94 Minuten Hochspannung: September 5 erinnert an zwei Spielberg-Filme – einer davon ein Meisterwerk

31.08.2024 - 07:50 UhrVor 6 Monaten aktualisiert
September 5 erzählt eine wahre Geschichte
Constantin Film
September 5 erzählt eine wahre Geschichte
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Das Lehrerzimmer-Star Leonie Benesch gehört zum Cast des Tatsachen-Thrillers September 5, der auf engstem Raum von der Inszenierung eines Attentats erzählt.

Sie schmuggeln Filmrollen durch Checkpoints, navigieren ein Meer von Knöpfen und verkabeln Telefone. Ihr Hauptberuf ist jedoch nicht die Spionage. Die Held:innen von Tim Fehlbaums neuem Thriller September 5 verdienen ihren Lebensunterhalt mit Journalismus, Tontechnik, als Kameramänner und Übersetzerinnen. Wir befinden uns mit ihnen im ABC-Sendestudio im München des 5. Septembers 1972. Gemeinsam sollen sie das größte sportliche Live-Event der Geschichte übertragen. Dann fallen Schüsse. Die 20. Olympischen Sommerspiele werden zum Schauplatz einer Geiselnahme.

September 5 spielt fast 90 Minuten in einem Fernsehstudio

Die Geschichte des Films, der in einer Nebensektion des Festivals von Venedig gezeigt wurde, ruft Steven Spielbergs München in Erinnerung. Das Thriller-Meisterwerk befasste sich mit den Vergeltungsmaßnahmen des israelischen Geheimdienstes nach dem 5. September. Spielbergs Pentagon-Papers-Film Die Verlegerin liegt thematisch ebenfalls nahe. Neben dem Zeitungsfilm erscheint September 5 allerdings wie eine Science-Fiction-Dystopie.

Das Sendestudio in München ist ein dusteres Kabuff. Das Licht von Röhrenbildschirmen und Warnlichtern spendet fahle Wärme, hinter den Türen warten Gänge im kaltblauen Neonlicht. Es ist das Reich von Marvin (Ben Chaplin) und seinem Chef Roone (Peter Sarsgaard). Marvin hält alles am Laufen, Roone ist der Mann mit den Visionen hinter der Live-Show, die jeden Tag virtuos zwischen Aufnahmeraum und Sportstätten wechselt, um das Publikum daheim in den USA vom Wegschalten abzuhalten.

Mit ihnen und ihrem Team (unter anderem Leonie Benesch aus Das Lehrerzimmer und Past Lives-Star John Magaro) verbringen wir die nächsten knapp 90 Minuten, in denen sich ein Tag im September abspielt, an dessen Ende elf israelische Olympiateilnehmer tot sein werden.

Als Mitglieder der palästinensischen Terror-Organisation Schwarzer September die Unterkunft der Israelis im olympischen Dorf angreifen, hören die ABC-Leute die Schüsse. Doch alles, was passiert, erfahren sie vermittelt. Kamerabilder, Tonaufnahmen und Polizeifunk bringen den Schrecken aus ein paar hundert Metern Luftlinie ins Studio. Dort muss das Team, das normalerweise über Sport berichtet, harte Nachrichten aufbereiten. Der Wettbewerbsgedanke bleibt: Wer hat die ersten Bilder von den Terroristen? Wer trumpft mit der emotionalsten Geschichte über die Opfer auf?

Der Thriller baut überaus clever eine schwer erträgliche Spannung auf

Ehrgeiz und journalistischer Idealismus sind selten sauber voneinander zu trennen bei den ABC-Leuten. In September 5 werden sie so neugierig beobachtet wie Q, der in seinem MI6-Labor die neusten Gadgets entwickelt. Sie produzieren keine Waffen, sondern vergrößern Bilder, leiten Anrufe in die Live-Sendung und basteln Texteinblendungen. Die Umstände machen sie erfinderisch und so fälschen sie schon mal einen Ausweis, um frische Filmrollen in die Sperrzone im Olympischen Dorf zu schmuggeln.

Das Drehbuch von Moritz Binder und Tim Fehlbaum (Hell) entwickelt eine perfide Spannungsdynamik. Die Geiselnahme wird zur fesselnden Geschichte innerhalb der Geschichte. Unterdessen drängt sich die unangenehme Frage auf, ob das ABC-Team seinen "Wettbewerb" gewinnen kann. Auf engem Raum baut sich der Druck auf, weshalb der Film so gut wie keine Erleichterung bietet. Erst recht, wenn sich das Fernsehteam in die Geschichte einschaltet und live einen Polizeieinsatz überträgt, den vielleicht auch die Täter im TV verfolgen können.

Das filmische Schnellkochtopf-Setting hat seine Vorteile. Es reduziert die Figuren aufs Wesentliche, befreit sie von unnötigen Vorgeschichten. In der Extremsituation zeigen sie, wer sie sind und wie weit sie für eine Story gehen würden. Diese Stärke von September 5 lässt sich ebenso in eine Schwäche verkehren.

Die Perspektive ist absichtlich begrenzt, um nicht zu sagen beschränkt. Hat man einmal erkannt, wie sie funktioniert, verbirgt der Film weder echte Überraschungen noch Fallstricke. Den Bogen in unsere Gegenwart – eine der Meisterleistungen in Spielbergs München – muss man schon selbst spannen. Wo wir wiederum bei einer Stärke sind. Trotz der Beschränkungen und der unablässigen Anspannung bleibt September 5 zum Ende ein vergleichsweise offener Film. Der Wettbewerb ist vorbei, der Ball liegt beim Publikum, um eigene Schlüsse zu ziehen. Einer davon ist: Wenn man es noch nicht getan hat, muss man sich den Namen von Tim Fehlbaum merken.

September 5 feierte bei den Filmfestspielen von Venedig Premiere. Am 7. November startet der Film in den deutschen Kinos.

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