Der deutsch-türkische Regisseur Fatih Akin (Gegen die Wand, Auf der anderen Seite) im Gespräch über seine Herangehensweise an die Episode, Denis Moschitto und seine neue Bildsprache.
Wie kam es zu der Idee, den Fall Murat Kurnaz zum Gegenstand Ihrer filmischen Auseinandersetzung mit Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation zu machen?
Ich habe den Fall in der Presse verfolgt und alles Mögliche gelesen, diese Loglines vom „Bremer Taliban“, wie die Boulevardmedien geschrieben haben. Das ist ja Rufmord. Und ich habe seine Biographie gelesen, die ich sehr bewundert habe, weil sie sich sehr reflektiert und klar liest. Das hat mich sehr berührt und gepackt. Das ist das, was mich an Deutschland im Augenblick mit am meisten beschäftigt, diese Ungerechtigkeit, dass solche Tatsachen unter den Teppich gekehrt und vergessen werden. Die Leute sind so schnell im Vergessen, gerade auch weil die Medien selbst so schnelllebig sind. Ich denke, es ist ein historisches Vergehen, was die Regierung seinerzeit gegenüber Kurnaz mit zu verantworten hat. Und der Film hat mir die Möglichkeit gegeben, diese Motive zu verarbeiten.
Man kennt von Murat Kurnaz vor allem Bilder, auf denen er noch einen langen Bart trägt und etwas wild aussieht. Was hat Sie dazu bewogen, Denis Moschitto für die Rolle zu besetzen?
Ich habe Murat Kurnaz vor dem Film persönlich getroffen, da hatte er schon keinen Bart mehr und sah aus wie ein ganz normaler Großstadtjugendlicher, und ich musste gleich an Moschitto denken. Wir haben aber nicht versucht, Moschitto äußerlich anzugleichen, sondern dem Inhalt von Kurnaz’ Worten gerecht zu werden. Und ich finde, Denis Moschitto hat das sehr gut wiedergegeben, meine Wahrnehmung von Kurnaz, meine Reflexion oder Interpretation darüber. Denn es ist ja kein Dokumentarfilm, auch wenn es um eine dokumentarische Situation geht.
Können Sie sich auf gewisse Weise mit Murat Kurnaz identifizieren?
Es ist eher so, dass ich mich mit einem Teil seiner Geschichte identifizieren kann. Wie er aufgewachsen ist, woher er aus der Türkei kommt, was seine Eltern gemacht haben, dass er Türsteher war: das ist eine ähnliche Sozialisation, die mich mit seiner Biographie verbindet. Ich bin Filmemacher geworden, und deswegen wird mir das wohl nicht passieren, was Murat Kurnaz passiert ist. Aber der Fall zeigt, dass es prinzipiell jedem passieren kann, der zur falschen Zeit am falschen Ort ist.
Sie werden als Filmemacher vor allem mit deutsch-türkischen Themen assoziiert. Haben Sie überlegt, für diesen Film etwas ganz anderes zu machen?
Ich habe tatsächlich früh in so eine Richtung gedacht. Aber das Kurnaz-Thema bot sich an. Ich hatte das Gefühl, dass das der einzige vernünftige Beitrag ist, den ich dazu machen kann. Ich hatte noch ein anderes Projekt, da ging es um verwahrloste Kinder, aber während meiner Recherche habe ich diesen überwältigenden Dokumentarfilm Die Kinder sind tot gesehen – und richtiger oder eindringlicher, als dieser Film beweist, kann man das nicht verfilmen. Also ist es am Ende doch wieder etwas deutsch-türkisches geworden… Das Projekt hat eigentlich mehr mich ausgesucht, als ich das Projekt.
Dieser kurze Film sieht anders aus als Ihre anderen Filme, sehr reduziert, ein Setting, ein ruhiger Fluss von Fragen und Antworten – wie ist diese Form entstanden?
Ich wollte zuerst ein Gespräch aus diversen Interviews von Murat Kurnaz zusammenbauen, was aber schwierig war, weil einige Interviews unmittelbar nach seiner Freilassung aus Guantánamo entstanden waren und andere später. Ich habe mich dann für ein einzelnes Interview entschieden, das von süddeutsche online, da dramaturgisch und inhaltlich die Fragen und Antworten enthalten waren, die mich persönlich interessierten. Mit diesem Text sind wir dann umgegangen wie mit einem Theatertext, wodurch auch eine sehr interessante Schauspielarbeit entstand.
Der Dreh für Der Name Murat Kurnaz fiel dann in die Drehzeit meines Spielfilms Soul Kitchen, was ein sehr anstrengender Dreh war, mit vielen Leuten und mit einer sehr aufwendigen Produktion. Und dann hatten wir auf einmal die Möglichkeit, den kurzen Film zu drehen: eine Kamera auf dem Stativ und so den Raum und die Personen einfach als Still zu fotografieren – eine ganz andere Bildsprache als bei Soul Kitchen, an dem wir gerade gearbeitet hatten, von heute auf morgen. Ich habe das sehr genossen. Wenn ich die Kamera bewegt hätte – das ist ja immer ein narratives Element, das ist ja Rhetorik – hätte ich das Gefühl gehabt, die Zuschauer in irgendeine Richtung zu manipulieren. Aber ich wollte den Text identisch so nehmen, wie er ist, und das Ganze so ein bisschen wie ein Tennisspiel fotografieren, mit der geringst möglichen Manipulation, die ich als Filmemacher schaffen kann.
Quelle: Mit Material von Piffl Medien zum Film Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation