Kann man Kunst vom Künstler trennen? Anlass für diesen kurzen Denkanstoß ist wieder mal eine Band, die Musik macht, die nicht von dieser Welt zu sein scheint, allerdings wohl scheinbar auch dubiose Kontakte zum rechtsradikalen Milieu pflegt.
Kann man Kunst vom Künstler trennen? Es ist richtig, dass der Kontext von Kunst wichtig ist. Ein Werk wird immer dann interessanter, je mehr wir den Künstler kennen, oder desto mehr wir über ihn wissen. Oder zu wissen glauben. Denn auch hier haben wir die meisten Informationen nur vom Hörensagen. Ist das Betrachten von van Goghs Bildern nicht um so spannender, wenn wir den zeitlichen Kontext kennen, in dem sie entstanden sind? Wenn wir die Reaktionen kennen, die zu seinen Lebzeiten seine Kunst ausgelöst hat? Wenn wir wissen, welchen Einfluss seine impressionistischen Werke auf die Geschichte der Malerei gehabt haben? Ist Eraserhead nicht umso faszinierender, wenn man die Entstehungsgeschichte kennt, und versteht, wie dadurch Lynch zum Film gekommen ist? Will man nicht alles über einen Künstler wissen, wenn man seine Werke besonders schätzt?
All diese Fragen würde ich mit einem klaren JA beantworten. Und dennoch, bin ich der Meinung, dass diese Herangehensweise zwar sehr interessant sein kann, aber nicht im Sinne der Kunst ist, denn je mehr wir über den Künstler wissen, desto mehr entfernen wir uns von der eigentlichen Wirkung des Werkes. Bereits in den 60er Jahren konstatierte der Schriftsteller und Philosoph Roland Barthes, dass nicht der Autor sondern der Leser den Text erschaffen würde. Und hier hat er in Meinen Augen zu 100% Recht. Alles was wir über den entsprechenden Künstler wissen - oder besser noch - zu wissen glauben, verwenden wir um unser Bild über das Werk zu vervollständigen. Dies sind aber alles Perspektiven die einen vom Kunstwerk selbst wegholen. Die uns davon abhalten mal in uns zu gehen, und zu gucken was das Werk eigentlich mit uns macht. Vollkommen losgelöst von allen Hintergrundgeschichten, die das Werk selbst verzerren. Das Kunstwerk quasi als Stimulus für etwas viel tieferes.
Ich halte diese Fixierung auf den Künstler für eine Folge dessen, dass wir gesellschaftlich Künstler mehr verehren, als die eigentliche Kunst. Dabei ist es doch die Kunst die uns berührt. Diese weit verbreitete Einstellung könnte daher kommen, dass wir prinzipiell alles immer verstehen wollen. Oder besser noch, wir wollen für alles die eine Antwort haben, wo es überhaupt keine Antwort gibt. Wir glauben Kunst „verstehen“ zu können, wenn wir mehr über den Künstler wissen. Wenn wir seine Intentionen kennen. Was aber wenn ein Werk mich ganz anders erreicht, als es der Künstler wollte? Und woher weiß ich überhaupt, ob ein Künstler irgendwas wollte? Kunst muss mitnichten immer ein Ziel verfolgen. Kunst ist oft einfach nur ein intuitives Experiment. Ein Kunstwerk ist die Folge eines größtenteils unbewussten geistigen Prozesses. Und Kunst will eben nicht verstanden werden. Kunst will erlebt werden.
Der nächste Punkt, der in meinen Augen problematisch ist, ist die Verbindung von Kunst und Erfolg. Wir leben nun mal in einer Wettbewerbsgesellschaft, und wir sind mit der Vorstellung aufgewachsen, dass insbesondere materieller Erfolg ein Indiz für die Großartigkeit einer Person ist. Und wenn ein Kunstwerk erfolgreich ist, sehen wir das als Beweis dafür an, dass es auch gut sein muss. Blöd nur, dass ein Kunstwerk nie per se gut ist, sondern man es bestenfalls gut finden kann. Kunst in einem kapitalistischen System ist auch stark gefährdet, denn auch diese beugt sich den Regeln des Marktes.
Aber kommen wir nun zur eigentlichen Frage. Kann ich Burzum
hören, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, weil ich die Musik eines Mörders
höre? Sind die Songs von Michael Jackson plötzlich nicht mehr gut, weil er sich
vermutlich an Kinder vergriffen hat? Welchen Menschen jüdischen Glaubens ist
damit geholfen, dass ich mich weigere in eine Wagner-Oper zu gehen? Das hat
selbst Daniel Barenboim begriffen.
