Nach kurzen fünf Wochen ist bereits alles vorbei. Die
3. Staffel von Fear the Walking Dead geht mit einem zweistündigen
Midseason-Finale vorläufig in Sommerpause und kehrt erst in einigen Monaten
wieder zurück. Und doch ist in dieser kurzen Zeit einiges passiert, was die
Serie qualitativ um Längen nach vorne bringt und das Spin-off stärker von der
Mutterserie abgrenzt.
Zunächst einmal wäre da erneut die gute Arbeit der
Regisseure zu erwähnen, respektive Jeremy Webb und Andrew Bernstein. Fear The
Walking Dead setzte sich visuell bereits in der Vergangenheit stark von anderen
Geschichten innerhalb des Walking Dead-Universums ab, doch in der 3. Staffel legte man noch einmal eine Schippe drauf. Man nimmt sich dem Setting
vollkommen an, arbeitet oft mit Kamerafahrten und Totalen der Natur, die die
Weite der Ländereien unterstreichen, über die hier in den Folgen ganz besonders
gestritten wird. Gleichzeitig versinken die Figuren oft in der Landschaft,
werden von der Natur quasi verschlungen oder teilweise bedeckt. All dies betont
den Sieg der Natur, eine Rückkehr zu einem Zustand, der vor einigen
Jahrhunderten noch hier an diesen Plätzen herrschte. Der Kampf um Gerechtigkeit
der Natives rückt somit direkt ins Zentrum des visuellen Storytellings, doch der
blutige Ausgang wird von der Weite des Landes untergraben. In einem so großen
Land wird am Ende um eine kleine Ranch und das umliegende Land gekämpft und
getötet? Es tut sich die Frage auf: Wieso muss es so weit kommen?
Darüber hinaus spinnt sich Fear The Walking Dead keinen
bedeutungsschwangeren Konflikt wie die Mutterserie zusammen, sondern arbeitet
mit realitätsnahen Szenarios. Nicht umsonst zieht sich die Frage nach der
Wasserversorgung durch die gesamte Staffel. Der trockene Südwesten der USA an
der Grenze zu Mexiko vermag vielleicht in der Border-Story in der 2. Staffel als Handlungsort enttäuscht haben, hier blüht das Szenario jedoch
tatsächlich auf. Nicht zuletzt dank der interessanten Natives, die leider etwas
zu kurz gekommen sind und bisher hauptsächlich durch grimm guckende Clan-Mitglieder
und den sympathischen, wenn auch ruchlosen Anführer Qaletaqa Walker (Michael Greyeyes) verkörpert werden. Die Gefahr einer klischeehaften Darstellungen mit
dem sensiblen Thema des Konflikts der Ureinwohner Amerikas wurde bis auf wenige
Ausnahmen gut umschifft, auch wenn bisher das Individuum repräsentativ für das
Kollektiv herhalten muss. In der zweiten Staffelhälfte jedoch wird man dies
hoffentlich noch nuancierter gestalten.
Im Midseason-Finale erhalten wir einen Einblick in die lange
Konfliktgeschichte zwischen Jeremiah Otto und der Walker-Familie des Black Hat
Clans. Es ist zu begrüßen, dass der Anlass des jetzigen Konflikts durch die
Wassernot in der Apokalypse pragmatischer Art ist, die Austragung jedoch basierend
auf älteren Missetaten eskaliert. So vermeidet man die zu blanke Darstellung
von Rassismus, wobei dieser schon recht früh in der Finalfolge gegenüber Ofelia (hello again!)
und "braunen Menschen" Ausdruck findet. Trotzdem bleiben der Patriarch auf der
Ranch sowie sein Gegenspieler niemals langweilige Stereotypen. Unschuldige
starben in beiden Lagern, beide Seiten haben ihre nachvollziehbaren Gründe und
jeder hat ein bisschen Recht. In der Mitte befinden sich unsere Hauptfiguren,
die sich nun für eine Seite entscheiden müssen. Ihre Entscheidung, Troys Taten
zu decken und Jake (Sam Underwood) bei diplomatischen Versuchen zu unterstützen, stellt sich am
Ende als erfolgreich heraus.
