Was waren das für Zeiten, damals, als Privatsender noch die Krone der Schöpfung waren. Jeden Abend um exakt 18 Uhr musste ich vorm Fernseher sitzen. Und wenn die Welt darüber unterginge! Immer noch besser, als auch nur eine kostbare Folge der Simpsons zu verpassen und am nächsten Tag auf dem Schulhof schlecht nacherzählte Gags aus zweiter Hand zu hören.
Und heute? Alle neuen Episoden kenne ich dank diverser Quellen schon Monate vor der deutschen Ausstrahlung. Die alten Folgen sind gut gehütete DVD-Schätze. Pro-Sieben können die anderen schauen.
Die Serien-DVD als silberner Gold-Esel
Bis in die Neunziger hinein war der Home-Video-Sektor noch zu vernachlässigen. Eine komplette Serienstaffel auf VHS oder gar Beta-Max? Wohl kaum. Doch dann kamen die ersten Serien-DVDs. Zuerst die thematischen Folgensammlungen der Simpsons, die wir noch aus dem VHS-Zeitalter kennen, dann komplette Staffelboxen. Mittlerweile haben Fans wie selbstverständlich eine komplette Kollektion ihrer Lieblingsserie im Regal stehen. Diese Sammler-Leidenschaft sorgt für Rekordverkäufe auch im Zeitalter von Internet und Tauschbörsen. Laut Variety erwirtschafteten Serien-DVDs bereits 2004 allein in den USA 2,2 Milliarden Dollar, für 2009 rechnen die Studios sogar mit 4,4 Milliarden Dollar.
Ohne DVD keine Serie
Manchmal retten die DVD-Verkäufe sogar sterbende Serien. So geschehen etwa bei Futurama. Nachdem die Zuschauerquoten im TV im Verlauf der vierten Staffel zurückgingen, beschloss Fox die Produktion der Serie einzustellen. Doch die DVD-Boxen verkauften sich daraufhin so gut, dass Fox diesen Goldesel der Zweitverwertung doch nicht aufgeben wollte. Es folgte eine Pseudo-Staffel, die als vier Spielfilme getarnt direkt auf DVD erschien und demnächst, in 26 Einzelepisoden zerstückelt, auch im Fernsehen anläuft. Für 2010 werden sogar 26 weitere Folgen angekündigt.
Plötzlich werden auch Nischenproduktionen interessant, die sich allein durch Werbe-Einnahmen nie refinanzieren würden. Allerdings ist bei ihnen die Fanbindung umso größer und die Studios erhalten eine treue Zuschauer- und vor allem Käuferschaft. Bestes Beispiel: Flight of the Conchords. Die amerikanische Serie um neuseeländische Musiker pflegt einen absurden Anarcho-Humor, der auf das große Publikum eher abschreckend wirkt. Die Fans der Serie lieben sie deshalb umso mehr und kaufen fleißig DVDs, Bandshirts und CDs. Ohne diese Vermarktungsmöglichkeiten hätte es die Serie wohl nie gegeben. Auch Nischenserien wie The Big Bang Theory oder The IT-Crowd, die anscheinend ausschließlich für ein Geek-Publikum konzipiert wurden, zeugen vom neuen Vertrauen der Serienproduzenten in die Kaufbereitschaft der Genre-Fans. Weg von der Massenware – hin zur maßgeschneiderten Lieblingsserie, das scheint zur Zeit das große Motto zu sein.
Nie wieder verpasste Episoden
Die Umstellung auf die DVD und andere prinzipiell immer verfügbare Medien ändert auch das Rezeptionsverhalten der Zuschauer: Serien kennen wir mittlerweile entweder komplett oder gar nicht. Wenn wir früher die Ausstrahlung von Episoden verpassten, konnten wir nur hoffen, durch ein “Was bisher geschah” über bereits vergangene Ereignisse aufgeklärt zu werden. Heute sind aber alle Folgen ständig verfügbar. Der Zuschauer kann auch weitgespannten Handlungsbögen problemlos folgen. Wir müssen nicht mehr quer einsteigen können. Neu ist auch, dass wir geliebte Episoden mehrmals schauen und dabei nicht auf Wiederholungen warten wollen: das Hauptargument für DVD-Käufe.
