Es ist eine Geschichte, der erlebt und danach erzählt wird.
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Wir bedanken uns ganz herzlich bei unseren Sponsoren. Hier erfährst du alles zum Prozedere des Schreibwettbewerbs und den Preisen. Eine Übersicht aller Texte des Schreibwettbewerbs findest du hier.
Denk daran: Stimme ab für Deutschlands Lieblingskino 2017!
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