Constanzes Cannes-Liebling - Der dritte Mann

21.05.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Ein kurzer Auftritt, der unvergessen bleibt: Orson Welles.
Arthaus
Ein kurzer Auftritt, der unvergessen bleibt: Orson Welles.
9
8
Das Filmfestival in Cannes dauert noch an und deswegen stellen wir euch auch heute wieder einen unserer liebsten Preisträger vor. Ich begebe mich dafür zu den Anfängen der französischen Festspiele und lade euch ein zu einem Tête-à-tête mit Der dritte Mann.

Das Festival International du Film de Cannes, wie es ganz offiziell genannt wird, blickt auf eine bewegte und lange Historie zurück. Ursprünglich wurde es als unabhängigeres Gegenfestival zum großen Bruder, den Festspielen in Venedig, konzipiert und sollte erstmals am 01.09.1939 stattfinden. Doch der Kriegsausbruch machte den Veranstaltern einen Strich durch die Rechnung und so musste die Eröffnung auf 1946 verschoben werden. Aber auch jetzt lief nicht alles nach Plan, denn bereits 1948 und 1950 musste das Filmfestival aufgrund finanzieller Engpässe ausfallen. Und die heute als Palme d’Or bekannte Auszeichnung wurde erst ab 1955 verliehen, das heißt alle vorherigen Sieger erhielten den Grand Prix du Festival International du Film (der nicht mit dem heute ausgelobten Grand Prix der Jury, dem zweitwichtigsten Preis nach der Goldenen Palme, verwechselt werden sollte).

Der dritte Mann von Carol Reed stammt bereits aus dem Jahr 1949. Er gewann den allerersten für nur einen Film vergebenen Grand Prix, denn zuvor ging der Preis zu gleichen Teilen an mehrere Teilnehmer oder wurde nach Genres aufgeteilt. Schauplatz dieses Film noir, der auf einer Erzählung von Graham Greene beruht, ist das durch den Zweiten Weltkrieg zerstörte Wien. Reed zeichnet hier ein für uns ungewohntes Bild der in Schatten gehüllten österreichischen Hauptstadt, die in einem Netz aus Korruption, Skrupellosigkeit und düsteren Machenschaften gefangen ist. Holly Martins (Joseph Cotten), ein erfolgloser Autor von trivialen Abenteuerromanen, folgt dem Ruf seines Freundes Harry Lime (Orson Welles) nach Wien. Er will sich seiner annehmen und ihm Unterkunft und Arbeit stellen, doch so weit kommt es erst gar nicht. Als Holly anreist, erfährt er von dem Unfalltod seines langjährigen Freundes und steht kurz davor, direkt wieder umzukehren. Doch Holly wird stutzig und er beginnt nach dem wahren Tathergang zu forschen – dabei lernt er Harrys Geliebte Anna Schmidt (Alida Valli) kennen und macht eine Entdeckung, mit der er sicher nicht gerechnet hätte.

Orson Welles ist im ganzen Film für nur etwa 15 Minuten zu sehen, doch ihm gehört einer der wohl berühmtesten Figurenauftritte in der Geschichte des Kinos. Ich muss zugeben, dass ich zu diesem Zeitpunkt schon fast vergessen hatte, dass er überhaupt noch auftauchen würde. Aber dann sehe ich plötzlich eine Katze, die zwischen zwei Männerbeinen sitzt und sich die Tatze ableckt. Das Licht in einem der oberen Fenster geht an und strahlt wie ein gleißend heller Scheinwerfer auf die Straße hinab – und plötzlich ist es da, das verschmitzte und doch rätselhafte Lächeln des Orson Welles. Dieser Mann hat einfach eine Präsenz, die mich umgehauen hat und die in Der dritte Mann perfekt inszeniert wurde. Unvergesslich bleibt schließlich auch die finale Verfolgungsjagd in der Wiener Kanalisation, die vor allem durch die Schattenmalerei des Film noir funktioniert.

Auch durch die berühmte Zither-Musik von Anton Karas, die zwar schwungvoll aber nie wirklich fröhlich klingt und die mir dank seines Ohrwurm-Charakters nie wieder aus dem Kopf gehen wird, verleiht Carol Reed seinem Kriminalfilm eine Aura, die ihresgleichen sucht. Der dritte Mann bekommt für seine durch Zeit- und Lokalkolorit geprägte Atmosphäre und die herausragende Kameraarbeit deshalb das Prädikat besonders wertvoll von mir. Der Film verleiht der zerbombten und in vier Sektoren aufgeteilten Stadt Wien eine sonderbare Schönheit und ist mehr als nur ein unterhaltsames Katz-und-Maus-Spiel. Er problematisiert stattdessen die Loyalität unter Freunden und Geliebten und zeichnet sich aus durch eine moralische Ambivalenz, die uns zum Nachdenken anregt. Der dritte Mann ist also ein würdiger Preisträger des Grand Prix in Cannes.

Hat euch Der dritte Mann auch so in seinen Bann gezogen oder haltet ihr den Klassiker für überbewertet?

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News