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Träume und Menschenexperimente

01.02.2015 - 11:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Bild zu Träume und Menschenexperimente
Paramount Home Entertainment / eigene Bearbeitung
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Willkommen im Hörsaal, meine sehr verehrten Studentinnen und Studenten. Ihr Professor Dr. Kobbi begrüßt Sie zur neuen Vorlesung „blog me if you can“, eine Ringvorlesung von verschiedenen Dozenten zu einem bestimmten Thema. In diesem Monat ist es das Thema „Traumdarstellungen“. Jeder der Teilnehmer hat eine ganz eigene Herangehensweise und jeder seine eigenen Schwerpunkte. Bei mir ist es ein Thema, mit dem ich mich schon öfter beschäftigt habe und was eine unglaubliche Faszination ausüben kann: Menschenversuche. „Wie bitte, Doc? Ich dachte, es geht um Träume!“ wird nun der ein oder andere sicher denken. Oh ja, um die geht es.


Beim Thema Menschenversuche im Film sind nämlich sehr viele Traumvarianten eingearbeitet. In Sucker Punch beispielsweise flüchten sich die Protagonistinnen in eine Traumwelt in der Traumwelt, um das Grauen in der Anstalt zu verdrängen und besser verarbeiten zu können. In Christopher Nolans Inception werden die Träume zu einer Art zweiten Realität, um, ganz pragmatisch, Informationen aus den Köpfen der Opfer zu stehlen – eine Methode, die bereits kurz nach dem zweiten Weltkrieg ein Forschungsgebiet der Wissenschaft war. Das interessiert mich aber heute nicht. Für mich steht nämlich eine dritte Variante im Fokus.


Bereits in den 50er und 60er Jahren haben im Rahmen des Kalten Kriegs die konkurrierenden Parteien versucht, neue Waffenarten herzustellen. Eine davon war der Mensch selbst. Ein Spion, der umgedreht wurde, der auf ein bestimmtes Signal hin zur willenlosen Mordmaschine wird. Hypnose, Medikamente, Folter und vieles mehr sollten dazu beitragen, es wurden teils menschenverachtende Experimente durchgeführt. Eines der Projekte war MKULTRA , das über Jahre hinweg vom CIA unterhalten wurde und ungeahnte und schreckliche Dimensionen mit sich brachte (Für mehr Informationen bitte hier klicken). Dieses Projekt war auch Bestandteil vieler bekannter Filme. So beschäftigt sich Shutter Island mit den Praktiken und Gehirnoperationen innerhalb des Projekts, auch Einer flog über das Kuckucksnest basiert auf den Erfahrungen Ken Keseys, der die Romanvorlage für den Film geschrieben hat und selbst an solchen Experimenten teilgenommen hat. Selbst Uhrwerk Orange enthält einige Aspekte dieses Projekts.

Ein Hörsaal, in dem Unglaubliches geschieht


Wenn man aber diese realen Geschichten nun mit dem Thema „Traumdarstellungen“ in Verbindung bringen will, dann stößt man zwangsläufig auf die beiden Filme Botschafter der Angst von John Frankenheimer und das Remake Der Manchurian Kandidat von Jonathan Demme. Hier werden die Versuche, einen Agenten umzupolen, in die Tat umgesetzt. Dass dies vor allem für die amerikanische Gesellschaft ein großes Thema war und noch immer ist, zeigt auch die Serie Homeland, die mit eben jener Gefahr spielt. Dieses Thema wird immer wieder aktuell. Aber was hat das nun mit „Träumen“ zu tun? Ganz einfach, Träume sind das Mittel, wie diese Umpolung durch den Feind dargestellt wird. Träume als Mittel, um die Angst des (vorwiegend amerikanischen) Publikums zu schüren. Denn nur in den Träumen, die sich mit Erinnerungen mischen, wird die Gefahr deutlich, die den USA droht. Darum sollen im Folgenden die Traumsequenzen der beiden Filme dargestellt und verglichen werden.


In den Traumszenen in Frankenheimers Botschafter der Angst ist die Gehirnwäsche bereits vollzogen. Die gefangenen und manipulierten Soldaten sitzen in einer Art Vorlesungssaal einer Universität, in denen vor chinesischen und russischen Kommunisten demonstriert wird, dass die Eingriffe im Gehirn erfolgreich waren, deren Ziel es war, die völlige Kontrolle über die Soldaten zu erlangen. Raymond Shaw (Laurence Harvey) muss auf Befehl des Versuchsleiters Dr. Yen Lo einen seiner Kameraden mit einem Schal strangulieren. Von den übrigen Soldaten wird diese Aktion mit Gleichgültigkeit aufgenommen, keiner versucht einzugreifen. Die zweite Traumsequenz wird nicht wie die erste von Major Bennett Marco (Frank Sinatra) geträumt, sondern durch einen weiteren Soldaten, nämlich Allen Melvin. Sein Traum setzt genau an der Stelle ein, an der der erste geendet hatte. Hier wurde Raymond Shaw aufgetragen, einen noch sehr jungen Soldaten mit einem Kopfschuss zu töten. Auch bei diesem Mord gibt es keinerlei Widerstände, weder von Shaw, noch von einem der übrigen Soldaten oder gar dem Opfer selbst.


