Wir stehen an deinem Bett und starren dich an!

14.06.2014 - 08:55 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Hui Buh!
moviepilot/Paramount
Hui Buh!
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Und das ist genauso gruselig, wie du dir das gerade vorstellst. Muhahaha. Diese Woche zeigt sich der Kommentar der Woche begeistert vom schieren Horror, von der ausweglosen Erkenntnis des Ausgeliefertseins, die uns Paranormal Activity auftischt.

Im Kommentar der Woche suchen wir jede Woche einen moviepilot-User heim, der sich dem Grauen oder der Verzückung hingegeben und sein Erlebnis in Worte gegossen hat. Und diese Worte können fast überall auf moviepilot hinterlassen worden sein: Sei es zu einem unnatürlich guten Film, der noch nachts an eurem Bett steht und euch anstarrt, zu einem Filmschaffenden, der so gut (oder schlecht) ist, dass nur ein Exorzist helfen kann, zu einer Serie, deren Erfolg euch unerklärlich ist, oder zu einem Artikel, der eure Geister beschwört hat. Wenn ihr mal irgendwo auf moviepilot über einen solchen Kommentar gestolpert seid, nehmt Kontakt mit dem Jenseits auf! Also, ähm, mit dem, was jenseits des Bildschirms lauert: Mit uns! Schreibt einfach am besten eine Nachricht und vielleicht erscheint der Kommentar unerklärlicherweise an einem der kommenden Samstage für rund 24 Stunden in den News…

Der Kommentar der Woche
In Paranormal Activity findet Uli Kunkel nicht nur das Grauen, des auf den ersten Blick Ersichtlichen, auch die dahinterstehende Parabel begeistert ihn, schockiert ihn, und lässt ihn erschaudern.

WARNUNG: Falls ihr euch mit dem Gedanken tragt, diesen Film irgendwann selbst sehen zu wollen, solltet ihr dringend von dessen Trailer, wie auch der nun folgenden Rezension Abstand nehmen, da beides den möglichen Effekt deutlich reduzieren könnte. Massiver Spoiler-Alert!

Dieser Streifen ist ein Phänomen.
Sowohl in kommerzieller wie künstlerischer Hinsicht.
Gedreht von Drehbuchautor und Regisseur Oren Peli für schlanke 15.000$ in seinem eigenen Haus, avancierte Paranormal Activity durch Screenings auf diversen amerikanischen Horror-Festivals erst zum Kult-Hit, wurde von Steven Spielberg protegiert, entging nur knapp einem sicher nicht wünschenswert gewesenen Remake durch Paramount, und kam schließlich, mit zwei Jahren Verzögerung, im Original in die breite Kino-Auswertung, wo ihn sein Erfolgsweg zum Titel des profitabelsten Filmes aller Zeiten führte. Wirklich nicht schlecht.

Die Geschichte des jungen Paares Micah und Katie, die in ihrem frisch bezogenen Eigenhaus Zeuge und Opfer der Titel gebenden paranormalen Aktivitäten, des zunehmenden, eskalierenden Wirkens einer unheimlichen, übernatürlichen Macht werden, hinterlässt ein bemerkenswert polarisiertes Publikum. Für die einen ist es die Krönung distanzlosen, wie subtilen Grusels, während die anderen sich königlich gelangweilt haben und monieren, es passiere hier einfach viel zu wenig, es gäbe kaum Action und nur wenige Schocks. Natürlich gibt es auch moderatere, eher im Graubereich angesiedelte Meinungen, die aber eine Minderheit darstellen. Ich für meinen Teil kann, nachdem ich alle erdenklichen Rezensionen und Foren, die Online spontan greifbar waren (Filmstarts, Empire, Popmatters, Moviepilot, YouTube, Fünf Filmfreunde, Ultimo auf Draht, Cinema, Chicago Tribune, Slant Magazine), durchgeackert habe, alle Positionen durchaus nachvollziehen. Auch die völlig verständnislosen und ablehnenden. Persönlich empfinde ich diesen, auf die minimalistischsten Grundelemente reduzierten und in seiner cleveren psychologischen Intention geradezu verheerenden kleinen Film, als eine der beängstigenden und verstörensten Erfahrungen, welche mich jemals in meinem Leben heimsuchten.
Kein Scherz.
Keine meiner üblichen schamlosen Übertreibungen.

