Warum wir keine Ahnung von Videospielen haben

02.07.2015 - 17:00 Uhr
Gar nicht so einfach...
Bennett Foddy
Gar nicht so einfach...
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Wir verstehen wie Geschichten geschrieben, Lieder komponiert und Filme gedreht werden, aber können wir als Laien überhaupt begreifen, wie Videospiele entwickelt werden? Noch kann dies nur ein exklusiver Kreis an Kennern und das ist schade.

Bevor ich diesen Text überhaupt beginne, habe ich eine kleine Frage an dich. Ja, an dich, dem geneigten Leser dieser Zeilen. Also, pass auf: Magst du Videospiele? Bist du ein Freund des Mediums und genießt du die digitalen Abenteuer, die wir von den AAA-Studios und zahllosen Indie-Projekten in die Hand gedrückt bekommen? Ja? Oh, das ist gut, denn ich möchte die unerträgliche Hitze, die in diesen Juli-Tagen herrscht, zum Anlass nehmen und mich weit aus dem Fenster lehnen. Ich bin nämlich der Meinung, dass du, obwohl du Videospiele liebst, vermutlich keine Ahnung von ihnen hast.

Verstehe mich bitte nicht falsch!

Ich will damit nicht sagen, dass du nicht einschätzen kannst, welche Spiele gut sind und bei welchen Titeln es an Qualität mangelt. Viel eher glaube ich, dass du nicht weißt, wo Videospiele eigentlich herkommen, wie sie geschaffen werden und wie es ihnen gelingt, dir zu gefallen. Ich nehme mich dabei selbst nicht ganz aus, tatsächlich ist meine eigene, gefühlte Ahnungslosigkeit überhaupt erst der Anlass zu dieser Überlegung. Wir stehen hier Seite an Seite. Und im übrigen glaube ich auch nicht, dass wir beide daran selbst schuld sind, denn unsere Unwissenheit liegt an der Beschaffenheit von Videospielen an sich.

Videospiele sind abstrakt, viel abstrakter als alle anderen Medien, die wir im Alltag konsumieren. Sie sind deshalb abstrakt, weil wir als uninformierte Beobachter ihren Herstellungsprozess nicht intuitiv nachvollziehen und wahrnehmen können. Ich behaupte, dem durchschnittlichem Videospieler fehlt es beispielsweise an Grundlagen in der Programmierung, dem Verständnis von geskripteten Events, der Arbeit an grafischen Oberflächen und vor allem mangelt es uns allen an der Reflektion über Interaktivität an sich.

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Wenn wir uns im Alltag über Videospiele unterhalten, umschreiben wir die Qualität der Titel in erster Linie mit Emotionen und empfehlen sie im Hinblick auf ihre Wirkung auf uns. Wir können aber nicht wirklich beschreiben oder begreifbar machen, warum sie uns eigentlich gefallen. Daher gilt auch heute noch die vage Begrifflichkeit des Spielspaßes als Allgemeingut von Videospielen. Die Frage danach, wieviel Spielspaß ein Titel denn hat, wird nicht nur in Wertungsdiskussionen der einschlägigen Fachpresse besprochen, sondern ist auch ein interner Gedankengang, mit dem wir unsere Kaufentscheidungen handhaben.

Gitarre, Stift, Kamera und ... ja, was eigentlich?

Durch diese Unbestimmtheit unterscheiden sich Videospiele von Büchern, Musik oder auch Filmen. Denn bei diesen Medien ist uns das zugehörige Handwerk geläufig und gehört zum Allgemeinwissen. Das Schreiben (Aufsätze, Gedichte, etc.) lernen wir als Basiskompetenz in der Schule und gebrauchen es in unzähligen Alltagssituationen. Wir schreiben zwar nicht immer mit einer kreativen Intention, aber wenn uns ein Buch vorliegt, können wir uns den Autor vorstellen, wie er vor seinem Rechner sitzt und Wörter, Sätze und Geschichten tippt. Den Musikunterricht, in dem uns ein grundsätzliches Verständnis von Noten, Melodien und historischen Kontexten vermittelt wird, gibt es ebenfalls.

Das Spielen von Musikinstrumenten ist weit verbreitet und auch visuell wahrnehmbar (beispielsweise das Trommeln auf dem Schlagzeug), zumal jeder von uns ein Gefühl für Rhythmus innehat. Auch bei Filmen kennen wir uns mit dem Konzept von Kameras, Licht, Ton und Schnitt aus. Mittlerweile besitzt jedes Smartphone eine hochwertige Video-Funktion und Dienste wie Vine und Snapchat halten uns zu kreativen Experimenten an. Hier ist auch der Laie in der Lage, punktuelle und spezifische Urteile über die Vorgehensweisen der Hersteller zu fällen.

