Berlinale 2016 - Rudolf Thome & die Hoffnung im Scheitern

17.02.2016 - 10:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Rudolf Thome - Überall Blumen
Luzid Film
Rudolf Thome - Überall Blumen
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Im Rahmen des Forums der Berlinale 2016 feierte der Poträtfilm Rudolf Thome - Überall Blumen seine Premiere. Serpil Turhan begleitet dabei Regisseur Rudolf Thome 2014 bei dem Versuch, seinen 29. Spielfilm umzusetzen, der bis heute nicht realisiert wurde.

Als Rudolf Thome im August 2012 mit Ins Blaue seinen 28. Spielfilm ins Kino brachte, war sicherlich nicht abzusehen, dass die poetische Italien-Odyssee über das Filmemachen auch sein letzter sein würde. So schrieb der Regisseur, der das deutsche Kino mit seinem eigenwilligen wie konsequenten Schaffen in den vergangenen vier Dekaden in jeder Hinsicht bereichert hat, bereits zwei Jahre später auf seinem Blog, dass die Arbeit für sein nächstes Projekt begonnen hat. Zuerst ging es darum, das Drehbuch zu schreiben, danach stellt sich die unangenehme Frage der Finanzierung, die bis dato dafür verantwortlich ist, dass Überall Blumen nie das Licht der Welt auf der großen Leinwand entdeckte. Ein kleiner Trost bleibt dennoch: Serpil Turhan, die zuvor als Regieassistentin und Schauspielerin mit Rudolf Thome zusammengearbeitet hatte, begleitete den Entstehungsprozess des Films im Jahr 2014 mit der Kamera. Herausgekommen ist ein großartiges Porträt, das seinem titelgebenden Künstler in jeder Sekunde gerecht wird.

Ob er den Spiegel putzen soll, bevor er mit der Rasur beginnt, fragt Rudolf Thome gleich in einer der ersten Szenen von Rudolf Thome - Überall Blumen. Sprich: Soll es so sein wie im Film (geputzt) oder wie im echten Leben (ungeputzt)? "Mach einfach, Rudolf", lautet Serpil Turhans Antwort, wie sie auch im weiteren Verlauf des Öfteren zu hören sein wird. Auf einmal steht der Regisseur, der ansonsten kein Problem damit hat, seine Schauspieler zu dirigieren, gänzlich verunsichert vor der Kamera und es braucht mehrere Anläufe, bis er sich an den Perspektivenwechsel gewöhnt. Später denkt er sogar darüber nach, in seinem neuen Film selbst eine Rolle zu übernehmen - immerhin würde das die Produktionskosten bedeutend verringern. Die Sorgen hinsichtlich der Finanzierung sind stets präsent und zehren an der Schaffenskraft. Geld von außen wird es in den nächsten vier Jahren wohl keines geben, wie es am Telefon heißt. Daraufhin denkt Rudolf Thome über die Möglichkeiten des Crowdfundings nach.

Schon in diesen Momenten könnte den interessierten Lesern seines Tagebuchs, das er mit unermüdlicher Hingabe und Regelmäßigkeit auf Moana  pflegt, ein kleines Déjà-vu ereilen, denn viele Ereignisse in Rudolf Thome - Überall Blumen sind geradezu deckungsgleich mit den niedergeschriebenen Textzeilen im Blog. Doch das ist überhaupt nicht schlimm, vielmehr entsteht der Eindruck, Serpil Turhan transportiert das Niedergeschriebene in Form bewegter Bilder in ein anderes Medium, nämlich den Film, und kommt dem eigentlichen Kern, nämlich Rudolf Thome, noch näher. Dieser spricht jetzt direkt in die Kamera, kann unmittelbar seine Gedanken teilen. Ein bisschen entlarvend und womöglich entmystifizierend ist das auch, wenn die Kamera die Geschichte eines einzelnen Fotos, das er einst auf seinem Blog postete, illustriert - so zum Beispiel im Fall der Auswahl seines Notizbuchs, in dem fortan - selbstverständlich mit Feder und Tinte geschrieben - das Drehbuch von Überall Blumen entstehen soll.

