Das knallrote Cabriolet liegt auf der Seite, sein Fahrer halb im Gras, der Hals unnatürlich verbogen. Es sieht friedlich aus, diese Szene des Todes, wie eine Erinnerung, die einen während des Staubsaugens oder beim Einkaufen einholt. Ein eingefrorenes Bild, das so schnell verschwindet, wie es gekommen ist. Betty (Barbara Auer) findet dieses Bild wenige Meter von ihrem Vorgarten entfernt vor. Außerhalb des Frames: die Beifahrerin. Paula Beer spielt die Überlebende, die es aus dem Auto geschleudert hat und die in Miroirs No. 3 bei der Fremden unterkommt.
Zwei Jahre nach Roter Himmel legt Christian Petzold bei den Filmfestspielen in Cannes seinen neuen Film vor. Paula Beer, den Waldbränden und narzisstischen Schriftstellern entkommen, wird diesmal in ein feinfühliges Mystery-Drama über eine trauernde Familie verwickelt, die alles reparieren kann, außer sich selbst. Miroirs No. 3 präsentiert einen (Meister-)Regisseur auf der Höhe seiner Kunst und hält den dramatischsten Geschirrspüler-Einsatz der jüngeren Vergangenheit bereit. Wenn das nicht ins Kino lockt, was dann?
Dieses Märchen beginnt mit einem Autounfall und einer Hexe
"Miroirs" ist Petzolds dritter Film mit Märchenmotiven aus der deutschen Romantik, nach Undine und Roter Himmel. Wer in seinem neusten Streich genau hinschaut, erkennt in Barbara Auers Betty vielleicht sogar eine Hexe, wobei ihr Haus nur im übertragenen Sinne aus Brot, Kuchen und Zucker besteht. Kurz vor dem Unfall erschien sie Laura gleich zweimal am Wegesrand, wie eine schwarze Katze, die Pech bringt – oder einen Fehler in der Matrix signalisiert.
Betty empfängt Laura mit offenen Armen, gibt ihr ein Bett zum Schlafen, Kleidung und sie stellt ihr jeden Morgen ein Frühstück hin. Wenn einem knapp 130 Jahren Filmgeschichte eines gelehrt haben, dann dass Freigiebigkeit niemals unmotiviert und immer als verdächtig eingestuft werden muss. Kennt man darüber hinaus seine Alfred-Hitchcock-Filme, oder aber Petzolds eigenen Phoenix, macht die Übernahme fremder Kleidung und Gewohnheiten umso stutziger.
Petzolds Filmografie ist gepflastert von Referenzen an den Master of Suspense und ein Hauch Thriller liegt tatsächlich in der sommerlichen Luft von "Miroirs". Bettys Sohn Max (Enno Trebs) und Ehemann Richard (Matthias Brandt) haben sich von ihr entfremdet und verbringen ihre Tage bastelnd in einer Autowerkstatt. Ihr Spezialgebiet: Die Deaktivierung des GPS-Senders in den Karossen gut betuchter Kunden. Wer Bettys Haus oder die Werkstatt betritt, will nicht gefunden werden. Besorgt flüstern Vater und Sohn außerdem darüber, dass die Mutter ihre Pillen abgesetzt hat...
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Miroirs No. 3 ist keine Großtat und trotzdem ein großer Film
Ganz so einfach lässt sich der Film aber weder auf eine Stimmung noch ein Genre festlegen. Ein Paradox, da Miroirs No. 3 sich besonders durch seine Einfachheit auszeichnet. Die Story spielt sich im Wesentlichen in Bettys Haus und der Garage ab, mit Laura als Mittlerin, Brückenbauerin, und vielleicht einer Rolle, deren wahre Funktion nur Betty kennt.
Petzold, Kameramann Hans Fromm und ihr Team drücken in den Alltagsgegenständen und flüchtigen Augenblicken die inneren Umbrüche von Laura und ihrer neuen Familie. Ein flatternder Vorhang kann in "Miroirs" mehr über den Wandel einer Figur verraten als manch Serie in einer ganzen Staffel zu erzählen vermag. Ein Pop-Song und ein Blickwechsel zeigen Wege in ein neues, besseres Leben auf. Es gilt, was für viele Filme des Regisseurs zutrifft: Man muss nur hinschauen und fühlen.
Hofft man nach Roter Himmel auf die nächste Großtat, sollten die Erwartungen justiert werden. In "Miroirs" werden die großen Gesten gemieden, was ihn schnell in den Verdacht bringt, ein "kleiner Film" zu sein. Minor Petzold sozusagen. Ein unauffälliger Film – das trifft es besser. Unauffällig, weil dieser Film so klar und präzise inszeniert wurde, bis die Mühe dahinter nicht mehr zu erkennen ist. Unauffällig wie das Haus am Straßenrand, in dem das Leben seit Jahren stillsteht. Bis das rote Auto von der Straße abkommt und durch die märchenhafte Bubble bricht.
Christian Petzold ist trotzdem ein außergewöhnlich anmutiger Film über die Trauer gelungen und über die strahlend weißen Zäune, die wir errichten, um den Schmerz vor der Welt zu verbergen.
Wir haben Miroirs No. 3 beim Festival in Cannes gesehen, wo er seine Weltpremiere in der unabhängigen Sektion Directors' Fortnight feierte. Der neue Film von Christian Petzold kommt am 2. Oktober 2025 in die deutschen Kinos.