Der Aufstieg der Serienschöpfer und Drehbuchautoren
Die Studios stellen sich auf diese Veränderungen ein, indem sie mehr Wert auf die Drehbücher legen. Die Serienhandlungen werden komplexer, der Wiederholungswert der Einzelepisoden wird erhöht.
Die gesteigerten Anforderungen an die Qualität der Serie erklärt auch die neue Aufmerksamkeit für eine bislang ignorierte Berufsgruppe: die Drehbuchautoren. Diese sind sich ihrer neuen Stellung durchaus bewusst, wie der Autorenstreik im Winter 2007/2008 beweist: Da die großen Gewinne nicht mehr durch die Ausstrahlung, sondern durch die Folgeverwertung erzielt werden, wollten sie auch an den DVD- und Internet-Umsätzen stärker beteiligt werden. Schließlich tragen sie zum Erfolg der neuen Medien entscheidend bei. Ändert sich das Autorenteam, geht manchmal sogar die ganze Serie zugrunde. So geschehen etwa bei Gilmore Girls: Nachdem etwa die Schöpferin der Serie, Amy Sherman-Palladino, nach 5 Staffeln aus der kreativen Verantwortung herausgedrängt wurde, ging es mit den Quoten im Sturzflug bergab, bis die Serie nach einem halbgaren Ende schließlich eingestellt wurde. Andere Stars der Branche wie Chuck Lorre, Shonda Rhimes, David Shore oder J.J. Abrams genießen ein ähnliches Prestige wie Kino-Regisseure, wenn sie nicht sogar als solche enden.
Statt dem Soundtrack unserer Jugend gibt es Fahrstuhlmusik
Doch es gibt auch Schattenseiten. Vor allem die Fans älterer Serien staunen oft nicht schlecht, wenn sie eine Neuveröffentlichung auf DVD erstehen. Wenn etwa Käufer der Serie Eine schrecklich nette Familie die erste Episode starten, hören sie nicht den berühmten Klassiker “Love and Marriage” von Frank Sinatra, sondern eine seltsame Fahrstuhlmusik. Der Grund: Auch die Musikindustrie will kräftig mitverdienen. Als die Serien damals entstanden, erwarben die Studios lediglich die Lizenzen für die TV-Ausstrahlung. Jetzt brauchen sie aber neue Lizenzverträge, die auch eine Folgeverwertung auf DVD mit einschließen, und die sind richtig teuer. Existenzbedrohend wird das Ganze bei alten Serien, die von ihrem Soundtrack leben. So warten die Fans der Serie Wunderbare Jahre bis heute auf eine deutsche DVD-Veröffentlichung. In der Serie liefen ständig die großen Hits der 60er Jahre. Die Neulizenzierung für den DVD-Markt würde Millionen kosten.
Aufgrund der horrenden Lizenzkosten helfen sich die Studios bei manchen Serien, indem sie die teueren Originalsongs durch billige Ramschware ersetzen. Das Problem für den Kunden ist, dass er den Schlammassel meist erst entdeckt, wenn schon alles zu spät ist. Schließlich steht auf den Verpackungen kein Hinweis “Mit besserem Bild und beschissener Musik”. Aber es bringt nichts, wenn wir uns darüber aufregen – Kollege Batzmann kann das viel besser! Wer sich weiter mit dem komplizierten Thema Musikrechte beschäftigen will, der sei auf den entsprechenden Artikel der TV-Spielfilm veriwesen.
Das Fazit: Bessere Drehbücher, mehr Mut zu Nischenproduktionen aber auch schlechtere Musik durch Lizenzstreitigkeiten. Wieder einmal ist die Musikindustrie der große Spielverderber und beweist, wie dringend ein neues internationales Lizenzrecht nötig wäre. Doch den aktuellen Aufschwung der Serien verdanken wir nicht zuletzt der guten alten DVD.
Was meint Ihr? Sicher sind Euch weitere Veränderungen in der Serienlandschaft aufgefallen. Und was wird erst das Internet bringen?