Die drei Träume in der Neuverfilmung, die alle von Bennett Marco (Denzel Washington) geträumt werden, weisen einige Unterschiede zum Original auf. In der ersten Traumsequenz wird eine extrem surreale Darstellung des Geschehens vermittelt. So tauchen Frauen mit tätowierten Gesichtern auf, von denen eine mit einem Gehirn in den Händen von Fortschritt der Wissenschaft erzählt. Dazu werden in sehr kurzen Folgen Maschinen mit Schläuchen und ein großes Stimmengewirr gezeigt. Allerdings treten auch in diesem Durcheinander von Bildern teilweise schon Erinnerungen an die Vorgänge der Gehirnmanipulation auf. Unter anderem sieht man schon Teile der „Sprachtherapie“, mit der den Soldaten die Geschichte, die sie angeblich erlebt haben, eingehämmert wird, und die Tötung eines Soldaten durch Raymond Shaw (Liev Schreiber). Der zweite Traum beginnt mit einem Flug zu der Insel, auf der die Gehirnmanipulation vollzogen wurde. Die Bilder, die man dabei zu sehen bekommt, sind bereits deutlich klarer und realistischer. Auch hier erkennt man, wie den Soldaten mit Hilfe einer 3D-Simulation das Geschehen, welches sie angeblich erlebt haben, eingepflanzt wird. Die letzte Sequenz hat wieder große Ähnlichkeit zu den Träumen in der Originalverfilmung. Es wird geprüft, ob die Gehirnwäsche erfolgreich war, jedoch hat die Umgebung den Charakter eines Versuchslabors. Außerdem ist Raymond Shaw hier nicht die einzige getestete Person. Zwar muss er auf Befehl auch in Demmes Film einen seiner Kameraden erwürgen, zusätzlich tritt aber noch Bennett Marco in Aktion, der einen weiteren Soldaten erschießen muss. Wie im Botschafter der Angst zeigt ebenfalls keiner seiner Kameraden eine Reaktion oder ein Zeichen von Widerstand.


Die Traumsequenzen in den Filmen unterscheiden sich also teilweise deutlich voneinander. In der Originalversion sind die Träume klare und strukturierte Geschichten, für jeden offensichtlich und leicht zu verstehen. Der Vorgang der Manipulation wird hier ohne Merkwürdigkeiten klar erklärt. Genau so hätte es wohl wirklich passieren können und auch optisch ist keinerlei Unterscheid zum Rest des Filmes zu erkennen. Schon bald ist dem Zuschauer klar, was die Träume bedeuten und geben so den Rahmen für den weiteren Verlauf vor. Ganz anders im Denzel-Washington-Remake. Hier ist die erste Traumsequenz eine surreale Version, in der man eher schemenhaft und mittels kurioser Kameraeinstellungen vor allem über Farben und merkwürdige Bilder einen direkten Einblick in die Umpolung erhält. Fast schon Lynch-artig wird der Zuschauer erst mal im Unklaren gelassen, was hier genau geschehen ist und tappt erst mal, wie Bennett Marco, im Dunklen. So erhält eine mysteriöse Unwissenheit für den Zuschauer Einzug, der noch nicht weiß, was auf ihn zukommen wird. Der wahre Kern dieser Traumsequenz soll erst durch die anderen beiden Träume deutlicher werden, die dann auch realistischer umgesetzt wurden. Dennoch sind auch in den beiden anderen Träumen Unterschiede zu erkennen: Die deutlich technisiertere Ausstattung der Träume mit Computern, Maschinen, Drähten und Schläuchen. Hier wird der Laborcharakter viel mehr in den Vordergrund gestellt und so auch eine wissenschaftlichere Stimmung erzeugt, die im Original höchstens durch den Hörsaal entsteht, ansonsten klar vom Militarismus und von Politik geprägt ist.


Im Vergleich der beiden Filme kommt nun ein sehr interessanter Effekt zum Vorschein: Obwohl die beiden Traumsequenzen letztlich den gleichen Inhalt haben, nämlich die Umpolung von Raymond Shaw zu einer willenlosen Mordmaschine, so bauen sie durch ihre unterschiedliche Umsetzung eine völlig andere Stimmung auf, die sich auch auf den weiteren Verlauf des Films extrem auswirkt. Während im Original ein Polit- bzw. sogar ein Agententhriller entsteht, in dem der Kalte Krieg und der Kampf der Systeme thematisiert wird, so entwickelt sich das Remake zu einem wissenschafts- und kapitalismuskritischen Mysterythriller im politischen Milieu. Diese eigentlich auf den ersten Blick recht unbedeutenden Traumsequenzen haben so einen unheimlich großen Einfluss auf den Film. Außerdem wird anhand dieses Vergleichs deutlich, wie die verbesserten technischen Umsetzungsmöglichkeiten sowohl Optik, als auch die Folgen solcher Sequenzen verändern konnten.


Mit diesen Erkenntnissen beende ich die heutige Vorlesung. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und möchte abschließend auch noch auf die anderen Vorträge zum Thema "Traumdarstellungen" verweisen. Bis zum nächsten Mal. *Standing Klopfations*

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