Xenoblade Chronicles X im Test – Anstrengender Spaß

02.12.2015 - 19:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Xenoblade Chronicles X
Nintendo
Xenoblade Chronicles X
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Mit Xenoblade Chronicles X erscheint endlich wieder ein Wii U-Titel, der nicht nur im Nintendo-Kosmos für Aufregung sorgt. Doch kann das gigantische JRPG den Erfolg des Vorgängers wiederholen? Oder bricht das Spiel unter seinen eigenen Ansprüchen zusammen?

Als ich im April zum Re-Release von Xenoblade Chronicles für den New Nintendo 3DS noch einmal in die gigantische Spielwelt des Ausnahmetitels der Wii zurückkehrte, lobte ich den Gigantismus des JRPGs  über den grünen Klee und feuerte dabei meine eigene Vorfreude auf das Wii U-Sequel ordentlich an. Ja, der Handheld-Ableger blieb grafisch etwas mau, aber wie könnte ich mich denn nicht auf Xenoblade Chronicles X freuen? Immerhin machten die Entwickler von Monolith Soft eine Sache besonders deutlich: Dieses Mal wird alles noch viel größer!

Oh Gott.

Es dürfte niemanden überraschen, dass dieses Versprechen eingehalten wurde. Xenoblade Chronicles X ist in Sachen Spielwelt, Mechanik und Umfang derart gewaltig, dass ich schon nach wenigen Stunden wusste, dass ich dieses Spiel niemals zur Gänze werde erleben können. Nur hatte ich damals eigentlich gehofft, dass das wohl schönste Spiel der Wii U einfach nur die Stärken des Vorgängers ausbaut und die wunderbare Leichtigkeit, die Epik im Vorbeigehen beibehalten wird. Leider ist das aber absolut nicht der Fall, denn Xenoblade Chronicles X ist ein Kraftakt für jeden Spieler, der Lust auf die vielfältige Flora und Fauna von Mira hat.

Xenoblade Chronicles war ein klassisches JRPG, das die tradierten Formeln des Genres mit der erdrückenden Freiheit von MMOs vermischt hat, also Final Fantasy XII nur eben in wirklich gut. Doch im vollen Galopp Richtung Übergröße lässt Xenoblade Chronicles X diesen Ansatz jetzt vermissen und versteht sich nun vollständig als eine große Content-Kirmes. Die Reichhaltigkeit der Spielmechaniken steht über allem und damit verbaut das Spiel zunächst den Blick auf die vielen guten Seiten, die Xenoblade Chronicles X tatsächlich hat. Selbst nach 20 Spielstunden hatte ich nämlich nicht einmal im Ansatz begriffen, wie die unzähligen Features und kleinteiligen Aspekte des Rollenspiels zusammenwirken.

Die Steuererklärung des Robinson Crusoe

Xenoblade Chronicles X überfordert und verwirrt. Dabei war ich mir sicher, dass man einen Spieleinstieg kaum weniger gut erklären kann, als es Bethesda in den ersten Stunden mit Fallout 4 getan hat . Das Spiel beginnt mit dem Absturz eines gigantischen Rettungsschiffes, das den verbleibenden Anteil der menschlichen Rasse vor der totalen Vernichtung durch kriegerische Aliens schützen soll. Auf dem unbekannten Planeten, der von den Überlebenden Mira getauft wird, entsteht die provisorische Stadt New Los Angeles, deren Bewohner nun um eine langsame Zivilisierung der Umgebung bemüht sind.


Die selbst gebastelte Hauptfigur erwacht aus dem Kälteschlaf und muss sich in bester Commonwealth-Manier an neue Strukturen und Bedingungen gewöhnen und dabei helfen, die Welt zu erkunden. Zwar wird die Geschichte durch regelmäßige Handlungsmissionen weitergeführt, doch noch weiter im Hintergrund könnte die Geschichte gar nicht mehr rücken. Im Grunde dreht sich alles nur um die Erschließung der Spielwelt und das geschieht auf die komplizierteste Art und Weise, die ich mir nur vorstellen kann. Als neuernanntes BLADE-Mitglied (einem Mix aus Polizei, Militär und Forschungsteam) rücke ich aus und kartografiere das Land, jage gefährliche Monster und sammele Ressourcen.

Dieser eigentlich simple und erfrischend abenteuerliche Gameplay-Loop wird aber hinter unnötig komplexen Systemen versteckt, die unverschämt undurchsichtig sind und die Spielerfahrung zerstückeln. So besitze ich nicht nur ein normales Charakter-Level, sondern auch aufstufbare Kampfklassen sowie ein Level-System für meine BLADE-Karriere, die ich in einer von insgesamt acht verschiedenen Divisionen bestreite. Zu keiner Zeit ist es ersichtlich, welche Aspekte des Spiels gerade greifen und welche nicht, von den detaillierten Wechselbeziehungen kaum zu schweigen. Hier eine ungefähre Übersicht zu behalten ist schwerer als jeder noch so große Fantasy-Saurier, die in Primordia durch die Steppen stapfen.

