Berlinale 2018 - Steven Soderbergh macht Hollywood ohne Hollywood

23.02.2018 - 09:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Steven Soderbergh am Set von Logan LuckyStudiocanal/Berlinale
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Seitdem sich Steven Soderbergh mit Logan Lucky aus dem vorzeitigen Ruhestand zurückgemeldet hat, macht er Hollywood ohne Hollwood. Mit seinem neustem Film, dem iPhone-Thriller Unsane, ist er im Wettbewerb der Berlinale 2018 vertreten.

Als Steven Soderbergh 2011 verlauten ließ, dass er sich aus Hollywood zurückziehen werde, war diese Meldung genauso überraschend wie absehbar. Mit Sex, Lügen und Video entfachte er Anfang der 1990er Jahre einen kleinen Funken der Revolution in der Indie-Szene, ehe er sich im Studiosystem als Querdenker zu behaupten versuchte. Rückblickend auf seine Filmographie sind in dieser Phase ein paar der besten Mainstream-Filme entstanden, die die Traumfabrik zu bieten hat. Doch der Frust seitens Steven Soderberghs wurde von Produktion zu Produktion größer: Immer wieder musste er den Kampf gegen Windmühlen aufnehmen, um seine Visionen auf der großen Leinwand umzusetzen. Die Krone dürfte wohl die langwierige Produktion von Die Kunst zu gewinnen - Moneyball gewesen sein. Nach jahrelanger Vorbereitung pausierte das Projekt kurz vor Drehbeginn und Steven Soderbergh später durch Bennett Miller ersetzt.

Der plötzliche Schlussstrich richtete sich folglich nicht gegen die Kunst der bewegten Bilder, sondern vielmehr gegen das System, in dem sie regelmäßig zu ersticken drohen. Die Auszeit bei der HBO-Tochter Cinemax und der Dramaserie The Knick hat Steven Soderbergh jedoch sichtlich gut getan, um sich neu zu orientieren und die Filmindustrie auf den Kopf zu stellen. Mit Logan Lucky meldete er sich im vergangenen Jahr im Kino wieder zurück - ohne großes Studio im Nacken, sondern mit einem gewagten Plan, um die volle kreative Kontrolle im kompletten Schaffensprozess zu behalten. Wie es The New York Times  in einem detaillierten Bericht aufschlüsselte, gehört zu dieser kreativen Kontrolle nicht bloß der Final Cut, den sich immer weniger Regisseur in Hollywood leisten können, sondern ebenfalls Verleih und Marketing des Films. Wie wird er beworben? Wie kommt er in die Kinos? Und was passiert mit dem internationalen Vertrieb?

Logan Lucky

Nachdem Steven Soderbergh das Budget von rund 29 Millionen US-Dollar zusammengetrug und darüber hinaus mit Channing Tatum, Daniel Craig, Riley Keough und Adam Driver einen stattlichen Cast gewann, der sich weiterhin auch aus Namen wie Katherine Waterston, Sebastian Stan, Seth MacFarlane und Hilary Swank zusammensetzt, kam die wahre Hürde der Produktion: Wie kann die Distribution eines großes Studios umgesetzt werden, nur eben mit weniger Geld und effizienter verteilten Ressourcen? Während die internationalen Rechte - wie bei Indie-Filmen üblich - an ausländische Verleiher verkauft wurden, konnte Steven Soderbergh ein Marketing-Budget von 20 Millionen US-Dollar auftreiben, indem er unter anderem die exklusive VoD-Lizenzierung an Amazon verkaufte und weitere entsprechende Deals abschloß. Im Vergleich zum Marketing-Budget eines großen Studios sind 20 Millionen Dollar kaum der Rede Wert sein.

