Vor einem Jahr bin ich auf Adventure Time gestoßen und seitdem hat mich die Serie nicht mehr losgelassen. Pendleton Ward hat mit seiner mehrschichtigen Jungenfantasie einen Teil der momentanen Cartoon-Avantgarde geschaffen, der neben Regular Show von J.G. Quintel eines der neueren Flaggschiffe Cartoon Networks geworden ist. Anders als eher auf Jugendliche und Erwachsene zugeschnittene Serien wie Robot Chicken können auch Kleinkinder mit Adventure Time ihren Spaß haben: Ein Junge und sein magischer Hund kämpfen sich durch ein von Zauberwesen bevölkertes Süßigkeiten-Königreich, erobern die Herzen von Kaugummi-Prinzessinnen und koreanisch sprechenden Regenbogen-Einhörnern, alles unterlegt mit 8-Bit Musik? Awesome.
Schon das Intro entführt uns mit einer Kamerafahrt in das Land of Ooo. Wir sehen Atombomben-Blindgänger, das Candy Kingdom, böse Eiskönige, Vampire, das Baumhaus von Finn und Jake und hören Pendleton Wards Eunuchengesang: Adventure Time, c’mon grab your friends. We’ll go to very distant lands. With Jake the Dog, and Finn the Human, the fun will never end, it’s Adventure Time! Ein Fist-Bump der beiden Helden und wir wissen, dass wir uns auf ein Buddy-Abenteuer mit Zuckerschock einlassen.
Wo die wilden Kerle wohnen im Overdrive
Aus dem größtenteils aus Chaos-Humor zusammengewürfelten Piloten (2008) bastelten dessen Schöpfer eine Hintergrundgeschichte, die kindliche Naivität mit ernsten Untertönen verbindet. Der 13-jährige Finn (Jeremy Shada) überlebt die metaphorisch gesprochenen Mushroom Wars und wird eine unbestimmte Zeit später von einer Hundefamilie aufgezogen. Jake (Bender-Sprecher John Di Maggio), sein mit magischen Morphkräften ausgestatteter Hundebruder und Violinenvirtuose, ist gleichzeitig sein bester Freund, mit dem er durch dick und dünn geht. In bester Heldenmanier helfen sie allen Bewohnern von Ooo, egal ob süß, saftig oder grottenhässlich. Monster zu verprügeln, ist dabei kein Hindernis, sondern die beste Belohnung.
Oft ist es aber einfach nur der notorische Single und Bart-Enthusiast Ice King, der fast jeden Tag irgendeine der tausenden Prinzessinnen von Ooo (zum Beispiel Breakfast Princess, Hot Dog Princess, Lumpy Space Princess) mittels Gefangenschaft zur nicht ganz so konsensuellen Beziehung bringen will. Auf ihren Reisen treffen Finn und Jake die verrücktesten Gestalten, von freiwillig totalitär beherrschten Gnomen, über rot-, nicht bluttrinkende Vampirinnen und zwielichtige Knuffeltierchen, bis hin zu Bärchen, die einen Rave im Bauch eines Riesen veranstalten. Manchmal treffen sie auch nur irgendwelche… Dinger. Adventure Time wirkt wie ein postmodernes Wo die wilden Kerle wohnen auf Acid und Smarties. Nicht von ungefähr erinnert Finns Hundemütze an Max’ Wolfskostüm.
Autotune und Smooth-Talkin’
Ohne den grandiosen Cast könnte Adventure Time aber nicht überleben. Viel steuert John DiMaggio bei, der mit seiner kratzig-tiefen Bluesstimme Jake eine Bandbreite von hysterischem Kumpel bis zum famous smooth-talker verleiht. Jeder Sprecher gibt seinen Charakteren eine organische Tiefe, so dass Figuren wie die kontrollversessene Princess Bubblegum (Hynden Walch) oder die grungige Vampirkönigin Marceline (Olivia Wilson) nicht nur auf einzelne Eigenschaften reduziert werden, sondern auch abseits ihrer abstrusen Erscheinung funktionieren. Von der Optik her erinnert Adventure Time an angeschmolzene Knetmasse. Die um sich windenden Gliedmaßen geben der Serie eine Elastizität und Leichtigkeit, die man sonst nur in lange ungenutzten Fantasiearealen findet.
In jeder Sekunde ist die Party sichtbar, die eine Storyboardssitzung mit Pendleton Ward, der Zeichnerin Natasha Allegri und dem Rest der Crew sein muss. In ständiger Wechselwirkung mit der Fan-Community entstehen neue Ideen. Ein Genderswap-Webcomic von Natasha Allegri (PMS Time!), bei dem alle Geschlechter in der Serie vertauscht wurden, führte dank entsprechender Fan-Reaktion sogar zu einer eigenen Folge mit Neil Patrick Harris, die die merkwürdig erotisierten Auswüchse von Fan Fiction parodiert. Jede Folge scheint einem Spontankonzept zu folgen und ich ertappe mich immer wieder bei der Frage, wie das alles so perfekt ineinander greifen kann.
Ein großer Anziehungspunkt der Serie ist ihr Soundtrack: Immer wieder werde ich von 8-Bit-Klängen überrascht, die dem ganzen eine Videospielatmosphäre geben könnten, aber dennoch etwas eigenes schaffen. Auch der Cast selbst ist sehr musikalisch: Gerade die Sprecherin Olivia Wilson lässt die Fan-Community mit ihren melancholischen Songs I’m Just Your Problem oder Fry Song (a.k.a Daddy, Why Did You Eat My Fries?) zurecht nach einem Sountrack schreien. Auf die Stimme von Finn-Sprecher Jeremy Shada wird kurzerhand Autotune gehauen und schon singt er doppeldeutige Songs über Babies, die sehr stark an momentanen R&B erinnern. In Adventure Time ist alles irgendwie Musik.
Zwanglose Referenzialität
Kaum eine Serie kommt heute noch ohne Popkulturreferenzen aus. Adventure Time ist da keine Ausnahme, gräbt seine hippen Kopfnicker an den Rest der Welt aber ein paar Schichten tiefer ein. Die Folge Memory of a Memory, in der Finn die Erinnerung an die schiefgegangene erste Beziehung aus Marcelines Gedächtnis holen muss, könnte eine Inception -Parodie sein, funktioniert aber auch ohne den Vergleich. Im Vordergrund stehen die Geschichte und die bunte Atmosphäre der Welt. Mit kleinen Andeutungen schafft es Adventure Time, eine Ode an eine Generation zu sein, die mit Videospielen, Blockbustern und Cartoons aufgewachsen ist, ohne das mit einem Referenz-Overload à la The Big Bang Theory auszuschlachten. Adventure Time kann von Zuschauern jeden Alters genossen werden, weil es seine Zuschauer ernst nimmt. Wie die wirklich guten Cartoons traut es selbst Kindern zu, komplexere Handlungen und “Erwachsenenhumor” zu verstehen. Macht euch zehn Minuten eures Lebens frei, am Besten gleich dreißig, denn das reicht bereits für drei Folgen. Ihr werdet es nicht bereuen. In diesem Sinne:
What time is it? Adventure Time!