Das Interessanteste an diesem Ende der Halbstaffel ist
jedoch der überraschende Ausgang des Konflikts. So aufrichtig und nuanciert die
Serie die Spannungen zwischen weißen Amerikanern und den jahrhundertelang
diskriminierten und unterdrückten Natives auch auf den Bildschirm bannen will,
Fear The Walking Dead bleibt eine Zombieserie. Als solche ist sie getrieben von
wiederkehrenden Plots, Archetypen und Situationen. Während Madisons (Kim Dickens) Charakterisierung etwas holprig erscheint, ist ihre schlussendliche
Entscheidung jedoch spannend und fast schon revolutionär. Sie entscheidet
sich zwar für die Ranch, da diese ihrer Familie – deren Schutz nach wie vor das
einzige und oberste Ziel ist (und somit erhält Travis‘ Tod rückwirkend doch
eine Bedeutung) – bessere Ressourcen bietet. Gleichzeitig baut sie jedoch einen
Friedensvertrag auf einer Lüge auf, die sie mit Walker fast schon auf
freundschaftliche Art verbindet. Madison kann vielleicht nicht die Missetaten
von Jeremiah aus der Welt schaffen, doch sie kann zumindest für etwas
Genugtuung sorgen.
In der andauernden Feindschaft der Männer kann die "weiße Frau" womöglich Abhilfe schaffen. Madison und Ofelia
erleben nicht umsonst Frauen- und Fremdenfeindlichkeit, Alicia wird in der
Folge sogar quasi als Ware angeboten. Selbst Walker missbraucht Ofelias Vertrauen.
Dabei sind es aber trotz aller Feindseligkeiten insbesondere die unterdrückten
Frauen, die in der Staffel das Ruder an sich reißen. Madison entscheidet sich
endlich für eine härtere Gangart, Alicia weiß Jake um den Finger zu wickeln,
während Nick grübelt, Jeremiah sich in den Alkohol flüchtet und Troy Freunde
ermordet, um Kontrolle zu wahren. Besonders die beiden Otto-Brüder sind
trotz ihrer Anlehnung an Kain und Abel doch die interessantesten Neuzugänge der
Staffel und sie bleiben – ebenso wie der schwelende Konflikt – Gott sei Dank erhalten. Diese geschundenen
Männer müssen nun mit einer Welt klarkommen, in der eine Frau herrscht, die
einen geheimen Vertrag mit dem Erzfeind ihres toten Vaters hat. Ein toller Nährboden für Konflikte! The Walking Dead liebt es, Männlichkeit zu propagieren. Wer will schon Eugene sein, wenn er
Abraham, Rick oder Negan sein könnte? Fear The Walking Dead hingegen
hinterfragt nicht nur diese toxische Männlichkeit auf einer persönlichen Ebene,
sondern deckt auch die strukturellen Gräueltaten auf. Nicht umsonst werden in
den finalen Momenten der Folge zwei Väter (Madisons Vater in der Erzählung) und
Otto einige Minuten später (durch den Ziehsohn gleichwohl!) getötet.
Dazu endet endlich ein Midseason-Finale nicht in einem
großen Shootout, bei dem unsere Helden fliehen und in alle Winde verstreut
werden. Auch die Zombies werden im Zaum gehalten. Stattdessen übernehmen die
Clarks Kontrolle über ihr Schicksal und das bedeutet in diesem Szenario auch
Verantwortung gegenüber der Vergangenheit Amerikas und dem Boden, auf dem sie
jetzt Zuflucht finden.
Zuletzt sei noch Strand erwähnt, dessen Geschichte nicht so
wirklich in das Finale passen will. Daniel bleibt bis auf eine Vision ganz dem
Finale fern, doch Victor erhält einen ganzen Handlungsstrang. Er findet nämlich
auf der Suche nach Proviant sein verschollenes Schiff Abigail, das auf Grund
gelaufen ist. Er entledigt sich der Zombiecrew und feiert ein letztes Mal auf
dem Schiff. Er scheint dem Ende nahe, doch dann empfängt er einen russischen
Kosmonauten von der ISS auf seinem Funkgerät (über den sich bitte(!) die
nächste Webserie drehen muss). Ein kleines Gespräch folgt und er schöpft neuen Mut.
Er fackelt sein Schiff ab und betritt wie Phoenix aus der Asche den Strand
(Ha!) als neuer Mann.
Fear The Walking Dead hatte sich in der ersten Staffelhälfte
viel vorgenommen und mehr erreicht. So richtig passen all die Puzzlestücke noch
nicht zusammen, doch nach der katastrophalen letzten Hälfte der 2. Staffel
besteht nun wieder die Hoffnung, dass das Spin-off tatsächlich zu wahrer Größe
heranwachsen kann. Die ersten Anzeichen waren in der 1. Staffel zu sehen,
die 3. Staffel wartet nun wieder mit großen Ambitionen auf. Insbesondere,
auch das sei wieder hervorgehoben, durch die Regie und die Kameraarbeit, aber
auch durch das Szenenbild, die Kostüme und die Schauspieler lohnt es sich
wieder der Serie eine Chance zu geben.