Immer mal wieder gelingt es mir aber aus diesem Diktat der Spielmechanik auszubrechen, alle Zahlen und Werte zu vergessen und unbeschwert durch die überwältigend schöne Welt von Xenoblade Chronicles X zu wandern. Tatsächlich ist das Spiel genau dann am stärksten, wenn jeder Fortschritt aus den Augen verloren werden kann und die spielerische Arbeitswut abgelegt wird. Dann erinnert Xenoblade Chronicles X nämlich an den Vorgänger, nur größer und schicker.

Leider dauert es aber nicht lang und ich werde zurück in die unnötig weitläufig aber leere Stadt gezwängt, in der sich seelenlose NPCs die Beine in den Bauch stehen und ihre fehlende Persönlichkeit durch kollektives Schweigen unterstreichen. Jede Person und jedes ihrer Schicksale sind vollkommen egal und werden durch schwache Präsentationen und peinliche Gesprächspausen nur noch furchtbarer. Über deutsche Synchro-Arbeiten rege ich mich eigentlich schon seit Jahren nicht mehr auf, aber wenn ich gefragt werde, ob ich eine "Klemmschwester" bin oder wenn Kollegen in "Schwulitäten" geraten, dann kann ich nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.

Umständliche Vielfalt

Auf viele interessante Inhalte lässt mich Xenoblade Chronicles X zudem stundenlang warten, obwohl es nur kleine Ergänzungen sind. Die ersten Schritte, Fahrten und Flüge im Skell-Anzug lassen locker drei gespielte Nachmittage auf sich warten, bis dieses Feature zugänglich ist. Ich befürchte, dass die Entwickler mit dem Wust an Konzepten die Größe des Spiels rechtfertigen wollen. Doch anstatt mir etwas zu tun zu geben, lenkt mich Xenoblade Chronicles X mit der Steuererklärung in der Hand von meinen Wandertagen ab.

Beim Vorgänger war ich großer Fan des Kollektikons, eine Art Bilderbuch der Dinge, die es in der Spielwelt zu finden gab. Ich konnte ganz nebenbei über leuchtende Kristalle laufen, sackte automatisch ein Item ein und konnte so das Büchlein vervollständigen. Hatte ich beispielsweise alle Insekten eines Abschnitts entdeckt, wurde ich belohnt. Es kostete keine echte Arbeit oder Konzentration und lud mich dazu ein, die Welt etwas umfangreicher zu erkunden.

Das Kollektikon gibt es auch in Xenoblade Chronicles X, doch hier werde ich nicht mit nützlicher Ausrüstung belohnt, sondern mit Hologrammen, die ich in meiner BLADE-Basis ausstellen kann. Das geht aber nur, wenn ich das nötige BLADE-Level habe, das ich durch das Erfüllen meiner Divisionsaufgaben steigern kann. Das sind in meinem Fall vor allem das Aufstellen von Datensonden, die als Schnellreisepunkte dienen. Dadurch gelange ich auch an die zweite Ingame-Währung Miranium, mit der ich Rüstungsfirmen unterstützen und neue Ausrüstung freischalten kann. Nichts davon ist ausreichend erklärt und wird beiläufig als Tipp eingestreut, in Verbindung zu Hunderten weiteren Details.

Fazit

Xenoblade Chronicles X bedeutet Arbeit. Die Leichtigkeit des Vorgängers ist fast zur Gänze verschwunden und wurde durch überladene Spielmechaniken ersetzt, die noch mehr Umfang vorgaukeln sollen, als durch die gigantische Spielwelt ohnehin schon zur Verfügung steht. Wer sich unvorbereitet auf das Rollenspiel einlässt, wird nach wenigen Stunden das Handtuch werfen und den Aufwand vermeiden, die das bürokratische Regelwerk erfordert.

Wer aber dabei bleibt und sich damit anfreunden kann, die ersten 20 Spielstunden nicht wirklich zu wissen, was er da eigentlich macht, wird Xenoblade Chronicles X in sein Herz schließen. Wenn wir erst einmal über den spielmechanischen Dingen stehen, entfaltet das Spiel seine wahren Stärken und provoziert aufrichtiges Staunen. Doch bis dahin ist es ein verdammt steiniger Weg.

Xenoblade Chronicles X wurde uns in Form eines Review-Exemplars von Nintendo zur Verfügung gestellt.

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