Das Goldene Zeitalter des Porno-Spielfilms

30.10.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Deep Throat
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Anlässlich des 8. Pornfilmfestivals in Berlin schreibt Jochen Werner, Mitorganisator des Festivals, in einer Themenreihe über die Geschichte des pornografischen Films.

Den Pornofilm hat es gegeben, solange es Kameras gab und Menschen, die diese aufeinander gerichtet haben. Was sich freilich über Dekaden hinweg immer wieder geändert hat (und sich in unabsehbare Zukunften hinein wohl weiter verändern wird), das sind die Bedingungen seiner Entstehung und Rezeption – sowie die kulturelle Präsenz und der rechtliche Status, die ihm eingeräumt werden. Im Jahr 1910 wurde mit der vom später im Ersten Weltkrieg gefallenen Österreicher Johann Schwarzer gegründeten und weitgehend allein betriebenen Saturn-Film eine der ersten Porno-Produktionsgesellschaften der Kinogeschichte (frühere Filmproduktionen waren meist Privatprojekte) nach einer Razzia durch die Wiener Polizei zwangsgeschlossen, alle 52 Filme wurden vernichtet. Gut 60 Jahre später sah sich Jacqueline Kennedy in einem der großen Filmpaläste am Broadway Gerard Damianos bahnbrechenden (leider aber furchtbar schlechten) Pornofilm Deep Throat an. Welche gesellschaftlichen Umwälzungen liegen zwischen diesen beiden Ereignissen?

Nun, das sogenannte “Goldene Zeitalter des Pornofilms”, das mit Damianos Werk – eher als populärkulturelles Phänomen denn als bedeutender Film zu betrachten – einen prägnanten Anfang nahm, ist zunächst einmal ganz grundsätzlich mit den sozialen und sexuellen Befreiungsbewegungen seiner Zeit verschaltet und von diesen nicht zu trennen. In gar nicht so wenigen der schöneren Genrevertreter der 1970er Jahre sind überaus sympathische und sichtlich zugekiffte Hippies vor der Kamera zu sehen, die mit sichtlichem Spaß an der Sache zu selbiger kommen und so ihren Idealen der freien Liebe filmischen Ausdruck verleihen. Das filmische Œuvre des New Yorker Psychedelia-Pornografen Eduardo Cemano gibt davon sehr beredet (und nicht nur unübersehbar, sondern auch sehr gekonnt dem Surrealismus zustrebend) Auskunft – sogar in gewisser, recht idiosynkratischer Hinsicht auf feministische Weise. Da werden etwa, im unfassbaren Fongaluli, Männer (buchstäblich) zu hilflosen Zwergen geschrumpft angesichts der mächtigen Vulva, da werden Frauenkörper zu erkundende, unerschöpflich scheinende Landschaften. Und zwischendurch steht immer mal wieder ein furcht- oder wunderbar kindlicher Witz, der den Eindruck eines auf positive Weise ungehemmten, aber durchaus nicht ungekonnten Hedonismus letztlich nur vervollkommnet.

Neben seinen unbedingt freudvollen Exzessen hat das Pornokino der 1970er Jahre, das erst nach langen juristischen Querelen um die Legalität von Deep Throat und hardcore-pornografischer Darstellungen an sich in den USA möglich wurde, aber auch genuin kunst- und anspruchsvolle, ästhetisch bis ins Letzte durchkomponierte und so abgründige wie komplexe Filme zu bieten. Auch das Pornokino hat seine großen, kanonischen Meisterwerke! Wer einmal der Vorführung eines Films wie Gerard Damianos großartigem The Devil in Miss Jones – im Anschluss an den nur ein Jahr zuvor reichlich dilettantisch inszenierten Deep Throat lernte der ehemalige Friseur Damiano schnell – von einer 16mm-Kopie beiwohnen durfte, wie sie im letzten Jahr im Berliner Moviemento-Kino nebst in der letzten Sitzreihe des Kinosaales fortwährend ratterndem, portablem Filmprojektor zu bewundern war, der weiß um die Magie, die der Zelluloid-Pornospielfilm jener Tage auch heute noch verströmen kann.

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