Ein Krater liegt mitten in Asteroid City. Vor Tausenden Jahren schlug an diesem Punkt ein Asteroid ein. Um diesen Krater versammeln sich im neuen Film von Wes Anderson ein Kriegsfotograf, eine Schauspielerin, eine Gruppe hochintelligenter Kinder, und irgendwann sogar ein Alien. Gemeinsam erzählen sie eine Geschichte über Tod, Verlust, Trauer, neue Liebe, das Glück des Zufalls und die Unendlichkeit des Lebens selbst.
Das klingt relativ einfach, wird von dem Grand Budapest Hotel-Regisseur aber so verschachtelt erzählt wie die ferne Sci-Fi-Verwandtschaft Inception – nur berührender. Beim Festival von Cannes feierte der Film seine Weltpremiere.
Die verschachtelte Erzählung des Retro-Sci-Fi-Films in der einfachen Version
Asteroid City ist ... wo fangen wir an? Am besten in Bunt: Die bunte Story erzählt von einem Witwer und Kriegsfotografen (Jason Schwartzman), der 1955 mit seinen vier Kindern auf dem Weg zu seinem Schwiegervater (Tom Hanks) für einen Wissenschaftswettbewerb Halt in Asteroid City macht. Dort trifft er die Schauspielerin Midge Campbell (Scarlett Johansson), beide verlorene Seelen, die an diesem Punkt in der Wüste kollidieren. Um sie herum arrangiert Anderson andere Figuren. Für die der Zwischenstopp in Asteroid City lebensverändernd wird, wie Kreiswellen, die auf einem See davontreiben.
Asteroid City ist aber auch ein Theaterstück von Conrad Earp (Edward Norton) über einen Witwer, der in der Wüste eine Schauspielerin trifft. Und zum dritten ist Asteroid City eine schwarz-weiße TV-Show über die Entstehung eines Theaterstücks von Conrad Earp über einen Witwer, der in der Wüste eine Schauspielerin trifft. Das ist die einfache Zusammenfassung.
Schaut euch den Trailer für Asteroid City an:
Fans von Wes Anderson wird diese verschachtelte Erzählung kaum überraschen, der Regisseur schenkt seinen Filmen oft ein literarisches Framing. Er rahmte sein letztes Werk The French Dispatch als Kurzgeschichtensammlung in einem fiktiven Magazin. Grand Budapest Hotel wiederum bestand aus der Erinnerung innerhalb einer Erinnerung innerhalb eines Romans.
Asteroid City treibt das Ganze mit seinem erzählerischen Schichtsalat so weit, bis einem ob der Frage, wer Schauspieler, wer Figur, wer "echt" ist, der Schwindel überkommt. Die Antwort: niemand und alle. Daneben schaut sich Inception so unkompliziert wie eine Teletubbies-Episode.
Was Nolan und Anderson gemeinsam haben
Der Schlenker hin zu Christopher Nolan ist gar nicht mal so abwegig. Beide Regisseure sind obsessive Konstrukteure und erzählen jeweils Verlustgeschichten. Im direkten Vergleich fällt aber auf, wie dick Nolan bei Inception aufträgt, um Cobbs leidlich berührende Besessenheit von seiner verlorenen Frau zu untermalen. Unmengen narrativen und DiCaprio'schem Schweiß piksen die Gefühlswelt, bis man entweder nachgibt oder taub ist.
Demgegenüber trägt Anderson bei allem anderen dick auf, außer den Gefühls-Kollisionen. Das grelle Farbspektrum von Asteroid City tut fast in den Augen weh, die Schauspielenden (also die wirklich echten) sprechen so manieriert wie gewohnt. Die Kamera durchfährt den Raum mit der Sanftheit eines 55-Tonnen-Kampfpanzers.
Die Szenen der Annäherung dagegen zeichnen sich durch eine leise Melancholie aus, als wollte niemand aussprechen, dass da etwas Besonderes zwischen ihnen erschienen ist – aus Furcht, es zu vertreiben. Ein Flirt? Eine neue Liebe? Ein Hoffnungsschimmer ganz bestimmt.
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Das Universum auf einem Fleckchen Erde
Asteroid City scheint auf den ersten Blick jedoch von allem anderen zu handeln: hochintelligenten Kindern, die in ihrer Freizeit Laser und Jet-Packs basteln, einem fiktiven Theater-Autor, der sich in einen Laien-Schauspieler verguckt, Automaten, die Cocktails, Zigaretten und Grundstücks-Urkunden ausspucken. Einem schüchternen Alien.
Oder so: Nolan dreht mit Oppenheimer einen ganzen Film über die Entstehung der Atombombe, in Asteroid City sind die Atompilze ein Detail unter vielen am Horizont. Das 50er-Jahre-Amerika des Films schwankt zwischen Aufbruch in die Zukunft und lähmender Paranoia und auch unsere Figuren haben diese Wahl.
Die Kunst von Wes Anderson besteht darin, diese Masse an disparaten Puzzlestücken wie von Zauberhand in ein klares Bild zu fügen, das einen direkt ins Herz trifft. Das gelang ihm im verspielten Isle of Dogs so gut wie gar nicht, in The French Dispatch nur in Teilen. In Asteroid City aber schon.
Wes Anderson konzentriert die Weite des Universums auf einem Fleckchen amerikanischen Staubs. Da trifft ein verwitweter Kriegsfotograf eine Schauspielerin, ein Zufall, fast so groß wie der Aufprall dieses Asteroiden genau auf diesem Stück Erde. So eine Explosion muss Nolan erstmal toppen.
Asteroid City startet am 15. Juni in den deutschen Kinos.