Darum geht es Steven Soderbergh in seinem Modell aber: Die Kosten im überschaubaren Bereich halten und sich auf die bestmögliche ökonomische Struktur konzentrieren, von der am Ende vor allem die direkt in den Prozess Involvierten profitieren. Sogar den Trailer hat Steven Soderbergh selbst geschnitten, ohne vorher ein Testpublikum zu Rate zu ziehen. Drei Wochen vor Kinostart waren lediglich 15 Prozent des Marketing-Budgets aufgebraucht, ehe Steven Soderbergh den Rest in die heiße Phase unmittelbar vor Kinostart investierte. Ein großes Studio hätte zu diesem Zeitpunkt lediglich 60 Prozent übrig gehabt - ein beachtlicher Unterschied, der die Filmlandschaft in Zukunft durchaus verändern könnte. Mit einem weltweiten Einspielergebnis von etwas mehr als 47 Millionen US-Dollar stand Logan Lucky am Ende seines Laufs trotzdem nicht als großer Gewinner da, was auch Steven Soderbergh als tragische Niederlage zur Kenntnis nehmen musste.

"Certainly frustrating", schrieb Steven Soderbergh der New York Times in einem späteren Bericht  hinsichtlich des Startwochendes von Logan Lucky. Die Hoffnung aufgegeben hat er aber noch lange nicht: Sein vollständig mit einem iPhone gedrehter Thriller Unsane verfolgt das gleiche, unabhängige Konzept (mit mehr TV-Werbung) und ist nun im Wettbewerb der Berlinale zu sehen - dort, wo Steven Soderbergh zuletzt mit Side Effects, seinem letzten Studiofilm, vertreten war. Der Kreis schließt sich und wenngleich bisher der finanzielle Erfolg fehlt, um die unkonventionelle Vertriebs-Vision großflächig auszurollen, so bleibt zumindest der kreative Erfolg. Denn in diesem Punkt geht Steven Soderbergh keine Einschränkungen ein. Stattdessen knüpft er nahtlos an sein Schaffen an und liefert mit Logan Lucky eine alternative Version seiner Ocean's-Filme ab, während sich Unsane - Ausgeliefert auf den Spuren des zuvor erwähnten Side Effects bewegt.

Unsane - Ausgeliefert

Steven Soderbergh macht Hollywood ohne Hollywood - und das Ergebnis ist verblüffend. Logan Lucky und Unsane versprühen beide eine unglaubliche Lust am Filmemachen und am Ausprobieren. Selbst wenn Steven Soderbergh nur mit einem iPhone dreht, lässt er sich von den reduzierten Möglichkeiten nicht einschränken. Stattdessen denkt er den Film im Kontext seines Entstehungsprozesses und vereint somit das Erzählte mit dem Handwerklichen. Wenn Claire Foy schweißgetrieben durch die klaustrophobischen Gängen einer Nervenheilanstalt rennt, steht Unsane den großen Genre-Vorbildern à la Alfred Hitchcock keineswegs nach. Steven Soderbergh arbeitet entschlossen, überlegt und wirksam mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Es wäre wahrlich ein Verlust, würden wir seine Stimme im Kino verlieren. Bleibt zu hoffen, dass die Auswertung von Unsane zufriedenstellend läuft.

Immerhin hat Steven Soderbergh dieses Mal vermehrt auf TV-Werbung gesetzt. Wie er (halb im Scherz) im Rahmen der Pressekonferenz auf der Berlinale erläuterte, glauben die meisten Menschen nicht, dass ein Film existiert, wenn sie keine entsprechende Werbung im traditionellem, linearen Fernsehen gesehen haben. Da kann eine Social-Media-Kampagne noch so gut laufen: Der Sprung zum tatsächlichen Kauf eines Tickets ist bedeutend größer als das beste Engagement auf Facebook und Co. Dennoch zeigt sich Steven Soderbergh zuversichtlich, nicht zuletzt aufgrund der frisch erlangten Unabhängigkeit. "Es wird schwer sein, wieder auf konventionellerem Wege zu drehen," gesteht er im Gespräch mit den Journalisten. Für sein Hollywood, das dem Hollywood - wie nun zum zweiten Mal in Folge bewiesen - keineswegs unterlegen ist, kann das allerdings nur etwas Aufregendes bedeuten.

Unsane - Ausgeliefert läuft im Wettbewerb der Berlinale außer Konkurrenz. Alle weiteren Film der Sektion, findet ihr bei uns im Filmarchiv. Wer darüber hinaus noch mehr Texte zur Berlinale lesen will, wird auf unserer Themenseite fündig.

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