Wir schauen Fargo - 2. Staffel, 5. Folge

12.11.2015 - 09:10 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Fargo
FX
Fargo
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Wieder einmal schafft es Fargo, unser Hinterteil gen Sesselrand zu drängen, wenn es in der 5. Folge The Gift of the Magi zu diversen Schießereien kommt. Ach ja, der zukünftige Präsident der USA ist auch da. Spoiler?!

Vergangene Woche verkündete Floyd Gerhardt (Jean Smart) den Krieg. In The Gift of the Magi (S02E05) zeigt uns Fargo die erste Offensive im Gangsterkonflikt. Zwischen dem Mord und Totschlag treffen wir endlich auch Dutch: Bruce Campbells Ronald Reagan reist von Wahlkampfrede zu Wahlkampfrede und Lou (Patrick Wilson) muss seinen Bus durch jede Pinkelpause eskortieren. Der zukünftige Präsident der USA träumt hier öffentlich von einem besseren Amerika, wie es sich die Kolonisten einst vorgestellt hatten. Glück für ihn, dass ihm das gewalttätige Chaos in seiner Umgebung erspart bleibt. Da werden Köpfe ab- und Kehlen durchgeschnitten und der geheimnisvolle "Fleischer von Luverne" findet sein nächstes Opfer. Anders gesagt: Fargo liefert uns eine weitere vergnüglich-nervenzerreißende Folge der 2. Staffel.

Erst einmal ein großes Lob an Bruce Campbell, dessen Casting mir im Vorfeld durchaus Sorgen bereitet hat. Der später an Alzheimer erkrankte Schauspieler und US-Präsident Ronald Reagan bietet allzu viel Stoff für filmische Karikaturen. Die finden sich zwar auch in Fargo, ein leichtes Ziel bleibt aber ein langweiliges Ziel. Campbells Reagan stellt sich immerhin als glaubwürdige wie menschliche Ansammlung bekannter Klischees heraus. In den vergangenen Folgen wurde Reagan von den Drehbuchautoren genutzt, um der Geschichte eine Art alternative Popkultur-Timeline hinzuzufügen. Reagan verdingte sich vor seiner politischen Karriere als Schauspieler, er spielte in Western mit. Die Filme, die in der Serie eine prominente Rolle spielen, bleiben trotzdem fiktiv (leider). Insofern verankert Reagans langer Schatten das Period Piece in der historischen Realität von 1979 - und befreit es gleichzeitig von dieser. Irgendwie ähnelt die Welt von Fargo den US-amerikanischen späten 70ern und irgendwie läuft sie neben der Spur. Trotz Lifespring, trotz Rezession, trotz UFO-Wahn und auch trotz Dutch auf dem Weg ins Weiße Haus bleibt das "wahr" in der "wahren Geschichte" von Fargo eben nur ein "wahr".

Bruce Campbell verleiht seinem charakteristisch rotwangigen Reagan nun die sanfte bis samtige Diktion, die man aus so vielen Reden und Filmen kennt. Die Drehbuchautoren Matt Wolpert und Ben Nedivi verleiten uns zu Beginn der Episode zu einer klassischen kognitiven Dissonanz: Hier der Präsidentschaftskandidat, der von den Werten spricht, die eine Zivilisation ausmachen (Religion, Bildung, Familie), und seinem Land ein Rendezvous mit einem utopischen Schicksal prophezeit. Dort mein verschütteter Kaffee, als der Commissioner plötzlich erschossen wird und Joe Bulos Torso (Brad Garrett) die letzten Minuten mit Joe Bulos fantastischen Haaren verbringt. In der wahren Geschichte bemühte Reagan das Bild der "city upon a hill" tatsächlich sehr gern, unter anderem bei seiner Abschiedsrede als US-Präsident. Die "wahre Geschichte" kümmert sich indes darum, mit überspitzten Mitteln zu zeigen, was Reagan in diesen Jahren so anziehend machte. In der ersten Folge der 2. Staffel von Fargo wurde noch der amtierende (demokratische) Präsident Jimmy Carter gezeigt, der sein Land in einer deprimierend realistischen Rede mit dessen Mängeln konfrontierte. Campbells Republikaner Reagan nun ist ganz der Sandmann. Betrachten wir den Bandenkrieg wie Sheriff Hank (Ted Danson) als Erweiterung der Gewalt aus Vietnam an der Heimatfront, dann zeigt uns die Eröffnung von The Gift of the Magi quasi Krankheit und Plazebo im Schuss-Gegenschuss-Verfahren. Der vielfach als überlebensgroß beschriebene Reagan streut mit seinen beruhigenden Phrasen schließlich selbst einem Verschwörungstheoretiker wie Karl Weathers (Nick Offerman) Sand in die feuchten Augen ("I loved you in Cattle Queen Of Montana").