Alles, was man formal gegen den Film kritisch anführen könnte, trägt aus meiner Sicht nur zusätzlich zu seiner Wirkung bei:

Der pseudo-dokumentarische Handkamera-Stil, den man bereits hinreichend von Genre-Beiträgen wie Blair Witch Project, REC, Cloverfield, Diary Of The Dead kennt
Das Konzept mag nicht mehr allzu originell sein, die Umsetzung ist hingegen sehr effektiv und atmosphärisch. Vor allem in den nächtlichen Einstellungen. Diese immer wiederkehrende statische Schlafzimmer-Perspektive brennt sich bis tief ins Unterbewußtsein ein. Jedes kleine Detail. Jeder Schatten. Jede – möglicherweise nur eingebildete? – Bewegung. Es wird ausreichend Gelegenheit geboten, die Sinne zu schärfen, die Antizipation hochzufahren, die Nervenenden zum vibrieren zu bringen. Sometimes silence speaks louder than words.

Die viel kritisierte, latente Unleidlichkeit des Paares
Wobei manche Zuschauer meinten, das Gruseligste an Paranormal Activity seien das Schauspiel und die Dialoge. Dabei verkörpern, wie ich finde, die beiden Hauptdarsteller ihre Rollen vollkommen glaubwürdig. Man nimmt ihnen alles ab. Klar, die beiden reden viel belangloses Zeug daher, albern herum, bemühen sich nicht unbedingt, als Sympathieträger anzukommen, und lassen sich im Verlauf der Ereignisse schon mal zu irrationalen Handlungen oder fragwürdigen Entscheidungen hinreißen. Ganz so, wie das vielleicht jeder von uns in einer solchen Situation tun würde. Gerade die fehlende Dialog-Vorgabe und die Natürlichkeit, man könnte auch sagen: die banale Durchschnittlichkeit der Charaktere, ist der Realitätsnähe und Authentizität ungemein förderlich.

Der Handlungsort ist stark reduziert, der Ablauf recht formelhaft
Trägt beides zum zunehmend stärker werdenden klaustrophobischen Gefühl der räumlichen Unentrinnbarkeit, der schicksalhaften Unabwendbarkeit bei. Wobei man während der ständigen Wechsel zwischen unheimlichen nokturnen Bildern und nüchtern-gesprächigen Tag-Sequenzen letzteren fast für die temporäre Flucht in deren entspannte Seichtheit dankbar ist. Jedoch erweist sich letztlich selbst das Tageslicht als trügerischer Zufluchtsort.

Die Exposition lässt sich ungemein viel Zeit
Der Horror beginnt unscheinbar, klein, versteckt. Gerade weil alles zuerst recht harmlos wirkt, glaubt man, parallel zu Micah, die unerwünschten Phänomene lässig zurechtrationalisieren zu können. Man glaubt, man müsse die Sache nicht allzu ernst nehmen, schließlich wäre das alles doch halb so wild. Man glaubt, es ließe sich jederzeit die Kontrolle über die Geschehnisse bewahren. Diese falsche Sicherheit, an der sich das Männlich-Rationale, an der sich unser Gesunder Menschenverstand so gerne und dankbar festhalten, wird kunstvoll auseinander genommen. Uns wird der bislang als pure Selbstverständlichkeit wahrgenommene, feste Boden unter unseren Füßen nach und nach weggezogen. Bis der mitten im Zimmer stehende, riesige rosafarbene Elefant schließlich nicht länger ignoriert oder wegerklärt werden kann, weil er einem einen fetten, dampfenden Haufen auf die nagelneuen Gucci-Schuhe setzt. Das macht die letzte halbe Stunde und das in unverblümtem Terror gipfelnde Finale dann so dermaßen wuchtig und nervenzerfetzend: irgendwie rechnet man gar nicht mehr so wirklich mit einer solchen Eskalationsspirale.
Man wird eingelullt.
Man versucht sich selbst zu beschwichtigen.
“Ist doch nur ein nettes kleines Gruselfilmchen; alles nicht real.”
Unmerklich jedoch hebelt sich die Welt aus den Angeln, wird man mehr und mehr und mehr ins Geschehen hineingezogen, verliert zusehends an innerer Distanz, stürzt kopfüber hinein in eine unhinterfragte Identifikation, entgrenzt letzten Endes völlig Fiktion und Realität.

