Das Brokeback Mountain der Generation TikTok: Paul Mescal & Josh O’Connor schmachten in zarter Romanze The History of Sound

22.05.2025 - 15:35 Uhr
A History of Sound mit Paul Mescal und Josh O'Connor eifert Brokeback Mountain nach
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A History of Sound mit Paul Mescal und Josh O'Connor eifert Brokeback Mountain nach
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So zart, so schön, so belanglos ist The History of Sound, die neue Liebesgeschichte mit Paul Mescal und Josh O'Connor, die beim Festival in Cannes Premiere gefeiert hat.

Noch ein Jahr warten, dann darf Brokeback Mountain in den USA legal Alkohol trinken. Ang Lees Meilenstein des amerikanischen LGBTQ-Kinos ist bereits zwei Dekaden alt, aber keinesfalls angestaubt. Daran erinnert ein Blick auf seine filmischen Nachkommen. Einer davon heißt The History of Sound und vereint gleich zwei Schauspieler, die sich getrost als Boyfriend des Internets bezeichnen dürfen.

Aftersun- und Gladiator II-Star Paul Mescal verliebt sich in der Ära des Ersten Weltkriegs in den enigmatischen Josh O'Connor aus Challengers - Rivalen. Beide trällern Volkslieder und schmachten sich vor dem Hintergrund romantischer Herbstlandschaften durch einen Film, der wie gemacht scheint für die For You-Page des sozialen Mediums eurer Wahl.

In The History of Sound führt die Musik Paul Mescal und Josh O'Connor zusammen

Das feingliedrige Drama läuft im Wettbewerb von Cannes und basiert auf einer Kurzgeschichte von Ben Shattuck. Die Story beginnt in einer kleinen Hütte im Nirgendwo von Kentucky, wo Lionel (Paul Mescal) in armen, aber musikverliebten Verhältnissen aufwächst. Dank seines musikalischen Talents kann er 1917 im Konservatorium in Boston studieren. In einer Kneipe hört er eines Abends die Stimme von David (Josh O'Connor), der an einem Klavier Volkslieder spielt. Es ist Liebe auf den ersten Ton, doch ihre aufkeimende Romanze wird jäh vom Kriegseintritt der USA unterbrochen.

Zwei Jahre später: Aus Europa mit einem Tremor in der Hand zurückgekommen, lädt der verschwiegene David seinen Freund auf eine Reise durch Maine ein. Zu Forschungszwecken wollen sie die Volkslieder der Einheimischen auf Phonographenwalzen aufzeichnen und für die Nachwelt bewahren. Sie wandern durch Wälder und kartografieren so ihre eigene intime Welt, in der ihre Beziehung abseits der geltenden gesellschaftlichen Normen Bestand haben kann. Doch dann ist auch diese Reise vorbei und Lionel steht am Anfang des Rests seines Lebens.

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The History of Sound lebt von der Erinnerung an die große Liebe

Die Wanderung durch Maine ist das Kernstück, das tragende Element nicht nur des Films, sondern auch von Paul Mescals Lionel. Er wird danach noch quer durch Europa reisen, im Geiste aber weiter über Stock und Stein hinter David herlaufen.

Ihre Liebessprache sind weniger die Dialoge oder Sex, als vielmehr der Gesang der Vögel, das Plätschern des Wassers und besonders Lieder, die fremde Familien in ihren bescheidenen Hütten singen. Traurige wie spitzbübische Songs durchziehen den Film, sie tragen Titel wie "Silver Dagger ", ihre Liedzeilen hallen durch die romantischen Landschaftsbilder. Sie schenken der Sehnsucht der beiden Männer Worte und Noten.

Sehnsucht ist nämlich der Modus Operandi von The History of Sound. Nichts liebt die Kamera im neuen Film von Oliver Hermanus (Living - Einmal wirklich leben) so sehr wie die wehmütigen Blicke von Lionel und David. Selbst wenn man Paul Mescals und Josh O'Connors Gesichter für die faszinierendsten auf diesen Erdenrund hält – und Teile des Internets tun das – verfängt sich der Film damit in einer monotonen Melancholie. Befreit wird er davon nur, wenn jemand die Stimme erhebt und in althergebrachten Liedzeilen Geschichten über Eifersucht, Tod und Obsession in die Stille hinaus singt. Dann kommt endlich etwas Unordnung in den Film.

Ein Brokeback Mountain für die Generation TikTok

Manchmal lädt The History of Sound zu einem Trinkspiel ein (bitte jedes Mal einen heben, wenn Mescal an der Kamera vorbei seinem verlorenen Leben entgegenschaut). Oder er reiht die süßen Schmachtmomente aneinander wie eine GIF-Fabrik. The History of Sound bietet nämlich ein gefundenes Fressen für die TikTok-Edits der nächsten Monate.

Die Beziehung in seinem Zentrum wird stets aus geschmackvoller Distanz betrachtet, denn der Film konserviert Lionels und Davids Beziehung wie eine ihrer Phonographenwalzen aus Wachs. Das ergibt durchaus Sinn, da die Liebe für Lionel als Erinnerung existiert, die noch 60 Jahre später in Schallwellen durch sein Leben fegt.

Gleichzeitig eröffnet The History of Sound dank seines naturverbundenen Settings, der Jahrzehnte umspannenden Geschichte und einer späten Enthüllung viele unglückliche Parallelen zu einem besseren Film. Deshalb hinterlässt das Brokeback Mountain der Generation TikTok höchstens eine Sehnsucht: Die Sehnsucht nach einem Film, der weder Publikum noch Figuren in Watte packt.

Wir haben The History of Sound bei den Filmfestspielen in Cannes gesehen, wo er im Wettbewerb seine Weltpremiere gefeiert hat. Der Film hat bereits einen deutschen Verleih, aber noch keinen Kinostart.

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