Der Western ist so wichtig wie nie zuvor

06.08.2013 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Lone Ranger
Disney
Lone Ranger
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Über den Western wurden mehr Grabreden gehalten als ein Genrefan aushalten kann. Das ist aber nicht der einzige Beweggrund des folgenden Plädoyers für den modernen Western der Marke The Lone Ranger und Django Unchained.

In zehn bis fünfzehn Jahren wird Lone Ranger wiederentdeckt werden, vielleicht als letzter Überrest eines Blockbuster-Kinos, von dem wir einst schwärmten. Womöglich wird Lone Ranger dann als subversiver Ausreißer gefeiert werden, als 200+ Millionen-Flop aus dem Hause Disney, dessen zwei unwahrscheinliche Auteurs Gore Verbinski und Johnny Depp mit ihrem Gegenentwurf zum zeitgenössischen US-Blockbuster eigentlich nur scheitern konnten. Das aber tun sie (zumindest in meinen Gedanken) begleitet von Rossinis Wilhelm Tell Ouvertüre. Halsbrecherisch, voller Selbstüberschätzung und bewundernswert. Es gibt schlimmere Abgänge. Lone Ranger ist nicht nur eine Lektion in der Fehlkalkulation einer Zielgruppe. Primär erinnert der Film daran, was der amerikanische Western soll, kann und muss, insbesondere nachdem er von allen für tot erklärt wurde.

Der Duft der Verwesung hängt dem US-Western seit den späten 60er Jahren an und das zu Recht. Überfordert vom zeitgleich stattfindenden gesellschaftlichen Wandel und zumeist unfähig, dem eigenen Mythos jenseits nostalgischer Todesritte grauer Herren etwas hinzuzufügen, schwand das Zuschauerinteresse und die Bereitschaft der kriselnden Studios, ihre überalterten Stars durch die Steppe zu jagen. Meisterwerke wurden noch gedreht, von Pat Garrett jagt Billy the Kid (1973) bis hin zum verhängnisvollen Heaven’s Gate – Das Tor zum Himmel (1980). Zwar gab es Versuche, die anachronistische Moral des Western, besonders seine Bejahung des WASP-Ideals, also des weißen anglosächsischen Protestanten, im Zeitalter von Frauen- und Bürgerrechtsbewegung in Frage zu stellen. Was vom amerikanischen Western blieb, waren seitdem jedoch vereinzelte revisionistische oder klassische Beiträge, keine breite Wiederentdeckung, keine von Studio zu Studio schwappende Welle, wie sie gerade der Science Fiction-Film erlebt.

Und warum auch? Der Western, das amerikanische Kino par excellence, wie André Bazin einmal schrieb, scheint in jeder Hinsicht von der Zeit überholt. Erwachsen aus dem Manifest Destiny, dem Mythos von einem gelobten Land, das rechtmäßig in Besitz genommen und ausgeweitet wurde, diente der Western in Literatur und Film als Vehikel der Selbstbestätigung einer jungen Nation. In seinen Mittelpunkt stellte der klassische amerikanische Western den (weißen) Cowboy, Revolverhelden oder Marshall, den es vor dem Abspann meist wieder hinaus ins weite Land zieht. Es ist ein naturnaher Held, irgendwo zwischen der noch zu erobernden Wildnis und der Gesellschaft angesiedelt; der Scout, der Saloons und Eisenbahnen voraus- und davonreitet. Der Westerner ruft die Keimzelle des amerikanischen Staates in Erinnerung, die kleine Siedlung an der Frontier, der Grenze zum Nirgendwo, moralisch wie geografisch weit entfernt von den kapitalistisch geprägten Großstädten der Ostküste.

Auch jenseits der verstaubten Moralvorstellungen dient sich der Western dem Blockbusterkino nicht gerade an: Seine Helden sind älter, vom Leben gezeichnet. Ein Pferd, ein Revolver und Landschaftspanoramen locken heute kaum jemanden ins Kino, stattdessen werden aufwendige Spezialeffekte und, damit einhergehend, urbane Zerstörungsorgien verlangt. Dabei haben sich Grundmotive des Genres nicht etwa verflüchtigt. Sie wurden anderswo aufgenommen und erneuert. Gore Verbinskis und Johnny Depps Lone Ranger bildet nun, trotz seiner verkrüppelten Nebenstränge, in die Länge gezogenen Exzentrizitäten und zweifelhaften Casting-Entscheidungen, die Kulmination dieses Widerspruchs zwischen Genre, Zeit und Produktionsmaschinerie.

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