Das hier, das ist kein Film.

Das hier, das ist die Wirklichkeit.

Auch wenn die Behauptung im Vorfeld, es handele sich um so genanntes “Found Footage”-Material, also echte Aufnahmen, leicht durchschaubar ist, und der Verstand gerne die Objektivität und Kontrolle behalten würde, indem er versucht zu suggerieren, es sei nur ein Film – nur ein Film – nur ein Film – nur ein Film – nur ein Film – man glaubt es ihm beständig weniger, bis seine dünner werdende Stimme letztlich völlig verstummt.

Das besonders Perfide an Paranormal Activity ist: die Verunsicherung hält an. Man braucht seine Zeit, um über diesen Film hinweg zu kommen. Mancher Kinobesucher mag sich gelangweilt haben, da er sich auf die Prämisse des Filmes nicht einzulassen vermochte – aber das hier ist in mehrfacher Hinsicht auch KEIN ENTERTAINMENT. Das hier ist keine konsequenzlose Achter- oder Geisterbahnfahrt im medialen Vergnügungspark.
Das hier ist gefährlich.
Es hinterläßt Spuren.
Paranormal Activity wirft den von seinem narrativen Sonnentau absorbierten Zuschauer möglicherweise entwicklungstechnisch um Jahrzehnte zurück; auf das Niveau eines Fünfjährigen, schätzungsweise, dessen Vorstellungskraft Überstunden macht und der vernunftungefiltert Angst vor dem hat, was sich da, direkt unter seinem Bett, verstecken könnte. Oder kurzfristig gar um einige Jahrhunderttausende, reduziert auf die archaischen, kreatürlichen, instinktgeleitetenen Funktionen des Reptiliengehirns. Das allgemeine Sicherheitsempfinden kann auch Tage nach dem Genuss des Filmes noch erschüttert sein; die Instinkte in latenter Alarmbereitschaft. Das Selbstverständnis, nachts im Dunkeln vollkommen furchtlos durch die eigene Wohnung zu tappen, stellt sich erst nach und nach wieder ein.
Hoffe ich zumindest.

Eine der ganz großen Stärken von Paranormal Activity ist, daß keine lächerlichen computeranimierten Monster durchs Bild geistern, die man allzu leicht identifizieren, einordnen und abhaken könnte, sondern daß die dämonische Entität meist nur angedeutet wird, und damit von der Leinwand herausgelöst und ins Dunkel des Imaginationsraumes des Zuschauers verlagert wird. Das Böse bleibt unaussprechlich, gestaltlos, unberechenbar, ungreifbar. Somit mental kaum festzunageln und nur schwer zu bannen. Es ist das Namenlose, eine uns ihre Überlegenheit zunehmend demonstrierende Macht, deren Intentionen uns fremd sind und über die wir bestenfalls spekulieren können.