Viele behaupten, Kunst und Künstler ließen sich nicht trennen. Dabei
sind es oft genau diese Leute die längst eine Trennung vorgenommen
haben, denn sie beurteilen ohne es zu merken den Künstler, haben es aber
verlernt Kunst kontextfrei auf sich wirken zu lassen. Ich sage nicht,
dass die eine Herangehensweise richtig und die andere falsch ist. Ich
behaupte lediglich, es gibt zwei grundlegend verschiedene Arten sich
Kunst zu nähern. Eine äußerst interessante intellektuelle Weise, bei der
der Künstler und seine vermeintlichen Intentionen im Zentrum stehen.
Und eine äußerst emotional und spirituell bewegende, bei der alleine das
Kunstwerk und man selber im Zentrum steht. Wenn man nur die erste
kennt, kann verständlicherweise ein problematischer Kontext nicht
ignoriert werden, weil sonst nichts mehr übrig bleibt, worauf man sich
einlassen kann.
Meiner Ansicht nach stellen sich bei dieser Betrachtung immer nur zwei Fragen. Sind in dem Kunstwerk eindeutig Ansichten, Taten oder Ideen dargestellt, mit denen ich nichts zu tun haben will? Meistens ist dies nicht der Fall, sonst würde mich das Werk ja nicht erreichen. Die zweite Frage ist, bin ich bereit dafür Geld auszugeben, um eventuell jemanden zu unterstützen, der dieses Geld für Zwecke missbraucht, die ich nicht gutheißen kann? HIER ist für mich die Grenze erreicht. Trotzdem kann ich das Werk selbst, unabhängig von all dem toll finden. Und da Geschmack nicht steuerbar ist, brauche ich diesbezüglich mich weder verstecken, noch ein schlechtes Gewissen zu haben.
Der Konsum von Kunst ist nicht vergleichbar mit der Wahl eines Politikers oder mit dem Kauf eines Autos, bei denen ich rationale Argumente heranziehe um die Situation zu bewerten. Kunst ist die Auslösung von Emotionen. Wenn mir bei „Billy Jean“ einer abgeht, ist dadurch weder ein Kind gefährdet, noch deute ich damit an, dass ich Kindesmissbrauch gut finde. Ich finde dann einfach den Song gut. Und daran sehe ich nichts verwerfliches. Wenn wir wüssten, wer noch welche Leichen im Keller hat, müsste man vermutlich die Hälfte der Kunst verbannen. Was wissen wir beispielsweise über Banksy? Oder vielleicht war der Skulpteur der Venus von Willendorf ein Frauenmörder, der seine Opfer als Modell verwendet hat? Muss ein Künstler erst einen Persönlichkeits- oder Eignungstest machen, um sich künstlerisch austoben zu dürfen?
Und warum haben wir keine Probleme damit Konzerne zu unterstützen, die teilweise recht offen antisemitisch sind, Kinderarbeit fördern, die „dritte Welt“ ausbeuten oder die Umwelt zerstören? Messen wir hier nicht mit zweierlei Maß?
Es geht nicht darum, radikale und menschenverachtende Ansichten und Taten zu relativieren, zu verharmlosen oder gar gut zu heißen. Im Gegnteil! Eine eindeutige Haltung zu haben, ist äußerst wichtig. Eine differenzierte Betrachtung allerdings auch.
EDIT: 8.1.2021
Heute, etwa 1,5 Jahre nachdem ich diesen Artikel geschrieben habe, sehe ich mich gezwungen, einen Nachtrag zu schreiben. Nach den aktuellen Ereignissen wird mir bewusst, dass ich nicht mehr zu 100% zu dem stehe, was ich weiter oben geschrieben habe. Was ich nicht berücksichtigt habe, ist eine emotionale Ebene, die dann aufkommt, wenn man selbst mehr oder weniger betroffen ist.
Mir gelingt es nicht mehr diese eine Band aus den USA rund um den verschwörungsgläubigen Terroristen mit eigenem Bürgerkriegsladen zu hören, ohne dabei ein Gefühl von Abneigung zu empfinden. Gleiches gilt im Übrigen auch für die befreundete und von mir seit 30 Jahren vergötterte Band aus Krefeld, die es nach über 24 Stunden immer noch nicht geschafft hat, sich öffentlich zumindest von der Tat zu distanzieren.
Ich frage mich gerade, ob ich mir weiter oben seinerzeit versucht habe, etwas schön zu reden.