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Bei Videospielen fehlen diese Grundlagen jedoch und das Reden über Gameplay-Mechaniken, Level-Design und variabler Erzählweise fällt uns sichtlich schwer. Die Vorstellung, interaktive Räume für andere Menschen zu schaffen, ist uns nicht nah genug und erfordert das Überwinden von kulturellen Schwellen, die größer sind als in den anderen etablierten Medien. Kreativität und Intention in Videospielen sind vor allem mit der Distanz zum dazugehörigen Handwerk schwer diskutierbar.

Daher rangiert in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem der technische und numerische Aspekt von Videospielen über allem anderen, denn dieser ist als einziger barrierefrei wahrnehmbar. So reden wir über Glitches, Auflösungen, Hardware-Anforderungen, Spieldauer, Umfang und die Anzahl der Nebenquests. Eben alles, was wir entweder ästhetisch verurteilen oder zählen können. Je hübscher und größer, desto besser. Viel zu oft begreifen wir Videospiele nur als Summe seiner Teile und viel zu selten als Gesamtwerk, in dem verschiedene Mechaniken zusammenspielen, um ein bestimmtes Gefühl zu provozieren.

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Was uns ebenfalls eine unsichtbare Distanz zu Videospielen aufbauen lässt, ist der Mangel an sichtbaren Einzelpersonen, die an Videospielen arbeiten. Der Personenkult um Regisseure, Schauspieler, Kameramänner, Musiker, Sänger und Autoren fehlt in Videospielen nahezu gänzlich. Zwar gibt es Namen wie Hideo Kojima, Shinji Mikami oder Shigeru Miyamoto, diese stehen aber eher stellvertretend für ganze Franchises und selten für nachweisbare kreative Entscheidungen.

Das eigentlich Team hinter unseren Lieblingsspielen ist uns meist vollkommen unbekannt, wie ein Orchester ohne Komponist. Dadurch entsteht ein Mangel an Menschlichkeit, den wiederkehrende Videospielfiguren wie Super Mario oder Nathan Drake nicht ausfüllen können. Zwar treten diese manchmal auch in unterschiedlichen Titeln auf, aber wir können sie nicht außerhalb ihrer Rolle wahrnehmen. Wir kennen hingegen aber sowohl den Terminator und Conan als auch den Österreicher Arnold Schwarzenegger. Nachvollziehbare, menschliche Einzelentscheidungen in Videospielen sind somit kaum auszumachen und der Schritt, Videospiele als objektives Produkt wahrzunehmen, was eben gut oder schlecht geraten ist, liegt nahe. Lediglich kleinere Indie-Studios lassen sich davon ausnehmen.

Fehlende Menschlichkeit wird manchmal mit Schauspielern kompensiert


Diese doppelte Abstraktheit führt dazu, dass uns die Herstellung von Videospielen fremd bleibt. Es gibt zwar durchaus Programme, die uns das nötige Rüstzeug in die Hand geben, aber entweder setzen Programme wie der Textadventure-Maker Twine  auf andere Basisfertigkeiten wie das Schreiben sowie literarische Dramaturgie oder sie treten als Setzbaukasten auf, wo vorgefertigte Elemente und Räume nur noch zusammengestellt werden müssen, in engen Genre-Grenzen gedacht wird und das eigentliche Handwerk bereits abgeschlossen ist.

Videospiele, entblößt euch!

Nur damit das klar ist: Natürlich gibt es auch zahllose Videospielfans, die sich das Verständnis autodidaktisch angeeignet und einfach selbst begonnen haben, Spielideen zu finden und sie umzusetzen. Nur sind sie vergleichsweise wenige und der kreativ inspirierte Teenager tritt lieber Schülerbands bei, schreibt Fan-Fictions oder dreht trashige Horror-Filme im Wald. Die naive Experimentierphase mit der Herstellung von Videospielen ist leider kaum vorhanden, auch wenn Mods und Level-Editoren zumindest ansatzweise Alternativen bieten.

Die Abstraktheit des Mediums hält ein kollektives Bewusstsein für die Funktionsweise von Videospielen zurück. Einfachste Designentscheidungen werden kaum hinterfragt, weil sie sich weder an einer Person festmachen noch im eigentlichen Sinne begreifen lassen. Ich wünsche mir mehr Transparenz, wenn es um Videospiele geht. Mehr involvierte Leute sollten darüber reden, wie Videospiele funktionieren, wie sie ihre Ziele erreichen und warum sie eben manchmal versagen.

Siehst du? Das meine ich damit, wenn ich sage, dass wir beide eigentlich keine Ahnung von Videospielen haben.

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