Die beste Szene in dieser an ungeheuer aufreibenden Szenen nicht sparenden Folge von Fargo findet sich deswegen in der Herrentoilette. Lou Solverson spricht in diesem intimen Kontext über seinen privaten Schicksalsschlag ("I wonder if maybe the sickness of this world, if it isn't inside my wife somehow."). Zweifel und Verzweiflung, die er seiner Familie gegenüber verbergen muss, erklärt er einem Fremden vor einem Pissoir, für kurze Zeit befreit vom Druck, optimistisch, unerschütterlich, stark zu sein. Und Reagan, der in Wirklichkeit übrigens häufig seinen realen Militärdienst fern der Front mit Filmplots verwechselte, antwortet mit einer Plattitüde: "Son, there's not a challenge on God's Earth that can't be overcome by an American." Wenn es um die Realisierung der "city upon a hill" geht, bleibt der zukünftige US-Präsident Antworten schuldig und Lou wird auf sich selbst zurückgeworfen.

Während das Xanadu auf zwei Beinen auf Wählerfang durch die Landschaft kurvt, lernen die Blomquists ganz neue Seiten an sich kennen. Peggy erleidet eine von Kirsten Dunst mit erstaunlich wenigen Mitteln beeindruckend gespielte Gewissenskrise (die Macht der Großaufnahme is strong in this one!). Ed (Jesse Plemons) sieht seine Träume in Rauch aufgehen und beweist wieder einmal einen ausgezeichneten Überlebensinstinkt ("And I killed another fella, maybe two."). Worüber ich außerordentlich froh bin. Denn kaum eine Serie schafft es so gut wie Fargo, einem eine Randfigur innerhalb weniger Minuten dermaßen tief ins Herz zu quetschen, dass man in Sekundenschnelle um ihr Leben bangt. In diesem Fall ist es Noreen "okay then" Vanderslice (!) (Emily Haine), die dank Eds Durchsetzungsvermögen Gelegenheit hat, auch noch das letzte Kapitel von Der Mythos des Sisyphos zu lesen. In dem wendet sich Albert Camus nämlich explizit gegen den Selbstmord als Befreiung aus der absurden Existenz. Aber eigentlich bietet schon der Kampf in der Metzgerei eine erstklassige Lektion in Sachen Wertschätzung des Lebens. Was Charlie "Der Fremde " Gerhardt (Allan Dobrescu) durch einen Querschläger am eigenen Leib erfährt.

Wenn es an The Gift of the Magi Kleinigkeiten auszusetzen gibt, dann finden sich diese vor allem im Gangster-Plot. Warum zum Beispiel lässt Hanzee (Zahn McClarnon) einen Kitchen-Bruder am Leben, also abgesehen von seiner Liebe zu fiktionalen Prog-Band-Namen und den Erfordernissen des Plots? Warum rennt die in einem Gangster-Haushalt großgewordene Simone Gerhardt (Rachel Keller) ständig ohne jede Sicherheitsvorkehrung zu Mike Milligan (Bokeem Woodbine, auch in der Trauer um einen Kopf in einer Schachtel MVP der Serie) und das, nachdem sie selbst Teil eines Hinterhalts für den Schreibmaschinenhändler war? Kommt es nicht eher dem Drehbuch als Dodd Gerhardt zu Gute, dass dieser den unerfahrenen Charlie losschickt, um den Beweis seiner Intrige gegenüber seiner Mutter zu beseitigen? Schnell vergessen sind diese Probleme, mit denen die Autoren ihre Eskalation in Form bringen, trotzdem, sobald vor dem Haus der Blomquists die Sirenen heulen. Das Geschenk der Weisen  wartet auf Einlass, die Illusion ist geplatzt.

Zitat der Folge: "Personally not sure why you're makin' all this effort." - "Gonna buy the shop, be my own boss." - "And?" - "And what? That's the American dream." - "What's the point? Just gonna die, anyway."

Anmerkungen am Rande:

  • "If you get the chance, ask him if it's true that Joan Crawford had crabs." - "Yeah, I'm not gonna do that."
  • Das starke, dominante Rot, das Floyd am Anfang wie Nancy Reagan aussehen ließ, ist in dieser Episode zu Peggy übergelaufen.
  • Ich hasse Dodd Gerhardt und ich weiß noch nicht, ob das gut oder schlecht für die Serie ist.
  • Ob Bruce Campbells Schauspieltalent  auf seine späten Tage endlich gebührend gewürdigt wird?


Alle Recaps zur 2. Staffel von Fargo:

Fargo Recap - Waiting for Dutch (S02E01)
Fargo Recap - Before The Law (S02E02)
Fargo Recap - The Myth of Sisyphus (S02E03)
Fargo Recap - Fear and Trembling (S02E04)

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