Simple, kontrollverlustlose Unterhaltung geht anders.
Ich kann mich hier nur wiederholen.
Wenn man harmloses eineinhalbstündiges Entertainment sucht, liegt man bei diesem lovecraft’schen Kammerspiel gänzlich falsch.
Denn Paranormal Activity meint es ernst.
Absolut ernst.
Es beraubt uns jeglichen Schutzraumes.
Es rüttelt an unseren Fundamenten.
Es stellt die Privatheit, die Intimität, die Geschütztheit unseres Wohnraumes in Frage.
Es stellt die Geborgenheit unseres Schlafzimmers, unseres Bettes als finale Schutz-Bastion in Frage.
Es stellt unsere psychische Stabilität in Frage.
Es stellt unsere Identität in Frage.
Es stellt die vollumfängliche und jederzeitige Herrschaft über unseren eigenen Körper in Frage.
Es stellt das Vertrauen in unseren Lebenspartner in Frage.
Die letzten beiden Punkte besonders eindrücklich und hinterhältigerweise in den Szenen, die uns in den Phasen unserer größten Verletzlichkeit zeigen, nämlich während des Schlafes. Die Szenen, in denen Katie mitten in der Nacht aufsteht, sich vor das gemeinsame Doppelbett stellt, regungslos und offenbar unter Einfluß des Dämons sich befindend, auf den arglos schlummernden Micah herab blickt.
Stundenlang.
Hier bekommt das namenlose Grauen ein Gesicht. Es ist das Gesicht des Menschen, der uns körperlich und seelisch am nächsten steht. Diese plötzliche Fremdartigkeit von jemandem, mit dem man Intimität und Vertrautheit teilt, läßt einen zum vorläufigen Höhepunkt einer fassungslosen Ohnmacht taumeln.
Das sind einfache und ungemein wirkträchtige Bilder, die sich so schnell nicht wieder aus dem Gedächtnis vertreiben lassen.

Na ja. Womit wir dann auch schon beim Finale wären (welches ich gegenüber den alternativen Enden leicht bevorzugen würde). Das setzt dann wirklich noch mal einen drauf aufgrund seiner abrupten und emotionalen Durchschlagskraft. Das haut einen mit seiner rasanten unerwarteten Wucht geradezu aus den bequemen Polstern. Das pellt einem den letzten, vielleicht noch vorhandenen, fahlen psychischen Schutzschild von den inneren Weichteilen ab.
Ganz ehrlich, mal nur so unter uns, das Finale, also, die letzte Minute … nachdem der aufgeschreckte Micah der im Erdgeschoß um Hilfe rufenden Katie nacheilt, nach dem anschließenden Gescheppere und Geschreie, nach der folgenden ohrenbetäubenden, schrecklichen Stille, wenn also nach all dem schließlich ETWAS mit schweren, dumpfen Schritten im Zwielicht der schlecht beleuchteten hölzernen Flur-Treppe nach oben kommt ……….. also, Mann, das ist in der Tat kaum auszuhalten. Ich konnte mir den Rest nur noch ohne Kopfhörer und mit verkleinertem Bild ansehen – und selbst dann nur so indirekt, irgendwie. Junge Junge, dieses Finale, das peitscht vielleicht!!
Mal sehen, ob ich mir Paranormal Activity irgendwann nochmal ansehe und dann tatsächlich bis zum bitteren Ende durchstehe …..

Was nun ist die Botschaft der Parabel?

Es gibt kein Entrinnen.

Du kannst gerne dein begrenztes Leben damit zubringen, es und sein Umfeld nach deinen Vorstellungen zu arrangieren. Schlussendlich ist alles Formale nur auf Sand gebaut und wird alsbald wieder ins Formlose übergehen. Wir alle sind Kräften unterworfen, die sich letztlich unserer Kontrolle entziehen. Stelle dich dieser Tatsache und lerne sie zu akzeptieren.

Ja, das Unbekannte, Unerklärliche, Unwahrnehmbare erschüttert uns am meisten. Vor allem aber die Unsicherheit, der Kontrollverlust, die Ohnmacht, die wir bei der Konfrontation mit überlegenen destruktiven Kräften erfahren. Ganz konkret und real: Krankheit, Alter, Tod. Verlust in jeglicher Erscheinungsform. Ob nun Gruselfilme uns durch Ausnutzung dieses zutiefst menschlichen Hintergrunds und des psychologischen Mechanismus einfach nur einen billigen Thrill verschaffen, oder sogar durch die Auseinandersetzung helfen damit besser umzugehen, bin ich mir ziemlich unschlüssig. Vielleicht versuche ich momentan mal wieder eine persönliche Antwort auf diese Frage zu finden.

Den Kommentar findet ihr übrigens hier.

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