Berlinale: 24 Wochen - Können wir nochmal Victoria gucken?

15.02.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Berlinale 2016: 24 WochenZero One Film
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Mit 24 Wochen feiert der einzige deutsche Beitrag im Berlinale-Wettbewerb Premiere, doch ein französisches Drama über zwei verliebte Teenager läuft dem heimischen Konkurrenten ohne Weiteres den Rang ab.

Der Bus brummt durchs diesige Kreuzkölln und lässt zu seiner Rechten eine verlassene Haltestelle nach der anderen pausenlos hinter sich. Es kann nur ein Sonntagmorgen im ungemütlichen Winter sein, der einen diesen Teil Berlins so harmonisch, so unbefleckt von Glasscheiben und Mageninhalten auffinden lässt. Die Hauptstadt ist kalt und regnerisch und ziemlich schön an diesem Tag. Einem Berlinale-Sonntag obendrauf. Am Potsdamer Platz streifen wacker die goldenen LED-Sternschnuppen durch die Bäume, der rote Teppich wird allein von Wellenbrechern flankiert, riesige Bildschirme zeigen Kosmetik-Werbung für ein abwesendes Publikum. Früh um acht an einem vermeintlichen Ruhetag gleicht das kinematografische Zentrum der Berlinale 2016 einem Weihnachtsbaum, den Papi zur Fastenzeit immer noch nicht abgebaut hat. Doch wer sich gehen lassen will, vielleicht mal während des Films die Äuglein zufallen lässt und den lieben Filmgott Filmgott sein lassen will, den mahnt der Blick von Jury-Präsidentin Meryl Streep auf einem überlebensgroßen Porträt im Berlinale Palast zur Wachsamkeit. Ruhe is nich.

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Wie zur Mahnung beginnt der 4. Berlinale-Tag mit dem Kriegsfilm Letters from War. Darin werden die Briefe des Schriftstellers António Lobo Antunes mit dem ästhetischen Willen irgendwo zwischen kernigen Armani-Werbespots und der Ausschuss-Ware von Terrence Malick-Jüngern vertont. Ein Militärarzt schreibt während des portugiesisches Kolonialkriegs in Angola seiner Frau in Lissabon. Zunächst klingt er ermattet von der Front, steigert sich später in die rettende Liebe zu ihr hinein, bevor der Wahnsinn des Krieges auch auf die Briefe Eindruck hinterlässt. Aus dem Off vorgelesen, wird die einseitige Korrespondenz durch bruchstückhafte Eindrücke aus dem Alltag der Soldaten in Angola begleitet. Zunächst beeindruckt der Wettbewerbsbeitrag durch eine surreale Diskrepanz zwischen liebevollen Worten und stummfilmartigen Impressionen der Gefahr. Doch je länger die exquisiten Schwarz-Weiß-Bilder von João Ribeiro über die Leinwand gleiten, desto dringlicher ruft Letters from War einen Kriegsfilm in Erinnerung, der 1999 im Wettbewerb der Berlinale lief: Der schmale Grat. Ein Malick fällt nur eben nicht vom Himmel bzw. den LED-beleuchteten Baumkronen an der Alten Potsdamer Straße.

Schieben wir nun die geplante, hanebüchene Überleitung zwischen Letters from War und dem neuen Film von André Téchiné zur imaginierten Freude aller Leser beiseite. Die versammelte deutsche Presse dürfte sich an diesem Sonntag in 24 Wochen gestürzt haben, den zweiten Spielfilm von Anne Zohra Berrached (Zwei Mütter). Der einzige deutsche Beitrag im Wettbewerb [man füge ein ironisches Trademark-Symbol ein] castet Julia Jentsch als Kabarettistin Astrid, die mit ihrem Lebensgefährten Markus (Tatortreiniger Bjarne Mädel) das zweite Kind erwartet. Bei einer Routine-Untersuchung wird allerdings festgestellt, dass das Baby mit dem Down-Syndrom zur Welt kommen wird. Für Astrid und Markus steht schnell fest, dass sie das Kind trotz der Krankheit bekommen werden, doch früher oder später schleichen sich Zweifel ein.

Noch vor dem Einbruch des Dramas verlegt sich die Inszenierung von 24 Wochen auf den im Genre gängigen Handkamera-Einsatz. So geht der berufliche Trubel von Astrids Karriere quasi nahtlos in die moralische Krise über, ohne dass dazwischen Nuancen ausgemacht werden. 24 Wochen ist offenkundig ein mühsam zusammenrecherchierter und sehr persönlicher Film, der vor allem mit dem still kämpfenden Bjarne Mädel die Tragweite der Entscheidungen nachvollziehbar werden lässt. Gleichzeitig bewegt sich das Drehbuch ähnlich formelhaft durch die Stationen von Astrids Ringen mit sich und ihrem Muttersein, wie die an Hinterköpfen klebende Kamera Authentizität suggerieren will.

Being 17

24 Wochen ist ein Film, dessen Heldin in unerträglich "poetischen" Szenenübergängen im Fruchtwasser einer Aquafitness-Session schwebt. Nun mag es wahnsinnig unfair sein, diesen Zweitling mit dem Alterswerk eines 72-Jährigen zu vergleichen. Aber wo, wenn nicht beim Filme-Bingen der Berlinale? Being 17 heißt also die alternative Herangehensweise. Der Franzose André Téchiné (Wilde Herzen) hat diesen Wettbewerbsbeitrag gedreht. In drei Trimestern erzählen Téchiné und Co-Autorin Céline Sciamma von den beiden 17-Jährigen Damien (Kacey Mottet Klein) und Thomas (Corentin Fila). Der eine wohnt im Tal, der andere in den Höhen der Pyrenäen, der eine stammt aus gutbürgerlichem Hause, der andere ist das adoptierte Kind einer Bauernfamilie. Beide geraten in der Schule immer wieder aneinander. Vom ersten Blickwechsel allerdings ist klar, dass sie in den Prügeleien unausgesprochene Begierden ausleben. Zwischen Damien und Thomas geht die Luft förmlich in Flammen auf, keine Selbstverständlichkeit bei so jungen Darstellern.

Sciamma hat sich durch Jugenddramen wie Bande de filles und Tomboy als Regisseurin einen Namen gemacht. In Zusammenarbeit mit Téchiné legt sie die aufkeimende Zuneigung zweier Teenager unters Mikroskop der Jahreszeiten. Eine notwendige Geduld für zwei junge Männer, die ihre Gefühle mal in winzigen Regungen ausdrücken, mal in Kinnhaken. Die Selbstverständlichkeit in der Herangehensweise erfrischt, die Darsteller, besonders auch Sandrine Kiberlain als ahnungslos liebenswerte Mutter Damiens, nehmen uns im Handumdrehen mit auf die Wanderung. Was in Téchiné nun den Meister erkennen lässt, ist die Vielzahl an Mitteln, die in Being 17 eingesetzt werden, um das Seelenleben der Helden zu verbildlichen. Die Kamera als obligatorische Nacken-Klette taucht hier ebenfalls auf, lediglich in wirksamen Dosen innerhalb einer feinfühligen Inszenierung. 17 sein, das heißt wild sein, aber eben auch tausend andere Sachen.

Erschreckend aussagekräftig ist 24 Wochen allerdings in seiner Darstellung der deutschen Comedy-Szene. Was sich nicht auf den Gastauftritt eines pissigen Dieter Nuhr bezieht. Astrid ist eine dieser Comedians, bei denen nur das Filmpublikum lacht. Schwanger sein sei wie ISIS beitreten, erheitert die Stichprobe ihrer Pointen. Als Nächstes fragt sie einen Zuschauer, ob er Perücke oder Toupet trägt. Nun gut. Außerordentlich auffällig aber ist, wie Comedy bzw. Kabarett in 24 Wochen als Karriere, nicht Leidenschaft begriffen wird. Abseits der Bühne steckt kein einziger funny bone in Astrid, die ebenso gut jeden anderen öffentlichkeitswirksamen Beruf hätte ausüben können. Der Plot würde weiter funktionieren. Das könnte als Versäumnis eines Drehbuchs ausgelegt werden, das sich monozentrisch auf den Konflikt fixiert. Oder es könnte als vernichtender Schnappschuss deutscher Mainstream-Comedy gelobt werden. Wie dem auch sei, schaut euch lieber Tig an. Da geht's um eine Komikerin. Es geht um einen Schicksalsschlag und vor allem: Hier war den Filmemachern klar, dass eine Dokumentation die beste Herangehensweise für ihr Anliegen ist.

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