Rudolf Thome - Überall Blumen fungiert jedoch nicht alleine als Ergänzung der Moana-Tagebücher, sondern versteht sich durchaus als eigenständiges Bildnis, das eigene Schwerpunkte setzt und dafür andere Aspekte ausklammert. Rudolf Thomes Begeisterung für die Filme von Sang-soo Hong oder die Bücher von Haruki Murakami findet in den 84 Minuten leider keinen Platz. Dafür geht es um die Leidenschaft, mit der er seinen Bauernhof im südbrandenburgischen Niendorf pflegt und Kilometer beim Fahrradfahren sammelt. Trotz seines Alters fühlt er sich so fit wie nie zuvor, selbst wenn das Autofahren in Berlin zum Ding der Unmöglichkeit geworden ist. An diesem Punkt erreicht Rudolf Thome - Überall Blumen eine angenehm ehrliche und ungeschminkte offene Seite des Regisseurs, der auch abseits seiner Tagebucheinträge das Vergangene ständig reflektiert, in Erinnerungen schwelgt und überlegt, was die daraus entstehende Erkenntnis für seine Gegenwart und Zukunft bedeutet.

Die Reflexion fällt gleichermaßen praktisch wie persönlich aus und setzt sich in erster Linie aus Rudolf Thomes eigenen Worte zusammen. Darüber hinaus streut Serpil Turhan vereinzelte Zitate aus seinem Blog via Voice-over ein, um die Eindrücke zu verdichten. Von Interesse kann dabei sein, wie viele Menschen an einem Tag auf Moana geklickt haben, viele Likes das jüngste Video auf Vimeo bekommt hat und welche Rolle des Geld beim Filmemachen spielt. Bemerkenswert ist, wie sehr Rudolf Thome gewisse Details und Einzelheiten faszinieren und wie er sich mit ihnen auseinandersetzt. Unzählige Filmrollen und alte Kostüme von Hannelore Elsner lagern in einem Schuppen - die Hoffnung, dass sich irgendwann einmal jemand dafür interessiert, ist jedoch verschwindend gering. Allgemein steht die Frage nach dem (filmischen) Erbe und Vermächtnis im Raum. Auf wen Rudolf Thome im Lauf seiner Jahre neidisch war? Rainer Werner Fassbinder gehört sicherlich in den Kreis jener Persönlichkeiten, Wim Wenders eher nicht.

Auch auf den Umgang mit Kritik kommt Serpil Turhan zu sprechen, nicht zuletzt wurde Rudolf Thome im Lauf seiner Karriere regelmäßig mit harschen Besprechungen konfrontiert, wie es etwa bei Supergirl - Das Mädchen von den Sternen der Fall war. Für einen Augenblick grübelt der Regisseur und antwortet schließlich, dass danach einfach der nächste Film kommt. Und dann dokumentiert ausgerechnet Rudolf Thome - Überall Blumen die Niederlage der nächsten Filmproduktion, denn wie sich herausstellt, ist eine Finanzierung mittels Crowdfunding keineswegs so simpel wie zu Beginn angenommen. Dieser Rückschlag muss erst einmal verarbeitet werden, gerade wenn der Spiegel der eigenen Tochter dazukommt, die im Rahmen ihres Studium zu diesem Zeitpunkt in New York versucht, das erste Budget für ein eigenes Projekt auf die Beine zu stellen. Gleichzeitig besteht darin die Möglichkeit, neue Kraft schöpfen. "Ich will 90 Jahre alt werden", heißt es zum Schluss in einem hoffnungsvollen wie optimistischen Blick in die Zukunft. Was gibt es Schöneres, als durch das geliebt zu werden, was man macht?


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