Neben Ari Asters Eddington sieht die Endzeit aus The Last of Us wie ein Urlaub auf den Malediven aus. Der neuste Streich des Regisseurs der Horrorfilme Hereditary - Das Vermächtnis und Midsommar benötigt dafür keine Zombie-Epidemie, sondern steht knietief in unserer Realität. Er wartet mit Joaquin Phoenix, Pedro Pascal und einer extrem garstigen Abrechnung mit dem Amerika der 2020er auf. Es ist einer lustigsten und fiesesten Filme der letzten Jahre, der erstaunlich viele explodierende Körperteile vorweisen kann.
Eddington ist ein Western für die Covid-Ära
Der Alltag von Kleinstadtsheriff Joe (Joaquin Phoenix) hat mit dem eines Westernhelden nun so gar nichts mehr gemeinsam. Morgens frühstückt er mit seiner notorisch unglücklichen Ehefrau Louise (Emma Stone) und ihrer von Verschwörungstheorien besessenen Mutter Dawn (Deirdre O'Connell). Statt böse Buben auf seinem Hengst durch die Prärie zu jagen, stört er Teenager beim Kiffen oder wirft den stadtbekannten Trunkenbold aus der Kneipe.
Wir treffen Joe im späten Mai 2020. Die Coronavirus-Pandemie hat sein Städtchen Eddington in Form der Maskenpflicht erreicht. In wenigen Tagen wird der Afroamerikaner George Floyd durch weiße Polizeibeamte ermordet werden, was landesweit Proteste gegen Polizeigewalt auslösen wird.
Hier ist der Trailer für Eddington mit Joaquin Phoenix und Pedro Pascal:
Asthmatiker Joe ist gegen die Masken, aber eines hasst er noch mehr: Bürgermeister Ted (Pedro Pascal), der vor Jahren mal etwas mit Louise hatte. Pedro Pascal spielt einen charmante, freigeistigen Bürgermeister, der sogar eine FFP3-Maske trägt, sich an Regeln hält und sich wünscht, dass auch Joe das tut. Da brennt beim Sheriff eine Sicherung durch. Er stellt sich als Bürgermeisterkandidat auf. Vom Deep State bis zum Krypto-Hype deckt sein "Programm" alles ab, was ein Facebook-Feed anno 2020 hergegeben hat. Joes Populisten-Kampagne löst eine Reihe von Ereignissen aus, die den zutiefst uninteressanten Flecken Erde namens Eddington in ein Schlachtfeld verwandeln.
Eddington vermeidet den Fehler von Don't Look Up und Co.
Da wir hier einen Film von Ari Aster vor uns haben, steckt Eddington bis zum Rand voll mit Heuchlern, Wahnsinnigen und wahnsinnigen Heuchlern. Elvis-Star Austin Butler schaut als Paranoia-Guru vorbei, Emma Stones Augen sahen noch nie so tot aus und Ex-Joker Joaquin Phoenix spielt das, was er vielleicht am besten kann: einen Loser, der durchdreht. Potenzielle Helden gibt's wenige und sie stehen in der Gefahrenzone von Scharfschützengewehren und MGs.
Vergebens sucht man nach einem ideologischen Halt in der Eskalation. Darin hebt sich Ari Asters Film wohltuend von vergleichbaren Satiren ab, etwa der Weltuntergangsmär Don't Look Up oder der Space-X-Fantasie Mickey 17. Filme wie diese werden viel zu oft aus einer Position der ideologischen Gewissheit erzählt. Sie sind schlicht selbstzufrieden darin, auf der richtigen Seite zu stehen. Hinterher kann man sich von den Filmemachenden auf die Schulter geklopft fühlen. Asters Film stößt uns hingegen mit Joe in den Dreck. Den Weg heraus zeigt er nicht.
In Eddington kriegen alle ihr Fett weg, aber die Western-Satire hat ein großes Ziel
Die satirischen Ziele werden in Eddington derart breit gestreut, dass vom weißen Black-Lives-Matter-Protestierenden bis zum Waffennarren alle ihr Fett wegkriegen. Es sind nicht immer die kreativsten Pointen, doch sie sitzen. Das übergreifende Ziel bleibt im Fokus der Aufmerksamkeit von Asters Drehbuch. Eddington arbeitet sich an der wachsenden Paranoia und dem Tribalismus (nicht nur) in den USA ab, die während der Pandemie weiter befeuert wurden.
Auch interessant:
-
Dieser Teenie-Thriller über das Ferienlager des Grauens lässt niemanden kalt
- So gut ist Amrum mit Laura Tonke & Matthias Schweighöfer
Asters Drehbuch treibt die Konkurrenz von Joe und Ted so weit ins Absurde, bis die Ereignisse von der Weltsicht eines Verschwörungstheoretikers nicht mehr zu unterscheiden sind. Da fliegt die Antifa auch mal mit einem millionenteuren Privatjet zum nächsten Einsatzort ihrer vermummten Spitzen-Spezialeinheit. Mit Joe stürzen wir herab in diesen Albtraum, der mehr gruselt als es ein Midsommar, Hereditary oder Beau is Afraid könnten. Eddington ist so absurd, dass er wieder echt wirkt und das macht Angst.
Ein unterschätzter Aspekt von Ari Asters Filmen ist allerdings ihr Humor: schwarz wie die Nacht und so trocken, dass es ein Genuss ist – sofern man damit klarkommt. Wer bei der Kopf-Szene in Hereditary nicht lachen musste, könnte sich an Eddington die Zähne ausbeißen. Der Film bietet nämlich einige Momente, die ihre eigene Düsternis fast schon selbst parodieren. Ari Aster verwandelt aber nicht alles in eine Lachnummer, was den wenigen bitterernsten Momenten in Eddington echte Wucht verleiht. Wenn der Film in den Wahnsinn kippt – und diese Szene ist unverkennbar – dann regiert eine grauenerregende Stille. So viel Realität muss sein.
Wir haben Eddington beim Festival in Cannes gesehen, wo Eddington im Wettbewerb läuft. Der Film kommt am 17. Juli in die deutschen Kinos.